Prozess um Oury Jallohs Tod: Belagerte Staatsanwaltschaft
Aktivisten haben den Druck auf die Ermittlungsbehörden erhöht, den Feuertod von Oury Jalloh zu untersuchen. Sie beauftragten ein neues Brandgutachten.
BERLIN taz | Der Oury-Jalloh-Prozess geht in die letzte Phase: Noch im Dezember will das Landgericht Magdeburg den Revisionsprozess um den Feuertod des Sierra Leoners im Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle zu Ende bringen. Es ist womöglich die letzte Chance, die noch immer mysteriösen Geschehnisse aufzuklären.
Seit Montag belagert deshalb die Initiative Gedenken an Oury Jalloh die Staatsanwaltschaft in Dessau. Rund 20 AktivistInnen versammelten sich am Vormittag vor dem Gebäude der Anklagebehörde. Bis zum kommenden Sonntag wollen sie dort ausharren. Sie fordern von der Staatsanwaltschaft nicht weniger als eine neue Anklage: „Staatsanwalt Preissner blendet die Frage nach der Todesursache von Oury Jalloh aus“, heißt es in einer Erklärung der Initiative.
Sie verweist auf ein gerichtliches Gutachten, das besagt, dass keine DNA-Spuren oder Faserreste von Jalloh an dem Feuerzeug gefunden wurden, mit dem der gefesselte Sierra Leoner seine Matratze laut Staatsanwaltschaft selbst entzündet haben soll. „Nichts spricht jetzt mehr dafür, dass das Feuerzeug in der Zelle war“, so die AktivistInnen. Deshalb müsse Preissner „endlich Anklage wegen Mordes“ gegen die beschuldigten Polizisten erheben.
Preissners Chef, der leitende Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, verwies am Montag darauf, dass die Anklagebehörde derzeit eine weitere Untersuchung des fraglichen Feuerzeugs prüfe. Es sei nach wie vor offen, ob die am Feuerzeug gefundenden Kunststoffreste während des Brandes eingeschmolzen seien. „Wir warten noch auf die fachwissenschaftliche Aussage darüber, ob und, wenn ja, welche Untersuchungsmethoden hierfür zur Verfügung stehen“, so Bittmann.
Das Feuerzeug war seinerzeit nicht bei der ersten Untersuchung der Zelle nach Jallohs Tod gefunden, sondern erst nachträglich in die Asservatenliste eingetragen worden. Die Videobänder von der Durchsuchung der Zelle sind bei der Polizei verschwunden. Bittmann bestätigte zwar, dass an dem Feuerzeug kein DNA-Material „des leider so grausam verbrannten Opfers zu finden war“. Doch dies sei „auch nicht zu erwarten gewesen“, weil DNA-Spuren bei Hitze zerfallen.
Die Oury-Jalloh-Initiative hat in der letzten Woche ein völlig neues Brandgutachten bei einem Sachverständigen bestellt. Die durch eine laufende Spendenkampagne finanzierte, 40.000 Euro teure Untersuchung soll den Brandverlauf komplett rekonstruieren. „Das haben die vom Gericht bestellten Gutachter nämlich noch nie getan“, sagte Mouctar Bah, der im Verfahren als Nebenkläger die Familie des Toten vertritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften