Streik in Südkorea: Die etwas andere Kranführerin
Eine Aktivistin kämpft seit dem 6. Januar mit der Besetzung eines Krans auf einer der weltgrößten Schiffswerften gegen Entlassungen. Der Konzernchef ist im Ausland abgetaucht.
BERLIN taz | Kim Jin-suk gilt den einen als einsame Heldin im Kampf gegen negative Folgen der Globalisierung. Für andere ist die 51-jährige Aktivistin eine sture Radikale, die ein gerichtliches Räumungsurteil ignoriert und sich in anderer Leute Konflikte einmischt. Tatsache ist, dass Kim während eines Streiks in Busan auf der Werft von Hanjin Heavy Industries & Construction, den der Konzern mit Aussperrung beantwortete, am 6. Januar den Kran Nr. 85 besetzte und ihn seitdem nicht verlassen hat.
Hanjin hatte im Dezember angekündigt, 400 seiner dort 1.400 Arbeiter zu entlassen. 1.100 gingen darauf in den Ausstand. Der Konzern, der sich der Welt führender Schiffbauer nennt, hat seit 2006 eine neue Werft im philippinischen Subic Bay gebaut, einer ehemaligen US-Marinebasis. Auf den Philippinen sind die Löhne viel niedriger.
Die alleinstehende Kim hatte mal als Schweißerin bei Hanjin gearbeitet, war aber bei einem Streik 1986 entlassen worden. Später schrieb sie darüber ein Buch. Zuletzt gehörte sie in der Leitung des lokalen Zweigs der Gewerkschaft Korean Confederation of Trade Unions (KCTU) an, dem militanteren der zwei koreanischen Dachverbände.
Der von Kim gewählte Kran 85 erlangte schon einmal traurige Berühmtheit. 2003 erhängte sich der lokale Gewerkschaftschef der Werftarbeiter im Kranführerhaus in 35 Meter Höhe, wo er zuvor vergeblich 129 Tage gegen 600 Entlassungen protestiert hatte. Weil der Konzern um sein Image fürchtet, sollte sich auch Kim etwas antun, wurde sie jetzt trotz Drohungen bisher wurde geräumt noch ausgehungert.
Täglich ziehen Unterstützer am Boden der inzwischen abgemagerten Aktivistin Lebensmittel und Getränke an einem Seil nach oben, nachdem der Werkschutz diese vorher überpüfte. Bücher und Zeitungen werden ihr verwehrt. Der Strom ist längst abgestellt, als Toilette dient Kim ein Eimer. Sie nutzt ein solarbetriebenes Ladegerät für ihr Handy, mit dem sie Interviews gibt und twittert. Laut Kim ist es jetzt im Sommer im zwei mal drei Meter großen Kranführerhaus fast unerträglich heiss.
Kim will erst dann den Kran verlassen, wenn alle Entlassenen wieder eingestellt sind. Die Werksleitung will nicht mit ihr sprechen, solange Kim auf dem Kran ist. Ende Juni waren die meisten Streikenden nach 190 Tagen an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Die Gewerkschaft hatte sich mit dem Management auf Abfindungen für die Entlassenen geeinigt. Dem stimmten 306 Betroffene zu, 94 streiken weiter.
Soli-Demos für Kim
Schon drei Mal gab es für Kim Solidaritätskundgebungen von bis zu 15.000 Menschen vor der Werft, die auf einer Insel vor Südkoreas zweitgrößter Stadt liegt. Am 10. Juli gab es Straßenschlachten mit der Polizei. Ende Juli blieb der Protest friedlich, obwohl rechte Gruppen bis Mitternacht den Demonstranten den Weg versperrten.
Kims Protest dynamisiert Südkoreas linke und linksliberale Szene. Erstmals seit langem haben zerstrittene Parteien gemeinsame Strategien für die nächsten Wahlen gesprochen. Denn nur so können sie die konservative Große Nationalpartei des konzernfreundlichen Präsidenten Lee Myung-bak 2012 von der Macht verdrängen.
Als Parlamentsabgeordnete am 17. Juni den Chef und Haupteigner des Hanjin-Konzerns über den Konflikt befragen wollten, reiste dieser Hals über Kopf ins Ausland. Cho Nam-ho sei seitdem auf "Dienstreise", erklärte ein Hanjin-Sprecher. Leider sei unbekannt, wann er zurückkomme. Selbst konservative Abgeordnete, die sich darüber echauffieren, dass Kim einen gerichtlichen Räumungstitel ignoriert, räumen ein, dass Hanjin-Chef Cho mit seinem Verhalten sie als mutigen David im Kampf gegen einen mächtigen Goliath erscheinen lässt. Sie können nicht fassen, wie der Chef eines modernen Weltkonzerns so arrogant gegenüber gewählten Volksvertretern sein kann. Manche werten Chos Verhalten als Indikator, dass er Hanjins Schiffbau komplett in die Philippinen verlagern will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
BSW in Thüringen
Position zu Krieg und Frieden schärfen