Straßenstrich in Wien: Den Freiern völlig ausgeliefert

Weg mit den Prostituierten aus den Wohngebieten - das wollte eine Bürgerinitiative in Wien und bekam ein Gesetz. Den Frauen geht es jetzt schlechter denn je.

Die Frauen sind erfolgreich vertrieben von Wiens schönen Straßen. Bild: dpa

Der Gang in den Wiener Praterpark sei "der schwerste seines Lebens gewesen", erzählt Edi Gruber. Er betreibt den Blog der Bürgerinitiative Felberstraße, die sich gut eineinhalb Jahre lang dafür starkgemacht hat, dass die Prostituierten aus ihrer Nachbarschaft verschwinden. Mit Fackelzügen, Flugblättern, kochendem Wasser.

Es ist dies der erste Samstagabend, dass keine Frauen in kurzen Röcken mehr unter seinem Fenster stehen. Denn das neue Wiener Prostitutionsgesetz verbietet seit 1. November Straßenstrich im Wohngebiet. Also praktisch in der ganzen Stadt.

Nun stehen sie in dunklen Seitenstraßen des Praterparks. Das wiederum, so Gruber, habe er auch nicht gewollt. Schließlich habe man in all der Zeit auch menschliche Beziehungen aufgebaut.

Zehn Minuten nach diesem Satz wird er eine junge Prostituierte an die Wand stoßen, die ihn anschreit. Wutentbrannt war sie aus dem Club 28 an der Felberstraße auf ihn zugestürmt, als sie ihn vor dem Fenster patrouillieren sah. "Hau ab, du hast alles kaputt gemacht", schreit sie. Nach seinem Stoß spuckt sie ihm ins Gesicht, bevor sie wieder in das Lokal verschwindet, wo die Frauen dicht gedrängt sitzen.

Die Rumänin, mit der Gruber die Auseinandersetzung hatte, hat bereits ausprobiert, was das neue Gesetz mit sich bringt: Weil zu wenige Freier den Weg ins Lokal gefunden haben, stieg sie mit einem ins Auto. Das faustgroße Hämatom auf ihrer Hüfte zeugt noch von dem Biss, den ihr der Mann zugefügt hat. Sie konnte flüchten. Aber das Auto als Ort des Geschäfts sei keine Option mehr für sie.

In Blockschulden kippen

Ebenso wenig für die anderen etwa 20 Frauen, die im Club 28 verzweifelt auf Laufkundschaft warten. Übergriffe kämen hier natürlich auch vor, doch im Stundenhotel hat jedes Zimmer einen Alarmknopf. Im Parkhaus oder auf der Raststation seien sie dem Freier noch mehr ausgeliefert als ohnehin.

Aber Laufhäuser als Alternative sind teuer: Bei bis zu 140 Euro Tagesmiete und Durchbuchungen für Folgewochen kippen viele in "Blockschulden". Und landen erst recht wieder auf der Straße, um Miete und Provision an die Betreiber zahlen zu können.

Den Vorwurf, einst billig Eigentum im Strichgebiet gekauft zu haben, um nun durch Verdrängung desselben den Wert steigern zu wollen, weist die Sprecherin der Bürgerinitiative, Gabriele Schön, zurück.

Vor etwa eineinhalb Jahren sei die Stimmung gekippt, "wie in einem Freiluftbordell, es wurde einfach zu viel". Die Ostöffnung habe den Wandel ins Gewerbe gebracht: Zu billig, zu aggressiv, zu gleichgültig gegenüber den Verordnungen seien sie, die Frauen aus dem Osten.

Vorerst hält sie das neue Gesetz von der Straße fern. Und mit ihnen die Freier, die neuerdings belangt werden können. Waren es vorher zwischen fünf und zehn Kunden am Tag, seien es jetzt mit Glück zwei, erzählt Zita. Ein paar Tage zuvor hat sie einem Kunden auf der anderen Straßenseite etwas zugerufen, ein Polizist hat sie dabei erwischt. Die Strafe wird sie bald per Post bekommen. Mindestens 300 Euro.

Allein die 20 Frauen im Club 28 haben Strafen in Höhe von 25.000 Euro offen. Eine Vollamnestie, die Wiens Regierungspartner SPÖ und Grüne ursprünglich vorgesehen hatten, fällt aus. Wie sie die alten Strafen abbezahlen sollen, jetzt, wo sie ihre Kunden nicht mehr auf der Straße finden, wissen die Frauen nicht.

Gefährliches Leben in der Illegalität

In den Prater oder nach Auhof bei der Autobahnausfahrt im Westen Wiens, wo sie stehen dürften, wollen sie auf gar keinen Fall. Dort sei es schmutzig, schlecht besucht und vor allem: gefährlich. In der Nacht zuvor soll es bei Auhof laut Christian Knappik, der für die Plattform sexworker.at das Frauennotruftelefon betreut, zur ersten Vergewaltigung gekommen sein.

Anzeigen wollte die Frau den Täter nicht. Zu groß ist die Angst, sich selbst zu belasten - sie arbeitet illegal, wie geschätzte 2.500 weitere Frauen in Wien. Ein Arzt, der die NGO unterstützt, hat ihre Verletzung genäht. Anonym. Während Knappik die Geschichte erzählt, läutet wieder sein Telefon. Der nächste Notfall.

Eine Sexarbeiterin wurde von ihrem Zuhälter verprügelt, Knappik gibt ihr Anweisung, die Wohnung zu verlassen, am Telefon zu bleiben, laut zu schreien, wenn er ihr nachläuft. Sie wird später ein Handy und Bargeld von einer Frau bekommen, die auch für "Sexworker" im Einsatz ist. Dann organisiert er eine Schutzwohnung, wo sie über Nacht bleiben kann.

Davon gibt es derzeit sechs Stück. Sie werden der NGO von Prostituierten zur Verfügung gestellt, wenn diese selbst eine Zeit lang woanders wohnen. Das ist auch insofern praktisch, als sich die Wohnungen ständig ändern. Wütende Zuhälter oder liebeskranke Kunden haben so kaum eine Chance herauszufinden, wo die Frauen untergebracht sind.

Viele hatten darauf gehofft, dass im Zuge des neuen Gesetzes auch die Sittenwidrigkeit fällt, die maßgeblich die Rechtslosigkeit Prostituierter bestimmt: 1989 wies der Oberste Gerichtshof die Klage zweier Prostituierter zurück, die von einem Freier mit ungedeckten Schecks betrogen wurden. Seither ist Prostitution in Österreich zwar nicht verboten, aber als Gewerbe auch nicht erlaubt. Macht ein Kunde sich ohne Bezahlung aus dem Staub, ist er rechtlich unangreifbar. Ihr Einkommen müssen die Prostituierten trotzdem beim Finanzamt angeben und versteuern. Angestellt werden dürfen sie nicht - wegen der Sittenwidrigkeit gelten sie als nicht vertragswürdig.

Notdurft hinter Bäumen

Die Politik verdamme damit nur die sichtbare Prostitution, verdränge aber die Frauen in den illegalen Bereich, so Knappik. Im Prater stehen an diesem Abend gut zwei Dutzend Frauen auf der Straße, alle paar Meter eine. Es ist das Gebiet der Schwarzafrikanerinnen, die meisten von ihnen kommen aus Nigeria. Bisher gab es wenig Streitereien, da sich der Strich in der Stadt verteilt hat.

Ethnische Konflikte und Preisverfall werden jetzt nicht lange auf sich warten lassen, befürchten Streetworker, wenn sich bis zu hundert Frauen aus Bulgarien, Ungarn, Rumänien oder Nigeria den kleinen Bereich teilen müssen. In der Umgebung gibt es zudem zu wenige Stundenhotels. Ihre Notdurft müssen die Frauen hinter den Bäumen verrichten, mit den Freiern fahren sie ins nebenstehende Parkhaus.

Auch in Auhof formierte sich umgehend der Widerstand der Anrainer, die sich an die Medien wandten. Am 16. November ruderte die Politik zurück und erklärte den eben erst verkündeten Platz wegen mangelnder Sicherheit für "nicht empfehlenswert". Eine Alternative wurde den Frauen nicht genannt.

Wie lange die Polizisten noch auf die Jagd nach Prostituierten gehen, ist offen. Wo sich der Straßenstrich hinverlagern wird, ebenso. "In Wohnungen, in die U-Bahn, in illegale Bordelle", schätzt Knappik. Auch Gruber von der Bürgerinitiative sagt, die Frauen stünden zwar nicht mehr unter seinem Fenster, aber er habe nicht das Gefühl, gewonnen zu haben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.