Essay Sprache der französischen Macht: Do you speak Macron?
Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich haben ihre Ursache auch im Sprachgebrauch des Präsidenten. Er belehrt, ermahnt, spottet und frotzelt.
S tellen wir uns vor, Angela Merkel würde uns als störrische Landsleute bezeichnen, unfähig zum Wandel. Sie würde behaupten, einige von uns seien Faulenzer, viele Frauen Analphabeten. Sie würde Menschen, denen sie in einer Bahnhofshalle begegnet, einteilen in jene, die ihr Leben meistern, und jene, die schlichtweg nichts sind. Schließlich würde sie damit prahlen, selbst schon beim Überqueren der Straße einen Job finden zu können, uns aber dazu auffordern, es doch mal mit Arbeiten zu probieren, wenn wir uns einen Anzug kaufen wollen.
Ja, was wäre dann? Empörung? Revolte? Wut? Auf jeden Fall kämen derlei Äußerungen dem Bild von Frau Merkel sicher nicht zugute. Dieu merci, sie stammen nicht aus ihrem Mund. Nein, es handelt sich um ein Best-of an markigen Kommentaren des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, mit dem Merkel erst in dieser Woche einen neuen Freundschaftspakt geschlossen hat. Doch während Macron in Aachen feierlich den Geist der deutsch-französischen Aussöhnung beschwor und mit staatstragender Miene von Europa schwärmte, zogen draußen Menschen in gelben Warnwesten durch die Straßen, wie in Frankreich schon seit drei Monaten, immer wieder samstags. Angeheizt auch durch Macrons Punchlines, diese bissigen Sätze, mit denen er in Frankreich um sich wirft und die man als Zuhörer seiner Reden auf internationalem Parkett nicht vermuten würde.
Die kleinen Macron-Sätze wirken wie Speerspitzen und lassen sich hervorragend in sozialen Netzwerken teilen. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass er mit neuen verbalen Entgleisungen die Aufmerksamkeit auf sich zieht, als sei es fast egal, wie man über ihn spricht, solange man über ihn spricht. Dabei müssten seine Berater allmählich beten, er möge sich auf die Zunge beißen. Wie soll es ihnen gelingen, das Bild des arroganten, elitären, realitätsfremden Präsidenten aufzumöbeln, wenn dieser dauernd belehrt, ermahnt, spottet und von oben herab frotzelt?
In Wahlkampfzeiten war das durchaus von Nutzen: permanent Präsenz zeigen, um den Informationsfluss, in dem eine Neuigkeit die nächste jagt, ständig mit Futter zu versorgen. Da konnte ein schlecht platzierter Witz des Kandidaten auch wieder verdrängt werden durch die nächste knackige Bemerkung. Doch Macron scheint vergessen zu haben, wie beständig Worte eines Präsidenten sein können. Zumindest, wenn sie in der Bevölkerung als verachtend wahrgenommen werden. Die Gelbwesten posten und teilen was das Zeug hält, und so laufen Macrons Verbalfehltritte in Dauerschleife: Menschen, die nichts sind … die nichts sind … nichts sind … nichts.
In Frankreich haben am Samstag erneut zehntausende "Gelbwesten" demonstriert. Landesweit gingen rund 69.000 Menschen auf die Straße, wie das Innenministerium am Abend mitteilte. In Paris demonstrierten demnach rund 4.000 "Gelbwesten". Dort kam es am Place de la Bastille zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. Nach Angaben der Präfektur wurden dort 22 Menschen festgenommen.Im Vergleich zum vorherigen Samstag gingen die Teilnehmerzahlen leicht zurück. Am vergangenen Wochenende hatten sich landesweit 84.000 Menschen beteiligt, in Paris waren es 7.000 gewesen. (afp)
Wenn man die aktuellen Proteste verstehen will, kommt man nicht am präsidentiellen Hochmut vorbei, der sich zuallererst in seiner Sprache äußert. Erinnert uns das an etwas? Natürlich.
arbeitet als freie Journalistin in Paris. Am 22. Februar erscheint ihr Buch „Adieu liberté. Wie mein Frankreich verschwand“ bei Ullstein fünf.
Als Donald Trump auf die politische Bühne trat, dauerte es nicht lange, bis man seine Rhetorik mit Orwells Vision vom „Neusprech“ verglich, die der Autor in seinem legendärem Werk „1984“ verwendet. Die Umdeutung von Worten ist kein neues Phänomen. Doch im französischen Kontext, wo Rhetorik Teil der Ausbildung an den Eliteschulen ist und die Académie française seit dem 17. Jahrhundert über die Sprache wacht, hört man noch genauer hin als andernorts.
Die Politik Macrons hat, einmal von den Worthülsen befreit, mit Überzeugungen nur noch wenig zu tun. Selbst Anhänger seiner Bewegung „En Marche“, die man nach großen „Meetings“ befragte, gaben zu Protokoll, sie hätten außer der Parole „weder rechts noch links“ inhaltlich nicht viel mitgenommen. Macron spielt dabei mit einer weit verbreiteten Wahrnehmung: Seit 40 Jahren wechseln sich in Frankreich Sozialisten und Konservative ab. Schlussfolgerung: Ist das Entweder-oder nicht genaugenommen immer nur das gleiche? Ein Nullsummenspiel. Macron hat seine Politik zur einzig möglichen erhoben und sie gar mit Vernunft gleichgesetzt. Der Macronismus als einzig wirksames Heilversprechen für die kranke Marianne.
Das Rezept, das Macron vorschlägt, zeigt eine weitere Marotte des Präsidenten: Seine Liebe zur Unternehmersprache. In ihrem Buch „Der neue Geist des Kapitalismus“ haben die Soziologen Luc Boltanski und Eve Chiapello schon 1999 den Diskurs des Neo-Managements untersucht und aufgezeigt, wie die sich ausbreitende Management-Sprache den Kapitalismus befähigt, ihm entgegengebrachte Kritik aufzugreifen und zum eigenen Vorteil zu transformieren. So ist das in den 60er-Jahren verwandte Wort „Hierarchie“ nahezu verschwunden, stattdessen hat „Projekt“ die Spitze übernommen. Macron redet ständig von Projekten, denn Projekte vermitteln den Eindruck, man befinde sich permanent in einem produktiven Prozess, mit dem politischen Anspruch zu produzieren, zu entwickeln, zu wachsen.
Seine Anleihen aus der Unternehmenswelt – er selbst war Banker bei Rothschild – zeigen sich aber auch in Anglizismen, die man am Kickertisch oder im Open Space junger Firmen vernehmen könnte. Do you speak Macron? Da muss von business model die Rede sein, dann soll Frankreich eine start-up-nation werden, muss es venture capital geben und job mentoring, und das made in France wieder zum Gütesiegel werden.
Was man als erfrischend empfinden kann, als jung, dynamisch und zukunftsweisend, ist den Gelbwesten verhasst; es verstärkt nur das Gefühl, abgehängt zu sein, nicht dazuzugehören. An den Stadträndern spricht keiner wie der Youngster-Präsident.
Bereits jetzt kann man beobachten, wie sich Bedeutungen verschieben, wofür es in der Kommunikationswissenschaften die Bezeichnung „Framing“ gibt. Begriffe werden durch Bilder so aufgeladen, dass ihre Bedeutung eine Richtung vorgibt – man denke an Markus Söders „Asyltourismus“. In Frankreich waren Sozialabgaben mal „cotisations sociales“, also ein „Beitrag zum Sozialen“, heute spricht man von „charges sociales“, von den sozialen Abgaben, von der Last für den Arbeitgeber. Es geht also nicht mehr um die kollektive Anstrengung, um den öffentlichen Dienst zu finanzieren, der allen Bürgern zugutekommt. Nein, es handelt sich um eine Belastung, die zu verringern ist. Hier ebnet die Sprache den Weg für den Schwenk in Richtung Neoliberalismus, ohne Alternative.
Gerade jetzt, wo Macron seine Franzosen zur „Grand débat“, einer großen nationalen Debatte, aufgefordert hat, verbreiten sich Falschinformationen als „alternative Fakten“ immer weiter. Miteinander sprechen, ja. Aber worüber, wenn man schon von unterschiedlichen Realitäten ausgeht?
Zur Erinnerung: 2017 wurde „Alternative Fakten“ in Deutschland zum „Unwort des Jahres“ gewählt. Es war die Regierung Trump, die einen bizarren Umgang mit Zahlen, Fakten und Beweisen pflegte. Die eigensinnige Auslegung der Teilnehmerzahl bei Trumps Vereidigung, die dreiste Lüge seines Sprechers Sean Spicer wurden kurzerhand zu „alternativen Fakten“ erklärt.
Auch in Frankreich reibt man sich verwundert die Augen, wenn Macron oder Mitglieder seiner Regierung derzeit über die Zustände in Frankreich sprechen. „Unwissenheit ist Stärke“, heißt es bei George Orwell. Das Unwissen, die Ignoranz der real existierenden sozialen Schieflage, wie sie die Gelbwesten anprangern, ist frappierend. Zuletzt deklarierte Macron in seiner großen Fernsehansprache, man habe die Basis gelegt „für eine ambitionierte Strategie bei der Organisation der Krankenhäuser“. Dabei verschlechtert sich die Situation dort massiv und das Pflegepersonal schlägt regelmäßig Alarm und streikt gegen die miserablen Arbeitsbedingungen, gegen die fehlenden Mittel, die wiederholten Selbstmorde von überforderten Angestellten. Erst am vergangenen Dienstag waren wieder Tausende auf der Straße. Macron aber blendet diese Realität aus, anstatt zunächst eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, bevor das Reformprojekt ins Spiel kommt; er versucht, sich nur mit dem Positiven (der Reform), nicht aber mit dem Negativen (der akuten Lage) in Verbindung zu bringen.
Auch in der aktuellen Auseinandersetzung über die Bewegung der Gelbwesten erstaunt die Auslegung der Vorkommnisse und die verwendeten Formulierungen. Innenminister Christophe Castaner gab zunächst zu Protokoll, es habe keine Polizeigewalt gegen Gelbwesten gegeben. Da kursierten in den sozialen Medien bereits eindeutige Videoaufnahmen, die zeigen, wie Polizisten brutal und ohne offenkundigen Grund gegen Demonstranten vorgehen. Krieg ist Frieden, sagt Orwell. Und während die französische Zeitung Libération offenlegt, dass wegen des Einsatzes sogenannter Flashball-Geschosse seit Beginn der Proteste 15 Menschen ihr Auge verloren haben, erklärt Castaner: „Vier Personen haben durch den Einsatz der Polizei schwere Einschränkungen ihres Sehvermögens erlitten.“ Ist es da verwunderlich, dass Verschwörungstheorien bei einigen Gelbwesten gerade Hochkonjunktur haben und dass diese bereits eigene Nachrichtenkanäle, Radiosender, Webseiten ins Leben gerufen haben, einzig für die eigenen, vermeintlich wahren Fakten?
Macron sitzt also in der selbst produzierten Sprachfalle: Einerseits schafft er es nicht, den Ton seiner Mitbürger zu treffen, wenn er zu verklausuliert und zu technokratisch spricht und wenn er behauptet, seine Reformpolitik sei alternativlos. Andererseits kommen die Versuche seiner knackigen, leger formulierten Punchlines, die an den Tausendsassa-Präsidenten Nicolas Sarkozy erinnern, wie ein Bumerang zurück. Der darin zum Vorschein tretende Hochmut schadet Macron weit mehr, als er ihm nützt. Aber der Musterschüler versucht zu lernen: zum Auftakt der „Grand débat“ hat er schon mal ein siebenstündiges Gespräch mit 600 Bürgermeistern hingelegt.
Die Gelbwesten werden ganz genau hinhören, was der Präsident in den kommenden Wochen zu sagen hat. Auch wenn eine Abkehr von seiner bisherigen Linie nicht zu erwarten ist, so doch zumindest gewisse Schattierungen. Die Nuancen, das Einsehen, die Kompromissfähigkeit nun auch sprachlich zu vermitteln, darin besteht die Herausforderung, die der Präsident vor sich hat.
Schlichten statt spalten, versöhnen statt aufwiegeln, verstehen statt verspotten. Macron hat es in der Hand. Oder besser: auf den Lippen.
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