Polizeifunktionär über Rote-Flora-Protest: „Abschaum“ statt Demonstranten
Ein Polizeigewerkschafter hat Demonstranten beschimpft, die den Erhalt der „Roten Flora“ forderten. Selbst sein Chef kritisiert seine Wortwahl.
BERLIN taz | Während in Hamburg die Scherben nach den Straßenschlachten zwischen Autonomen und der Polizei noch zusammengefegt werden, ist eine Debatte über die Deutung der Ereignisse entbrannt. Das Netzwerk „Recht auf Stadt“ prangert in einer Erklärung an, dass mit dem Stopp der Demonstration durch die Polizei nach wenigen Metern das „Grundrecht auf Versammlungsfreiheit suspendiert“ worden sei, und spricht von einer „Putinisierung der Politik“, die „Kritiker der Senatspolitik mit willkürlicher Polizeigewalt politisch demütigt“.
Dass es sich bei den Aktivisten vor dem Hamburger Kulturzentrum „Rote Flora“ um Demonstranten mit Grundrechten handeln könnte, kam Björn Werminghaus, dem Vizechef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG) in Hessen, dagegen wohl nicht in den Sinn. Über sein Twitterkonto schrieb er am Sonntag, in Hamburg „sind ja auch keine Demonstranten, sondern gewalttätiger Abschaum“. Der Beitrag war als Antwort an einen Nutzer formuliert, der die „renommierten Medien“ dafür kritisierte, nur über die Anzahl der verletzten Polizisten zu berichten. Auf Werminghaus' Entgleisung reagierte der User Bohm in einer Antwort mit einem Wort: „Arschloch“.
Öffentlich kommentieren wollte Werminghaus, der in Hamburg nicht vor Ort war, sondern die Vorgänge am heimischen Computer verfolgte, seine Aussage nicht. Er bestätigte jedoch, dass er der Urheber des Tweets sei. Noch in der Nacht zu Montag habe er sein Profil beim sozialen Netzwerk deaktiviert.
Auskunftsfreudiger zeigte sich dagegen Rainer Wendt, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft. Dies sei „nicht der Sprachgebrauch der DpolG und der Kollege Werminghaus „bedauere seine Aussage ausdrücklich“, sagte er der taz. Die „historisch belastete Formulierung“ sei aber Folge eines „verständlichen Zustands der Empörung“. Der Begriff „Abschaum“ wurde zu Zeiten des deutschen Faschismus von Rassenideologen zur Bezeichnung von „unerwünschten“ Gruppen wie Obdachlosen oder Prostituierten verwendet.
Keine Konsequenzen
Konsequenzen für Werminghaus schloss Wendt aus, auch inhaltlich sprang er ihm zur Seite: „Selbstverständlich handele es sich nicht um Demonstranten, sondern um Gewalttäter“, sagte Wendt.
Werminghaus, nach eigenen Aussagen Twitter-Anfänger, meldete sich auch auf Facebook zu Wort. Er postete ein Video der Hamburger Krawalle unter der Überschrift „Unglaublich! Feuerwerkskörper direkt auf Kollegen gefeuert“, das ein Bekannter mit „Warum wird da nicht wirklich mal angegriffen und jedem von diesen wichsern einfach der dämliche Schädel eingedroschen?!?!!!!!!“ (sic!) kommentierte. Dem Polizeigewerkschafter war das in einem Folgekommentar lediglich die Aussage wert: „Ja der Film ist leider von der falschen Seite kommentiert“. Das Video ist bei Youtube unter dem Titel „Rote Flora Polizei verhindert Demonstration“ eingestellt.
Christoph Twickel, aktiv beim Netzwerk „Recht auf Stadt“, spricht von einer „traurigen Realität deutscher Polizeigewerkschaften“. Die Aussage von Werminghaus passe zu der Einsatzstrategie der Hamburger Polizeiführung, die „gezielt Krawallbilder produzieren wollte“. Den politischen Fragen nach dem Erhalt des Kulturzentrums „Rote Flora“, der Esso-Häuser und dem Bleiberecht für die Lampedusa-Flüchtlinge solle die „Legitimität abgesprochen“ werden. „Würde die Polizeigewerkschaft tatsächlich die Interessen der einzelnen Beamten verfolgen, müsste sie kritische Fragen zur eskalierenden Einsatzstrategie stellen, für die ihre Mitglieder verheizt wurden“, so Twickel.
Update 16:55: In einer früheren Version dieses Artikels wurde der Tweet des Users Bohm falsch zitiert.
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