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Politprominenz auf dem tazlab„Ist gutes Leben in Stuttgart möglich?“

Winfried Kretschmann spricht beim tazlab über Opposition, Mercedes und seine größte Angst. Sahra Wagenknecht hingegen ist auf der Suche nach Entschleunigung.

Möchte mehr Bücher lesen, wirkt aber noch nicht hunderprozentig tiefenentspannt: Sahra Wagenknecht. Bild: Wolfgang Borrs

BERLIN taz | Da sitzt er nun, der Froschkuttel-Liebhaber aus dem Ländle, in grauem Anzug und der unverwechselbaren Bart-Simpson-Frisur in Grau: Winfried Kretschmann.

Das Auditorium des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) ist nicht voll, aber gut gefüllt. „Sie sind der erste baden-württembergische Ministerpräsident auf einem taz-Kongress“, sagt Peter Unfried, einer der Moderatoren und taz-Chefreporter. „Ich habe keine Ahnung, woran das liegt.“ Nach den Wahlen vor einem Jahr habe Kretschmann die rot-grüne Regierung gebildet. „Grün-rot!“, kreischt es unisono aus dem Publikum. „Na, das geht ja interaktiv los“, sagt taz-Redakteur Jan Feddersen, Organisator des taz.lab, der dieses Panel ebenfalls moderiert.

„Was ist für Sie ein 'gutes Leben', Herr Ministerpräsident?“, dieses Thema soll die Veranstaltung dominieren. Oder besser: „Ist ein gutes Leben in Stuttgart tatsächlich möglich?“, fragt Unfried.

Kretschmann, Inhaber des Froschkuttel-Ordens (mindestens 25 Froschkutteln soll er zu diesem Zweck gegessen haben), lächelt und sagt: „Ich will jetzt nicht sagen: Wo sonst? Aber ja doch, auf den zweiten Blick ist das sehr gut möglich.“ Schwäbischer Zungenschlag, natürlich. Es lacht aus dem Publikum. Die Veranstaltung bleibt so kurzweilig und heiter, manchmal driftet sie aber doch etwas ins Seicht-Schenkelklopferhafte.

Also mehr Ernst. Jan Feddersen will es genauer wissen. „Was entgegnen Sie den Stimmen, die Ihnen vorwerfen, sie verwässerten, hätten Ihre radikale Oppositionshaltung nicht verloren, aber eingedämpft?“ „Naja“, sagt Kretschmann. „Ich bin nicht mehr in der Opposition, warum soll ich da Oppositionsreflexe entwickeln? Und überhaupt: Radikal ist ja auch relativ.“ Die Oppositionsbänke seien hart, sie regen zum Denken an, sagt Kretschmann. Und das könnte die Union im Bund derzeit sehr gut vertragen.

Während sich Kretschmanns Leben mit seinem Amt um ein Vielfaches beschleunigt hat, spricht Sahra Wagenknecht zur gleichen Zeit in einem Nebenraum vom Gegenteil, dem entschleunigten Leben.

Wege aus der Steigerungsfalle

Das Publikum macht es vor. Draußen im Garten des HKW liegen ein paar Hundert Besucher entspannt auf Liegestühlen oder im Gras, im Raum war es zu voll. Die Sonne scheint ihnen im Gesicht. Manche haben die Augen geschlossen. Ganz im Sinne des Veranstaltungsthemas folgen sie hier draußen über Lautsprecher Sahra Wagenknecht, Vizefraktionschefin der Linkspartei, und Hartmut Rosa, Soziologe an der Uni Jena, die über „Wege aus der Steigerungsfalle“, über die beschleunige Gesellschaft und Politik sprechen.

Hartmut Rosa beschreibt seine These der Steigerungslogik, nach der moderne Gesellschaften nur noch bei ständigem Wachstum den Status Quo erhalten können, die eigentliche Ziele aber aus den Augen verloren haben. „Dieses Konzept ist schlicht falsch“, sagt er. Wagenknecht warnt vor den Folgen der Anforderungen an die Menschen. „Der Kapitalismus befördert Abstiegsängste. Ungleiche Gesellschaften befördern Ellenbogen-Dynamiken“. Wer mithalten will muss ständig erreichbar sein, muss mehr Zeit investieren als eigentlich möglich.

Nicht nur in solchen gesellschaftlichen Maßstäben suchen Wagenknecht und Rosa nach Entschleunigung. Auch im eigenen Leben. „Als Politikerin ist man nicht gefeilt vor überbordenden Zwängen. Man unterwirft sich ihnen“, sagt Wagenknecht. Erwartungen kommen auch aus der eigenen Partei. Den müssen man sich erwehren.

Lieber mal ein Buch

Denn ohne ausreichend Freiraum, ohne dass man als Politiker Bücher liest, das Privatleben genießt, könne man seinen Job nicht ordentlich ausüben. „Wir brauchen doch Ideen und Anregungen. Es besteht sonst die Gefahr, dass wir nur noch lauter verbitterte Politiker haben.“ Also lieber mal eine Podiumsdiskussion absagen, eine Gremiensitzung ausfallen lassen und ein Buch zur Hand nehmen.

Oder ins Kloster gehen für ein paar Tage? So, wie es Horst Seehofer und Christian Wulff kürzlich vorgemacht haben. Um Kraft zu sammeln, Zeit für Familie und Gedanken zu haben? Nein sagt Hartmut Rosa. Eine kurze Auszeit helfe Politikern nicht weiter. „Das ist nur funktionale Entschleunigung, die lediglich dazu beflügelt im Hamsterrad zu überleben“.

Stattdessen brauche es ein ganz neues Politikmodell. In den Parteien und in der Gesellschaft müsse ein Umdenken stattfinden. „Wir müssen als Politiker aus diesem Rechtfertigungsdruck rauskommen, immer bereit zu stehen, am Abend, am Wochenende“, sagt Wagenknecht. Ähnliches lasse sich auf beinahe alle Berufe übertragen. Ihr Wunsch klingt vage. Aber schön.

Reizthema S21

Nebenan im Auditorium ist die Hälfte des Panels schon rum, als sich plötzlich ein Überraschungsgast auf die Bühne setzt. Daniel Cohn-Bendit, grüner Europaabgeordneter. Vier Männer sind es nun. Die Quote ist erfüllt. Cohn-Bendit sträubt sich gegen die Aussage, der Bau des Stuttgart-21-Bahnhofs sei alternativlos. „Es gibt immer Alternativen in der Demokratie, etwas ist nie die einzige Lösung.“

Da wird Kretschmann ernst. „Dass man die Leute so enttäuschen muss, ist die Härte dieses Amtes. Das ist wirklich nicht lustig.“

Am Ende dann kurze Fragen von Unfried, kurze Antworten von Kretschmann.

„Produzieren Sie Ihren Strom selbst?“

„Ja, zum großen Teil.“

„Wie denn?“

„Mit einer Photovoltaikanlage. Allerdings, mit der ganzen Sicherheitsinstallation in meinem Haus reicht der Strom da nicht aus.“ Lachen.

„Es heißt, Sie fahren schon immer privat Mercedes. Stimmt das?“

„Nein. Ich fahre seit etwa zwei Jahrzehnten Mercedes. Vorher bin ich andere Autos gefahren.“

„Wovor haben Sie Angst?“

„Erstmal bin ich kein angstgetriebener Mensch. Aber vor einem schlechten Tod hab ich schon Angst.“

„Diese Frage habe ich Ihnen schonmal gestellt: Wann sind Sie glücklich?“

„Es gibt Fragen, deren Beantwortung für die Öffentlichkeit nicht geeignet sind.“

Klatschen. Das gute Leben des Ministerpräsidenten bleibt geheim.

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10 Kommentare

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  • D
    Domenq

    Wir wissen über das Privatleben von Frau Wagenknecht nichts aus erster Hand, aber es scheint so zu sein, dass sich Frau Wagenknecht auch privat von schönen Sprücheklopfern blenden lässt; und zudem so wenig "langfristig" orientiert scheint.

     

    Ja - junge (linke) Männer können langweilen; aber nur, wenn man extrem kopflastig durchs Leben geht.

  • W
    womue

    Also mehr "entschleunigen" - Was man früher das Leckt-mich-am-Arsch-Gefühl genannt hat.

  • H
    http://www.stiftung-hsh.de/

    Gutes Leben ist nur ohne SED-Leute wie Sarah Wagenknecht möglich. Mörder, Folterer und Unterdrücker sind also die richtigen Fachleute für die taz. Was sagen denn die Kamaraden der NPD zum Thema? Ach so, die inserierern ja nicht täglich in der taz und außerdem sind die ja nicht nur sozialistisch sondern auch noch national. Da ist natürlich moralisch Schluß. Abkanllen für die gute Sache, Totquälen im Gulag wenn es der guten Sache dient aber die Nazis wollen ja nicht das Gute. Ihr seid moralisch allerdings keinen Millimeter besser.

  • R
    reblek

    "Es gibt Fragen, deren Beantwortung für die Öffentlichkeit nicht geeignet sind." - Und es gibt eine Grammatik, die nicht nur für die taz nicht geeignet "sind".

  • V
    vic

    Winfried Kretschmann genießt meine Sympathie allein scvon dafür, dass er dem dschwarzen Regime in B.W. ein Ende bereitet hat. Sahra Wagenknecht schätze ich ohnehin als enorm kompetente Politikerin mit Weitblick.

    Sehr interessanter Bericht also.

  • T
    taz-Nazis

    Ihr seid doch einfach anders gefärbte Nazis. Wer Leuten wie Sarah Wagenknecht ein Podium bietet ist Null komma null besser als die NPD.

  • GO
    Gottfried Ohnmacht-Neugebauer

    "Da wird Kretschmann ernst. „Dass man die Leute so enttäuschen muss, ist die Härte dieses Amtes. Das ist wirklich nicht lustig.“ "

    http://taz.de/Politprominenz-auf-dem-tazlab/!91466/

     

    Wenn Kretschmann seiner Pflicht nachkommen würde, dann müßte er niemanden enttäuschen. Niemand hat beispielsweise von Kretschmann verlangt, dass er es rechtfertigt, dass in einer stürmischen Regennacht die Bäume vor dem Wagenburgtunnel gefällt wurden; aber er hat eben dies mit einer glänzenden Apologetik gerechtfertigt. Dass diese Nacht der Dunkelheit auch noch die Nacht zum Sonntag war, und dass die Fällarbeiten unter Polizeischutz auch noch mit einer Verletzung der Sonntagsruhe verbunden waren, das hat er sicherlich nur zu erwähnen vergessen, sonst wäre ihm sicherlich eingefallen, dass auch dies nur ein alternativloser Dienst an der Demokratie war, den er schweren Herzens leisten musste, so als ob diese Arbeiten nicht an jedem anderen Tag und in jeder anderen Nacht hätten erfolgen können.

     

    Niemand zwingt Kretschmann dazu, Gesetzesverstöße zu tolerieren. Niemand zwingt Kretschmann dazu, dass er gefälschte Stresstests akzeptiert. Und niemand verlangt von Kretschmann, dass er darauf verzichtet, zu prüfen, ob der geplante Tiefkeller-Schrägbahnhof des Projekts "Stuttgart 21" tatsächlich eine höhere Kapazität hat, oder ob die Behauptungen der Bahn aus der Luft gegriffen sind. Das Handeln der Kretschmann Regierung ist nicht von dem Dienst an der Demokratie, sondern nur von plumpem Machtkalkül diktiert.

  • GO
    Gottfried Ohnmacht-Neugebauer

    "Da wird Kretschmann ernst. „Dass man die Leute so enttäuschen muss, ist die Härte dieses Amtes. Das ist wirklich nicht lustig.“ "

    http://taz.de/Politprominenz-auf-dem-tazlab/!91466/

     

    Wenn Kretschmann seiner Pflicht nachkommen würde, dann müßte er niemanden enttäuschen. Niemand hat beispielsweise von Kretschmann verlangt, dass er es rechtfertigt, dass in einer stürmischen Regennacht die Bäume vor dem Wagenburgtunnel gefällt wurden; aber er hat eben dies mit einer glänzenden Apologetik gerechtfertigt. Dass diese Nacht der Dunkelheit auch noch die Nacht zum Sonntag war, und dass die Fällarbeiten unter Polizeischutz auch noch mit einer Verletzung der Sonntagsruhe verbunden waren, das hat er sicherlich nur zu erwähnen vergessen, sonst wäre ihm sicherlich eingefallen, dass auch dies nur ein alternativloser Dienst an der Demokratie war, den er schweren Herzens leisten musste, so als ob diese Arbeiten nicht an jedem anderen Tag und in jeder anderen Nacht hätten erfolgen können.

     

    Niemand zwingt Kretschmann dazu, Gesetzesverstöße zu tolerieren. Niemand zwingt Kretschmann dazu, dass er gefälschte Stresstests akzeptiert. Und niemand verlangt von Kretschmann, dass er darauf verzichtet, zu prüfen, ob der geplante Tiefkeller-Schrägbahnhof des Projekts "Stuttgart 21" tatsächlich eine höhere Kapazität hat, oder ob die Behauptungen der Bahn aus der Luft gegriffen sind. Das Handeln der Kretschmann Regierung ist nicht von dem Dienst an der Demokratie, sondern nur von plumpem Machtkalkül diktiert.

  • M
    Marvin
  • M
    Marvin

    „Dass man die Leute so enttäuschen muss, ist die Härte dieses Amtes. Das ist wirklich nicht lustig.“

     

    Das mag stimmen, aber war es nicht auch Teil des Plans? Sich an die Spitze der Bewegung zu setzen bzw. die Bewegung für sich zu vereinnahmen, die Landtagswahl zur Entscheidung über diesen schrecklich unnützen Bahnhof zu deklarieren und sich somit in Ämtern und Posten einzurichten?

     

    Kretschmann betont bisweilen, "früher links" gewesen zu sein - aber wann das gewesen sein soll, erschließt sich nicht. Kretschmann vertrat von Anfang an den äußeren rechten Rand der grünen Partei, stand stets gegen die, die die ökoligische Frage mit der sozialen verknüpfen wollten.

     

    Kretschmann war schon immer das Nein zu den Grünen als alternative Partei, das Nein zur Rotation, Ja zu einer "ökologisch fundierten Marktwirtschaft" und zur CDU! Er ist in diesem Sinne auch keineswegs der erste grüne Ministerpräsident. Er ist derjenige, der die Bezeichnung "grüne FDP" vermutlich eher als Ehrentitel denn als Beleidigung auffassen würde!

     

    Zu Cohn-Bendit mag ich ja fast gar nichts mehr schreiben ... Karrierist, bisweilen rassistischen Einschlags, personifizierte Arroganz, grandios gespielte moralische Empörung.

     

    Wenn mensch ein wenig genauer in die Geschichte der Grünen eintaucht, erscheint einer*m die Porsche-Sympathien des Kretschmann und sein wohlwollender Umgang mit der CDU keineswegs neu & vielleicht gar innovativ: Es ist seit jeher seine Position!

     

    Es geht ja auch erst einmal gar nicht darum, das zu werten - aber klarstellen sollte man es, dass das keine linken oder sozialökologischen Wesen sind, mit denen wir uns hier konfrontiert sehen. Und dass es in den Grünen immer schon Rechte, bishin sogar zu eindeutig braunen Weltbewahrern gegeben hat - die Grünen werden immer viel zu sehr vom Strickpulli aus gedacht, vom Gras und von Brokdorf aus. Und frisch gekaufte Turnschuhe mit frischem Wind verwechselt, bis heute.

     

    Es ist so schade, dass der Taz, deren Geschichte doch eine gewisse Verwobenheit mit der der Grünen offenbart, diese kritische Distanz nicht aufweist.