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Staatliche Willkür gegen WM-ProtesteOhne Standards auf der Copacabana

Jede noch so kleine Demo gegen die WM wird von der brasilianischen Polizei brutal attackiert. Die Protestler reagieren mit phantasievoller Deeskalation.

Kreativprotest in Brasilia: Hüpfen auf einem verbrannten Fifa-Pokal. Bild: reuters

RIO DE JANEIRO taz | Protestaktionen gibt es zur WM viel weniger als vergangenes Jahr zum Confed-Cup. Doch die Polizei setzt unverändert auf Gewalt. Abschreckung als Sicherheitspolitik, scheint die Devise zu sein. Insbesondere in der Metropole São Paulo sind die Demonstranten staatlicher Willkür ausgesetzt.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte die brasilianische Polizei zu Wochenbeginn auf, rechtsstaatliche Standards einzuhalten. Sie fordert die Freilassung von zwei Aktivisten, die seit dem 23. Juni inhaftiert sind. Angeblich sollen sie Brandsätze bei sich gehabt haben. Zeugen beteuern aber, dass die Polizei ihnen die angeblichen Beweismittel in den Rucksack gesteckt habe. Ein ähnlicher Fall wurde im Juni 2013 gefilmt und machte im Internet Furore. Gegen die Beteiligten Beamten wurde erst ein Jahr später Anklage erhoben und kaum jemand rechnet mit einer Verurteilung. Auch im jetzigen Fall gibt es ein Video, das ein kriminelles Vorgehen der Beamten nahelegt.

Auch Amnesty International forderte Garantien für das Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in Brasilien. Zwar gehe ebenfalls von einigen Demonstranten Gewalt aus, aber dies dürfe nicht in eine Kriminalisierung aller am Protest Beteiligter umschlagen. Die Organisation macht das Vorgehen der Polizei in zahlreichen Fällen für die Eskalation der Gewalt verantwortlich. Zudem kritisierte Amnesty International die Einschüchterung von Protestlern, die unmittelbar vor Demonstrationen zum Verhör vorgeladen würden. Auf die Forderung, die Übergriffe einer unabhängigen Untersuchung zu unterziehen, reagierte die Regierung weder auf landesweiter noch auf städtischer Ebene.

In den meisten WM-Städten kommt es an Spieltagen zu Demonstrationen, manchmal in Stadionnähe, manchmal im Stadtzentrum. Meist sind es nur einige Hundert Menschen, die entweder gegen die WM oder gegen deren negative Auswirkungen wie die damit verbundene Geldverschwendung auf die Straße gehen.

Die Polizei ist dabei stets massiv präsent, läuft Spalier und hindert den Zug am weiterlaufen, wenn er in die Nähe der im speziellen Fifa-Gesetz definierten Bannmeilen kommt. Oft setzten die Uniformierten ohne Vorankündigung Tränengas und Pfefferspray ein, im Gerenne werden einzelne Demonstranten verfolgt und festgenommen.

Fußball auf Straßenkreuzung

Inzwischen setzen viele Protestaktionen demonstrativ auf Deeskalation, mit phantasievollen Aktionen wie Fußballspielen auf Straßenkreuzungen oder Performances mit viel Musik. Eine solche Demo auf der Copacabana anlässlich des letzten Brasilienspiels blieb ausnahmsweise unbehelligt. Ein kleinerer Protestmarsch zum späteren Spiel Kolumbien gegen Uruguay nahe des Maracanã-Stadions wurde prompt mit Gewalt aufgelöst.

Auch eine Kundgebung gegen die willkürlichen Verhaftungen wurde am Dienstag in São Paulo mit Gewalt aufgelöst. Zwei Anwälte wurden mitten im vermittelnden Gespräch mit Polizisten festgenommen und laut Zeugenaussagen misshandelt. Wer zur Kundgebung wollte, wurde durchsucht. Auch Journalisten leben gefährlich. Trotz Helmen mit entsprechender Beschriftung geht die Polizei gegen sie vor, zahlreiche wurden durch Gummigeschosse verletzt, andere festgenommen. Sogar ausländische Fans bekommen die rüden Methoden der militarisierten Polizei zu spüren: Eine Siegesparty argentinischer Anhänger in São Paulo wurde am Dienstag mit Tränengas aufgelöst.

Viele sehen in der Polizeigewalt einen Grund für die geringe Präsenz von Demonstranten auf der Straße. Zumal Präsidentin Dilma Rousseff in Vorfeld angekündigt hatte, dass gegen jegliche Ausschreitungen mit harter Hand vorgegangen werde. Für die Aktivisten handelt es sich dabei um eine Kriminalisierung von sozialen Bewegungen.

Provos am Werk

Zudem wird der Verdacht geäußert, es seien Provokateure am Werk gewesen.

Beispielsweise als auf der Demonstration der „Bewegung für Nulltarif" MPL, die die Protestwelle in vergangenen Jahr ausgelöst hatte, zahlreiche Schaufenster zu Bruch gingen und schicke Mercedes-Fahrzeuge in der Vitrine zerstört wurden: Obwohl sich zahlreiche Demonstranten in Menschenketten vor den Scheiben aufstellten, um die Zerstörungsakte einiger weniger Muskelpakete zu verhindern, wurden im Anschluss zahlreiche Verfahren gegen die Organisation eingeleitet.

Nur die Obdachlosen-Organisationen, die in São Paulo vor der WM die größten Demonstrationen durchführten und damit der Regierung Zugeständnisse abtrotzen konnten, sind weiter auf Erfolgskurs. Ein besetztes Gelände in der Nähe des Itaquerão-Stadions wurde legalisiert, und am Montag beschloss das Stadtparlament, dort Sozialwohnungen zu errichten.

Am Mittwoch segneten die Abgeordneten einen Urbanisierungsplan ab, für den die Bewegung schon seit Monaten streitet. Und die Besetzung eines Hochhauses im Edelviertel Jandins widersteht seit über drei Wochen - die Obdachlosen hatten die Spannung rund ums Eröffnungsspiel genutzt, um das Gebäude zu stürmen.

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