Rechtsterrorist Breivik: Zweifel an Unzurechnungsfähigkeit
Die Kritik an dem Gutachten über den norwegischen Attentäter Anders Breivik wächst. Experten halten es für gefährlich, dessen bizarre Vorstellungen als Krankheit abzutun.
STOCKHOLM taz | Soll ein seit Jahrzehnten gängiges rechtsextremistisches Gedankengut die Basis dafür sein, einen Massenmörder für schuldunfähig erklären zu wollen? Diese Frage stellt Tore Bjørgo. Der Rechtsextremismusexperte bei der norwegischen Polizeihochschule ist einer jener Kritiker, die sich in Norwegen zum Ergebnis des gerichtlichen Gutachtens in Sachen des Anders Breivik zu Wort gemeldet haben.
Darin hatten die Psychiater Torgeir Husby und Synne Sørheim dem Terroristen aufgrund seiner "Wahnvorstellungen" paranoide Schizophrenie bescheinigt. Er sei damit unzurechnungs- und nicht schuldfähig. Als Straffolge käme statt Haft nur Behandlung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt in Betracht.
Den Gutachtern fehle offensichtlich die notwendige Kenntnis des Milieus, in dem Breivik sich bewegt habe, meint Bjørgo. "Ohne ein fundiertes Wissen über die kollektiven Vorstellungen zu haben, die in einem rechtsextremen Umfeld üblich sind", kann man Breiviks "bizarre und konspiratorische Vorstellungswelt nicht richtig einordnen".
Husby und Sørheim schreiben in ihrem Gutachten, sie hätten "die politische Botschaft", die Breivik etwa in seinem 1516-seitigen "Manifest" niedergelegt hatte, nicht berücksichtigt, da dies "ausserhalb des Mandats der Sachverständigen liegt". Aber gerade dieses Manifest sei der Schlüssel, wolle man Breiviks Vorstellungswelt verstehen, kritisiert Bjørgo. Diese sei nur Teil einer von Konspirationsvorstellungen geprägten Subkultur, die die Welt in gute und böse Kräfte aufteile. Ohne Kenntnis dieses Hintergrunds könne man nicht unterscheiden, "was in Breiviks Vorstellung kollektive und was individuelle Auffassungen von der Realität sind".
Insoweit die Gutachter zur Stützung ihrer Diagnose darauf hinweisen, Breivik sehe Norwegen in einem Krieg, er gehe davon aus, das nationale Erbe sei gefährdet, er habe deshalb die Aufgabe, die "Verräter" auszuschalten, dann stehe Breivik "damit alles andere als allein", meint Bjørgo: "Tausende teilen solche Auffassungen. Die meisten halten das für bizarr. Was aber nicht bedeuten muss, dass es ein Fall für die Psychiatrie ist."
"Unverdientes Monopol der Psychologie"
"Wenn wir wissen, dass Breivik viele Gesinnungsgenossen hat und seine Anschauungen durchaus verbreitet sind, haben wir ein gesellschaftliches Problem", gibt auch der Staatswissenschaftler Steingrímur Njálsson zu bedenken. Er befürchtet negative Konsequenzen, wenn man ihn einfach als "verrückt" abqualifiziere und "das dann auch mit anderen Leuten mit ähnlichen Vorstellungen macht". Bjørgo stimmt zu: "Wir brauchen eine Debatte über Rechtsextremismus, nicht über Breiviks Gehirn.
Wie wenig Husby und Sørheim offenbar von der "Szene" wissen, in der Breivik sich bewegte, zeigt laut anderer Kritiker, dass sie von diesem verwendete Ausdrücke wie "suicidal humanism", "national darwinism" oder "Justicar Knight" als von Breivik "selbst konstruiert" und deshalb als Beweis seiner Paranoia heranziehen. Tatsächlich seien solche Termini aber in islamkritischen Foren bzw. in der Computerwelt gebräuchlich.
Die Psychologie sei deutlich überfordert und hätte "bei solchen Schuldunfähigkeits-Gutachten ein unverdientes Monopol", meint Bjørgo: "Besser wäre eine multidisziplinäre Begutachtung, damit es verschiedene Einfallswinkel gibt."
Arne Thorvik, Gefängnisarzt und selbst seit 20 Jahren Gerichtsachverständiger, sieht das ähnlich und plädiert dafür, dass das Gericht neue Gutachter aus unterschiedlichen Disziplinen benennt.
Noch vor Weihnachten soll - wie nach norwegischem Strafprozessrecht üblich - eine neunköpfige rechtsmedizinische Kommission entscheiden, ob das fragliche Gutachten dem Prozess zugrundegelegt werden kann oder ernsthafte fachliche Schwächen hat.
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