Parteitag in NRW: Piratentreffen im Jammertal
Die von Affären gebeutelten NRW-Piraten wählen eine neue Spitze und bestehen auf der Trennung von Amt und Mandat. Dennoch herrscht Misstrauen.
BOTTROP taz | Mies ist die Stimmung beim Landesparteitag der Piraten am Wochenende in Bottrop. Der scheidende Landeschef Sven Sladek klagt über „diverse private Probleme“, die die Arbeit des Vorstands erschwert hätten. Sein Stellvertreter Ralf Gloerfeld jammert, die Parteimitglieder trauten „sich gegenseitig nichts mehr zu“. Die Piraten dürften sich „nicht an jedem Skandal aufgeilen“, mahnt die Co-Vorsitzende Christina Herlitzschka – und fordert die Basis auf, sich „gegenseitig zu ermutigen, wenn der Bundes- und Landesvorstand Scheiße machen“.
Zu besichtigen ist eine zutiefst verunsicherte Partei. Seit ihrem Einzug in den Düsseldorfer Landtag 2012 wurden die NRW-Piraten von einer ganzen Reihe von Affären gebeutelt: Zuletzt hatte der kommissarische Politische Geschäftsführer Alexander Reintzsch ein Gutachten zurückgehalten, das die Listenaufstellung zur Bundestagswahl für rechtswidrig erklärte. Die Geheimniskrämerei verletze die eigenen Parteiprinzipien, kritisierten selbst Landtagsabgeordnete der Piraten.
Am Samstag verteilten die Piraten ein Gegengutachten ihrer Bundesrechtsabteilung, das die erste Expertise für fehlerhaft erklärte – die Liste könne eingereicht werden.
Doch das Gutachten war längst nicht die einzige Panne. Auch Reintzsch’ Vorgänger Klaus Hammer wurde gefeuert: Im Streit um rechtsextreme Tendenzen hatte er seine Altpapiertonne zum toten Briefkasten umfunktioniert und so vertrauliche Dokumente weitergereicht. Die Abgeordnete Birgit Rydlewski machte //twitter.com/B_Rydlewski:per Twitter vor allem mit ihrem Sexualleben von sich reden, und Ex-Landeschef Michele Marsching hatte schon vor dem Einzug in den Landtag eine Diätenerhöhung gutgeheißen. Nach Bottrop waren deshalb nicht einmal 300 der rund 6.000 wahlberechtigten NRW-Basispiraten gekommen.
„Vom Aktivisten zum politischen Menschen“
Alle drei bisherigen Vorsitzenden standen für eine Wiederwahl nicht zur Verfügung. Der Landtagsfraktion mehr Einfluss einräumen wollte die Parteibasis aber auch nicht. Marsching scheiterte mit seinem Versuch, erneut den Vorsitz zu übernehmen. Stattdessen wählten die Piraten mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen den Düsseldorfer Patrick Schiffer – obwohl der Schwierigkeiten hatte, die Frage des Landtagsfraktionsvorsitzenden Joachim Paul zu beantworten, wie er die Partei inhaltlich aufstellen werde. Immerhin: Er wolle sich „vom Aktivisten zum politischen Menschen“ entwickeln, versprach der 40-Jährige nach seiner Wahl.
Gescheitert ist Marsching auch an seinen FraktionskollegInnen. Der stellvertretende Parlamentarische Geschäftsführer Frank Herrmann machte dem Ex-Landeschef das vergiftete Kompliment, die Fraktion brauche seinen gesamten Arbeitseinsatz. Gefördert wurde die strikte Trennung von Amt und Mandat. Schon im Vorfeld des Parteitags war Marsching als „Karrierist“ geschmäht worden.
Der 34-Jährige hatte auch über eine Kampfkandidatur um den Posten des Landtagsfraktionschefs nachgedacht, sich dann aber auf den Parteivorsitz konzentriert. Gewinner der vorerst gescheiterten Karrierepläne Marschings ist damit Joachim Paul – der Fraktionschef dürfte für seine im Sommer anstehende Wiederwahl keinen Gegenkandidaten fürchten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos