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Psychiaterin über das Mollath-Verfahren„Es ist ein rechtsfreier Raum“

Vor Gericht darf der Psychiater wichtige Entscheidungen treffen – ohne mit dem Straftäter zu reden. Das kritisiert die Sachverständige Hanna Ziegert.

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus im August 2013: Gustl Mollath mit Topfpflanze. Bild: dpa
Interview von Lisa Schnell

taz: Frau Ziegert, woher wissen Sie, ob ein Straftäter psychisch krank und gefährlich ist?

Hanna Ziegert: Ob jemand als psychisch krank gilt, entscheidet sich nach zwei Diagnosekatalogen: Wenn ausreichend Kriterien erfüllt sind, kann ich sagen, der Mensch hat die eine oder andere psychische Krankheit. Ob jemand gefährlich ist, wird auch mit Prognoseinstrumenten abgeklärt und mit der Berufserfahrung. „Gefährlich“ werden wir in einer Lebenskrise. Straftaten werden nicht aus Glücksgefühlen heraus begangen, sondern in der Not, wenn der Mensch besonders verletzlich ist.

Hatten Sie selbst schon Zweifel an Ihrer Diagnose?

Ja. Psychiater irren sich natürlich gelegentlich. Schwere Rückfälle von Straftätern nach der Entlassung stellen jedoch die große Ausnahme da. Man weiß heute, dass viele Menschen viel zu lange im Maßregelvollzug festgehalten werden.

Gustl Mollath saß über sieben Jahre dort. In seinem jetzigen Prozess heißt es, zu Unrecht. Wie konnte das passieren?

Gutachter sind vorsichtige Menschen, die im Zweifel einen Straftäter lieber drin lassen. Eine Furcht ist es, sich geirrt zu haben.

Die meisten Gutachter hatten mit Mollath gar nicht gesprochen.

Eigentlich hätten sie sagen müssen: Ich kann zu keinem Ergebnis kommen, weil ich mit ihm nicht reden kann. Wir Psychiater leben davon, dass sich ein Patient äußert. Wenn ein Psychiater einen Patienten im Notdienst betreut, muss er mit ihm reden, sonst kann er sich strafbar machen. Aber im Gerichtssaal gilt es als in Ordnung, dass der Psychiater, ohne mit dem Straftäter zu reden, wichtige Entscheidungen trifft. Das ist nicht nachvollziehbar.

Wieso machen viele es trotzdem?

Gutachter sind davon abhängig, dass Richter und Staatsanwälte sie beauftragen. Bei der Staatsanwaltschaft München gibt es eine rote Liste – wenn du da draufstehst, bist du raus. Es bräuchte eine unabhängige Instanz, die die Gutachter bestellt.

Bild: BR
Im Interview: Hanna Ziegert

Die Psychiaterin ist seit 1981 bundesweit als psychiatrische Sachverständige in Gerichtsverfahren tätig. Sie entscheidet mit, ob ein Verbrecher seine Strafe im Gefängnis absitzen muss oder als psychisch krank in den Maßregelvollzug eingewiesen wird.

Sie selbst waren auch schon auf dieser roten Liste.

Als ich im Fernsehen auf die Abhängigkeiten zwischen Gericht und Gutachtern hinwies, stellte die Staatsanwaltschaft München in sechs Fällen den Antrag, mich als befangen abzulehnen. Geholfen hat mir die Reaktion der Presse darauf. Aber das ist neu. In den 90er Jahren, als mir gedroht wurde, dass ich keine Aufträge mehr bekomme, interessierte das in den Medien niemand.

Warum hat sich das geändert?

Der Fall Mollath traf auf den Zeitgeist. Das Pendel schlägt wieder in die systemkritische Richtung, wo es zum letzten Mal 1968 war. Plötzlich darf man Institutionen wie die Justiz kritisieren. Oder den Maßregelvollzug. Der war schon immer reformbedürftig – jetzt wird er durch Mollath zum ersten Mal infrage gestellt.

Ist er die „Hölle“, wie Mollath sagt?

Der Maßregelvollzug ist ein rechtsfreier Raum. Der Patient ist auf die Pfleger und Ärzte angewiesen. Insbesondere bei persönlichkeitsgestörten Straftätern kann ein Machtkampf entstehen: Wer kontrolliert, wer ist der Stärkere? Der Untergebrachte ist häufig der Unterlegene. Ein Patient, der kritisiert und sich nicht anpassen will, hat es schwer, Lockerungsstufen gewährt zu bekommen, nach denen der Maßregelvollzug heute funktioniert. Der Patient muss bestimmte Dinge leisten, dann wird er gelockert. Wenn kritische Patienten zum Beispiel zu spät vom Ausgang zurückkommen, kann eine Zurückstufung die Folge sein.

Jemand, der widerspricht, kommt also nicht mehr raus?

Es sei denn, er hat Glück, es gibt auch sehr kompetentes Personal im Maßregelvollzug. Im Knast ist man weniger auf Glück angewiesen, weil es mehr Regeln gibt. Dank Mollath beziehungsweise Hypobank soll es die jetzt auch im Maßregelvollzug geben.

Der Anspruch des Maßregelvollzugs ist es, den Patienten zu „bessern“. Funktioniert das in der Praxis?

Ein Problem ist: Die Therapeuten beziehungsweise die Gesprächspartner wechseln ständig. Die Grundlage einer guten Psychotherapie ist aber, über mehrere Jahre hinweg den gleichen Therapeuten zu haben. Doch in der Praxis ist einmal ein Arzt zuständig, dann wieder ein Sozialarbeiter oder Psychologe. Jeder wendet ein anderes Psychotherapieverfahren an. Ich habe zum Beispiel einen Straftäter begutachtet, der in 20 Jahren Unterbringung mit circa 15 Therapeuten konfrontiert wurde. Er fängt immer von vorne an und trifft gelegentlich auf inkompetente Gesprächspartner, die mehr Schaden anrichten können als nützen.

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9 Kommentare

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  • Leider hilft dieses Niveau der Diskussion gar nicht da jeder Arzt und vor allem Gerichtsgutachter auch je nach passierten Morden beliebige Diagnosen stellen, die das Umfeld dann auch ausfuehrt und die weitere Rechtsfolgen - wie in jedem Terrorregime zeitigen - nach sich ziehen. Wenn auch das Bestreben der Presse ist ihre Zensuren und Entsorgungen und Mittaeterschaften geheim zu halten ist es doch strafbar.

  • Psychiatrie und Deutscher Staat. Das ist ein fortlaufender Horrorfilm. Siehe (auch): „Lebensunwert? – Paul Wulf und Paul Brune, NS-Psychiatrie, Zwangssterilisierung und Widerstand“ (Verlag Graswurzelrevolution)

    • @Ardaga:

      Quatsch. In Deutschland hat sich ziemlich pioniermäßig ein professioneller, forschender Umgang mit derlei Krankheiten gebildet, damit auch eine Abkehr vom simplen Einsperren. Außerdem muss nicht bei allem mit NS-Geldverdienern, Knoppers sozusagen, vollgesoßt werden. Das ginge (klar, war ja ein Staat) bei jedem Thema ("NS und x" als Titel -> $), kommt aber immer etwas schräg und passt fast nie.

      • @ioannis:

        Das angegebene Zeitzeugnis (bis hinein ins 21.Jhdt.) lesen und assimilieren. Und dann. so noch Magen vorhanden bzw. vom Hüftschuss-Scheuklappenfetischismus befreit, den "Quatsch" bitte bestätigen.

      • @ioannis:

        Ach so, und Mollath war ein nur ein bedauerlicher Einzelfall. Heut ist´s besser, heißt nicht, dass es gut ist.

  • In diesem Prozess ging es erkennbar nur um den Selbstschutz des Richterstandes. Jetzt über die Psychiater herzufallen ist nicht fair. Wenn sie einen Auftrag vom Gericht erhalten wissen sie auch, was der Richter hören will, und wenn sie dem nicht gerecht werden gibt es keine Aufträge mehr.

    Unser Richterstand ist den Namen nicht mehr wert. Die Richter verstecken sich hinter der "Meinung" des Gutachters, der sich auf Meinungsfreiheit berufen kann. Damit werden die Richter ihrer Pflicht zum "Richten" nicht gerecht, das ist je sooo bequem.

     

    Dieses ganze System "Richter-Gutachter, aber ohne zivile Schöffen" gehört auf den Prüfstand.

    Seit die Beteiligung von staatsfreien Schöffen abgeschafft wurde ist der richterlichen Willkür Tür und Tor geöffnet, natürlich unter dem Deckmantel "richterlicher Unabhängigkeit".

  • "„Es ist ein rechtsfreier Raum“

    Vor Gericht darf der Psychiater wichtige Entscheidungen treffen – ohne mit dem Straftäter zu reden. Das kritisiert die Sachverständige Hanna Ziegert.…"

     

    Diese Sentenzenkombi - ist - mit Verlaub

    ahn Schmarrn.

     

    Hanna Ziegert - der ich ansonsten als in und vor der Justiz Erfahrener nur zustimmen kann - sagt vielmehr;

     

    "…Der Maßregelvollzug ist ein rechtsfreier Raum.…"

     

    Was sie damit sagen wil, legt sie dar;

    dem stimm ich aus eigener Erfahrung cum grano salis zu wie auch was die Auswahl willfähriger Gutachter angeht.

     

    Das - auch gern in der taz gepflegte -

    saloppe Gerede vom - rechtsfreien Raum - hingegen, halte ich für mehr als bedenklich.

     

    Das ist - hart formuliert - Nazi-Jargon,

    befeuert durch die durchsichtige

    Ausnahmezustand-Apologetik

    eines - Der Führer schützt das Recht - Carl Schmitt.

     

    Genau deswegen - Insonderheit durch die Art 1, 19 und 79 abgesichert - gibt es unter und seit der Geltung des Grundgesetzes, unserer Verfassung -

    keinen rechtsfreien Raum -

    auch nicht theoretisch.

     

    &nichts zeigt das u.a. deutlicher,

    als das wieder aufgenommene Verfahren des so geschundenen

    Herrn Mollath;

    was aber eben auch nichts entschuldigt.

  • "Eigentlich hätten sie sagen müssen: Ich kann zu keinem Ergebnis kommen, weil ich mit ihm nicht reden kann."

     

    Ja, woran lag das wohl ? Einem Patienten, der mutmaßlich an Paranoia erkrankt ist, das Eingehen auf seine paranoiden Wahnvorstellungen zu verweigern, bedeutet, dass der Patient sich verschließt und hat in Mollaths Fall die Erkenntnis verhindert, dass die Diagnose Paranoia mit großer Wahrscheinlichkeit falsch war. Zudem ordnet man eine Verweigerung der Einnahme von Psychopharmka vorschnell einer paranoiden Psychose zu.

    Folglich könnte man zur Causa Mollath den obigen Satz berichtigen:

    "Eigentlich hätten sie sagen müssen: Ich kann zu keinem Ergebnis kommen, weil ich mit ihm nicht reden darf."

    Ich unterstelle, dass die Psychater der Ferndiagnostik zu einem bestimmten Ergebnis kommen sollten und nicht einem fachl. Irrtum aufgesessen sind. Die Psychatrierung von polit. brisanten Menschen ist eine moderne Hinrichtungsform in der Maske der medizin. Hilfestellung.

    Ups, bin ich jetzt ein verschwörungstheoret. Paranoiker ?

     

    Mittlerweile befürchte ich, dass G. Mollath nach Jahren der psych. Folter wirklich an der Seele erkrankt ist und sich im Kampf um sein Recht dabei aufreibt, denn eines ist er gewiss; Ein hartnäckiger Querulant, den diese kranke Gesellschaft aber bitter nötig hat.

  • Zustimmung! Ein Gutachten ohne jemals ein Wort mit dem zu Begutachtenden gewechselt zu haben sind nicht nur wertlos sondern kriminell. Die damaligen Gutachter Mollaths gehören selbst als Angeklagte vor Gericht; Beihilfe zur Freiheitsberaubung - da gibts doch bestimmt irgendwas...