Streik bei Amazon: Betrinken Sie sich! Kaufen Sie ein!
Die Beschäftigten des US-Versandhandelskonzerns Amazon in Deutschland streiken für anständige Löhne. Endlich darf der Kunde mal wirklich König sein.
Es ist ein großartiges Liebeslied, kurz und schmerzlos: „Ich werde niemals mit dir shoppen geh’n“, singt die Band Madsen. Wer deren konsumkritische Meinung teilt, konnte es sich bislang einfach machen und, zumindest das Nötigste, einfach im Internet bestellen – irgendwo muss man sich ja einkleiden und Weihnachtsgeschenke kaufen.
In diesem Jahr aber ist es etwas anders: Wer sich in den nächsten Tagen zu einem umfangreichen Einkaufsbummel in die Innenstädte aufmacht, tut nicht nur sich etwas Gutes – sondern auch den streikenden Beschäftigten bei Amazon.
Das US-Versandhandelsunternehmen, das weltweit rund 90.000 Mitarbeiter beschäftigt, weigert sich nämlich beharrlich, die in der Branche in Deutschland üblichen Tariflöhne zu zahlen. Die Beschäftigten hätten dadurch Einkommenseinbußen von 30 Prozent, sagt der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske. Ver.di unterstützt die Streikenden. Seit Montag – in der Hochphase des Weihnachtsgeschäfts – gibt es an mehreren Amazon-Standorten in Deutschland Streikaktionen.
Die aufbegehrenden Beschäftigten stehen dabei mit dem Rücken zur Wand. Denn erstens beteiligt sich ein Großteil der Belegschaft nicht an dem Ausstand, vielleicht aus Angst vor Nachteilen in einem Unternehmen, das akribisch die Arbeitsleistung der Mitarbeiter überwacht. Zweitens hat Amazon Saisonkräfte eingestellt, um das Weihnachtsgeschäft abzuwickeln, und drittens wird der Warenversand europaweit organisiert. Es geht hier demnach um die Frage, ob die Streikenden so großen ökonomischen Druck entwickeln, dass sie ihre Forderungen durchsetzen können.
Schön bequem
Das heißt knallhart: Nur wenn der Konzern signifikante Umsatzeinbußen hinnehmen muss, wird er einlenken.
Die Konsumenten sind hier tatsächlich einmal Könige: Bestellen sie weiter wie verrückt bei Amazon, weil das so schön bequem und übersichtlich ist, wird der Konzern die Streikenden an der ausgestreckten Hand verhungern lassen.
Überlegen sich die Verbraucher aber Alternativen – sei es aus Solidarität oder aus Sorge, ob die Geschenke wegen der Streiks pünktlich kommen –, wird das die Verantwortlichen des Konzerns aus Seattle zum Nachdenken darüber zwingen, ob sie sich ihre bisherige Praxis weiter leisten können.
Es ist ja nicht so, dass es keine Alternativen zum Einkauf bei Amazon gäbe. Die erste wäre, ganz nach dem Geschmack der Band Madsen: Warenverzicht. Vielleicht kann es der eine oder andere gekaufte Gegenstand weniger sein, der unter den Weihnachtsbaum gelegt wird, ersetzt durch eine Bastelei oder einen Gutschein für tolle Stunden, sei es in einer Wohlfühloase oder einem schicken Hotel.
Das nervige Gedränge ertragen
Die zweite Möglichkeit bedeutete einen Einkaufsbummel in einer Innenstadt, so anstrengend das mancher finden mag. Aber: Wer erst über den Weihnachtsmarkt schlendert und ein bisschen Glühwein trinkt, wird auch das nervige Gedränge auf den Rolltreppen ertragen.
Die dritte Option: sich im Internet nach anderen Anbietern umschauen. So schwer ist das nicht, wie eine Fülle von Vergleichsportalen und Verkaufsplattformen zeigt. Selbst das Angebot ist oft größer, als auf dem ersten Blick zu sehen. Allerdings stellt sich dabei die Frage, ob die Arbeitsbedingungen bei diesen Anbietern, deren Dienstleistern und manchen Einzelhandelsunternehmen hierzulande wirklich besser sind als bei Amazon.
Aber: Nichtstun ist keine Lösung. Wenn der Milliarden-Marktführer in Deutschland, der lächerlich wenig Steuern zahlt, endlich gegenüber seinen Beschäftigten einlenken muss, wäre es auch ein Signal an alle anderen. Schluss mit den Extraprofiten auf Kosten der Arbeitnehmer und des Staates, ohne den kein Geschäft möglich wäre.Wie heißt es so schön bei Amazon: „Work hard, have fun, make history.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!