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Serbien verbietet Schwulenumzug„Tragikomische Parade der Scham“

Der serbische Regierungschef hört auf die orthodoxe Kirche und „scheißt auf die EU“. Eine Schwulenparade wird „aus Sicherheitsgründen“ verboten.

2010: Die erste und bisher einzige Schwulen-Parade in Belgrad. Bild: dpa

BELGRAD taz | Nervös wirkt dieser Tage Serbiens Regierungschef und Innenminister Ivica Dacic. Die Staatskasse ist leer, die Inflation steigt, der soziale Unmut wächst, die serbische Kosovopolitik scheint aussichtslos und der EU-Beitritt weiter entfernt zu sein als vor einem Jahrzehnt.

Und dann noch jeden Herbst diese lästige Schwulenparade. Da geht es um Menschenrechte, mahnen Brüssel und Washington, um grundlegende Freiheiten, für die ein EU-Beitrittskandidat stehen sollte. Gleichzeitig forderte der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche Irinej explizit vom Premier, die „tragikomische Parade der Scham“ zu verbieten. Und Rechtsextremisten drohten den Schwulen: „Wir warten auf euch.“

Da platzte Dacic der Kragen. „Lasst mich doch endlich in Ruhe mit diesen Geschichten über Menschenrechte. Was für Menschenrechte, hier geht es um die Sicherheit der Menschen“, sagte er vor laufenden TV-Kameras und fügte hinzu: „Scheiß auf die EU, wenn die Gay-Parade die Eintrittskarte ist“. Darauf untersagte das Innenministerium „aus Sicherheitsgründen“ die für Samstag geplante Schwulenparade.

Europäische Politiker äußerten ihre „Entrüstung“, manche sprachen von einer „politischen Entscheidung“. „Es sei besser, dass sie mich kritisieren, weil ich die Schwulenparade verboten habe, als dass sie uns ein einziges Menschenleben gekostet hätte“, erwiderte Dacic.

Hooligans und Rechtsradikale

Während eine Großzahl serbischer Bürger die Entscheidung des Premiers und Polizeichefs begrüßt, kritisieren Menschenrechtler, dass die Staatsmacht wieder einmal „vor Hooligans und rechtsradikalen Gruppen“ zurückgewichen sei.

Nur im Jahr 2010 machte der Staat eine Ausnahme, ließ die Schwulenparade zu und war entschlossen, das eigene Gesetz über Menschenrechte, sexuelle und Meinungsfreiheiten durchzusetzen.

Die rechtsradikale Szene zeigte unterstützt von der Kirche ihre Stärke: Belgrad sah wie ein Schlachtfeld aus mit brennenden Autos und demolierten Schaufenstern, über einhundert Polizisten und Dutzende Hooligans wurden verletzt. Obwohl extremistische Gruppen längst identifiziert worden sind, hat sich seitdem nichts getan.

Selbst liberale serbische Politiker meinen achselzuckend, dass die serbische Gesellschaft „einfach noch nicht reif für die Schwulenparade“ sei. Bürgerliche Gruppen warnen, Serbien sei dann auch nicht „reif für die EU“.

Zentrum für Kulturelle Dekontaminierung

Der Aktivist der Schwulenparade, Boban Stojanovic, forderte von Regierungschef Dacic, den Patriarchen „daran zu hindern, Menschrechte zu verletzen und Homophobie zu propagieren“. Dennoch feierten die Schwulen einen kleinen Sieg. Im Zentrum für Kulturelle Dekontaminierung fand trotz heftiger Proteste des Patriarchen im Rahmen der „Pride-Woche“ am Mittwoch die Fotoausstellung „Ecce Homo“ der schwedischen Künstlerin Elisabeth Ohlson Wallin statt.

Auf den Fotos ist Jesus mit HIV-Kranken, Schwulen und Transvestiten zu sehen. Belgrad war die erste osteuropäische Stadt, in der diese Ausstellung gezeigt wurde. Der Einsatz von 2.000 Polizisten in Kampfausrüstung war dazu notwendig. Nur wenige Besucher wagten hinzugehen.

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12 Kommentare

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  • PN
    persona non grata

    Ich bin zwahr in Deutschland geboren, meine Eltern kommen aber aus Serbien. Wie die Menschen dort nur wegen ihrer Sexualität behandelt werden ... ist ich kann es nicht anders sagen eine Schande, ich kann mich da für meine eigenen Leute nur schämen.

     

     

     

    Die EU spielt für mich dabei garkeine Rolle. Menschen sollten immer das Recht haben sich frei und ungezwungen Bewegen zu dürfen ohne in ihren Köpfen ständig eine Schehre zu haben. Es scheint im gesamten Ost-Europäischen Raum und im Balken massive Probleme mit der Sexualität zu geben. Auch in westlichen Industrieländern gibt es noch Kritik-Punkte, aber die Dinge werden besser.

     

     

     

    Vieleicht auch eines Tages im Osten und auf dem Balkan. Wer weis.

  • B
    Benz

    Ein Mann mit Rückgrat, der serbische Innenminister, Hut ab! Viele Politiker ziehen ja den Weg des geringsten Widerstandes vor, verweisen immer nur auf ''europäische Standards'' und ''Vorgaben aus Brüssel'' anstatt selbst eine Entscheidung zu treffen. Der serbische Innenminister hat auf sein Herz und die Meinung seiner Wähler gehört und eine selbständige Entscheidung getroffen, dazu kann man ihm nur gratulieren.

  • S
    Sindjelic

    Was für eine Doppel-Moral hier verbreitet wird!! Ich bin Hetero und habe nichts gegen homosexuelle Menschen, frage mich aber dennoch warum hier so getan wird, als ob in dem ach so toleranten und weltoffenen Deutschland alle plötzlich so pro Schwule und Lesben sind?? In Deutschland werden z.B. schwule Männer also nicht diskriminiert bzw. angepöbelt,schief angeguckt,beleidigt und zu Witzobjekten denunziert? OK, dann ist das eine lobenswerte Weiterentwicklung im Vergleich zur serbischen Gesellschaft, wo es Schwulen tatsächlich passieren kann, das sie auf offener Straße körperlich angegangen werden.Das ist übrigens ein Problem in ganz Ost-Europa, ja auch ein Problem einiger langjähriger EU-Staaten wie Portugal,Italien,Spanien,Griechenland,Zypern,Tschechien,Polen,Slowakei usw.!Ich muß mich allerdings an dieser Stelle auch fragen, warum Homos eine Parade veranstalten müssen? Wozu soll diese dienen? Klar fordern sie damit ihre Rechte ein, natürlich wollen sie sich auch als Teil der Gesellschaft wissen, aber Toleranz und Verständnis will gelernt werden und ist ein langer gesellschaftlicher Prozess, der Fingerspitze,Kompromißbereitschaft und weitblick verlangt.P.S. ein normaler Polizist verdient in Serbien ca.300 Euro, soll er sich dafür die Birne vom meist jugendlichen,arbeits-und perspektivlosen Mob einschlagen lassen? Man sollte alles in die Waagschale legen bevor man drauflos kritisiert und andere Länder als kulturell unterbelichtet diffamiert.

  • W
    Wessie

    Serbien sollte lieber zusammen mit der Türkei und der Ukraine eine Mitgliedschaft in der Eurasischen Union Putins anstreben, rein ideologisch werden sie sich dort viel wohler fühlen. Und die Ungarn, Rumänen, Bulgaren können sie direkt mitnehmen. Ich will keine Union mit all den genannten Ländern, schließlich hinken sie uns in ihrer geistigen Entwicklung Jahrzehnte hinterher...

  • N
    Nana

    Ihr habt Probleme... Unglaublich.

    Habt Ihr den Artikel überhaupt gelesen? In Serbien geht es nicht um korrekte Bezeichnungen, sondern um Gewaltandrohung, um echte Probleme. Die Frage, ob die Rechten Schwule verdreschen wollen oder nicht eher Homosexuelle, kann man nur aus einer Luxusperspektive stellen. Solidarität ist bei so viel Egozentrik natürlich Fehlanzeige.

  • L
    LGBT

    Begriffserklärung:

     

    Homosexuelle = Schwule Männer und Lesbische Frauen

    Schwule = Homosexuelle Männer

    Lesben = Homosexuelle Frauen

    LGBT = englische Bezeichnung für Lesbians-Gays-Bisexuals-Transgenders

     

    Dass Chefmoderatoren öffentlich-rechtlicher Fernsehsender, wie Claus Kleber (ZDF heute-journal), noch kürzlich von der Eingetragenen Lebensgemeinschaft, als "Schwulen-Ehe" faselten (zur Erinnerung: Schwule = Männer) und ihm offenbar nicht auffiel, dass auch lesbische Frauen in Eingetragenen Lebenspartnerschaften leben, nahm ich als Zeichen fortschreitender Alters-Verblödung hin.

     

    Wenn aber ausgerechnet die taz ebensolchen Schwachsinn verbreitet, dann rufe ich der Chefredakteurin INES POHL zu:

    SIE MACHEN IHREN JOB NICHT GUT!

     

    Ich wünsche mir Bascha Mika zurück! Sie hätte solchen Mist niemals durchgehen lassen.

  • M
    Menschenrechte

    Das Grundrecht auf freie Ausrichtung seiner Persönlichkeit im Rahmen der Menschenrechte sollte fest in der EU verankert sein.

    Wer sich nicht daran hält, muß die Konsequenzen tragen.

  • S
    sanni

    Nur zur Information...die Gay Parade ist eben keine SCHWULENparade, sondern eine Parade von Schwulen UND LESBEN! Ja, kaum zu glauben, aber es gibt auch homosexuelle Frauen!

  • L
    Luc

    Wie um alles auf der Welt kommt ihr darauf, dass es um einen "Schwulenumzug" geht? Ist am Wochenende zeitgleich noch eine LGBT-Demo? Was für ein Zufall! Dann können die Schwulen ja mit den Lesben und_oder den Transleuten und_oder den bisexuellen Leuten demonstrieren gehen und alles ist halb so schlimm....

  • P
    Puhpuh

    Serbien in die EU? Wir haben ja noch nicht Probleme genug.

    Wenn der Regierungschef auf die EU scheißt, dann muss er ja ein Scheißkerl sein, seh ich das richtig?

     

    Kein Wunder, dass er Schwule diskriminiert und es mit dem Staat bergab geht.

  • V
    Vati5672

    Hallo,

     

    solange ihr nicht genauso oft über die Verfolgug und Töten von Schwulen in islamischen Ländern schreibt nehme ich euch nicht ernst.

    Was glaubt ihr sagen gewisse ähh religiös ausgerichtete "Migrantenverbände" in Deutschland über Schwule (u. Lesben).

    Was werden Sie sagen und handeln (lassen) wenn ihre Macht zunimmt?

     

    Vati5672

  • GH
    gaypride heisst auch lesbenparade

    Liebes Online Team

     

    zum Artikel http://www.taz.de/Serbien-verbietet-Schwulenumzug/!102917/

     

    Die gay pride in Belgrad galt nicht nur Schwulen sondern auch Lesben. Die kommen bei euch im Text nicht vor. Auf dem Foto sind zwei Frauen und zwei Männer zu sehen, weil -oh Wunder- auch jede Menge Lesben bei der Parade waren. Im Text steht überall nur "schwul". Also: Die Häfte der Homosexuellen kommen in diesem Text gar nicht vor, so als gäbe es die gar nicht.

     

    Bitte schreibt stattdessen Homosexuelle oder Homos, wenn ihr beide Geschlechter meint. Ihr würdet ja auch nicht auf die Idee kommen, in einmem Bericht über eine schwul-lesbische Veranstaltung immer nur von "lesbischen Demonstranten" und von einer "Lesben-Parade" zu sprechen, oder?

     

    Danke!

     

    Warum muss ich der taz sowas noch erklären, ihr seid doch sonst immer eurer Zeit voraus ;-)