Parteitag der Piraten: Der weite Weg zur sechsten Kraft

Auf einem vollkommen überfüllten Parteitag beschließen die Piraten ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und hoffen auf den Einzug in den Bundestag. Doch die Wahl ist erst 2013.

Parteitag mit Laptops, Luftballons und jeder Menge Kabelsalat. Bild: reuters

Offenbach taz | Irgendwann zwischen Antrag X037 und Antrag PA117 kommen Zweifel auf. Zweifel, ob die Piraten es bis zur Bundestagswahl im Jahr 2013 tatsächlich schaffen werden, sich thematisch so zu erweitern, wie es die Anträge für den Parteitag suggerieren. Oder ob sie nicht doch einige Jahre brauchen, um sich darüber klarzuwerden, wohin sie wollen oder, wie es ein Redner formuliert, "was der Kernimpuls ist, der uns zusammengeführt hat".

Vier Stunden zuvor: Vor der Stadthalle im hessischen Offenbach sieht es aus, als würde gleich ein Rockkonzert stattfinden. Vorwiegend junge, vorwiegend männliche Besucher stehen vor dem Eingang in einer Schlange, die quer über den Vorplatz reicht. Nur dass an den Fahnenstangen vor der Halle orangefarbene Flaggen mit dem Parteilogo wehen und irgendjemand eine kleine Jacht aufgebaut hat, verrät, wer hier wirklich auf der Bühne steht.

Drinnen ist die Halle, in die die Piraten zu ihrem neunten Bundesparteitag geladen haben, bis auf den letzten Platz gefüllt. An langen Tischen, grob nach Landesverbänden sortiert, sitzen die Parteimitglieder vor ihren Notebooks. Dazwischen Luftballons, Saftflaschen, Flyer, Kabelsalat, es dominieren die Farben Schwarz und Orange. Zur Begrüßung gibt es Kunstnebel, Fahnenschwenken und einen Hauch von großer Show, bevor es in die inhaltliche Debatte geht.

6 Prozent im Bundestrend

"Aufgekratzt" - dieses Wort beschreibt die Stimmung beim Parteitag wohl am besten. Wie die eines Kinds, das kurz vor Weihnachten auf das große Geschenk hofft. Die Hoffnung der Piraten: ein Erfolg bei der Bundestagswahl 2013 und der Einzug in den Bundestag.

In den letzen Monaten lief es gut für die Partei. Mandate in diversen kommunalen Parlamenten, 8,9 Prozent bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und damit der Einzug in das erste Landesparlament. Danach stiegen auch bundesweit die Umfragewerte: erst 4,5 Prozent, zwischenzeitlich sogar 7 Prozent, zuletzt immer noch 6 Prozent.

Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren bekam die Partei gerade mal 2 Prozent der Wählerstimmen. Entsprechend stark werden die Berliner Piraten in Offenbach bejubelt. Sie haben geschafft, wovon die anderen noch träumen.

Weiter im Selbstfindungsprozess

Doch die "politische Geschäftsführerin" Marina Weisband relativiert die Umfrageergebnisse: "Die Wahl ist 2013, das ist noch verdammt weit weg, bis dahin kann noch viel passieren." Man müsse sich auf die Parteiarbeit konzentrieren, neue Mitglieder integrieren, thematisch arbeiten, eine interne Struktur finden. "Ich weiß, das ist schwieriger, als Wahlpartys zu machen."

Dabei fühlen sich noch nicht alle so weit, bundespolitisch mitzumischen. "Wie sind momentan noch im Selbstfindungsprozess", sagt ein Pirat aus einem niedersächsischen Kreisverband. Mit bundespolitischen Themen habe man sich noch nicht befasst.

Der starke Zulauf hat auch seine Schattenseiten. Den Samstag über müssen immer wieder Neuankömmlinge draußen bleiben - der Brandschutz erlaubt nicht, dass sich mehr als die 1.500 Menschen in der Halle aufhalten. Die Neuen dürfen erst rein, wenn dieselbe Anzahl von Gästen den Parteitag verlassen hat.

Zwischendurch sieht sich die Versammlungsleitung genötigt, zu sagen, dass man sich über jeden Gast freue, der die Veranstaltung verlasse und damit Platz für andere Parteimitglieder mache.

Keine Delegierten

Dass es voll werden würde, war schon im Vorfeld abzusehen. Dennoch hatte man sich gegen ein Delegiertensystem entschieden. "Das würde uns zu weit in die Richtung der etablierten Politik führen, von der wir uns gern abgrenzen wollen", sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende Bernd Schlömer.

So reicht die Schlange vor dem Saalmikrofon auf der einen Seite fast bis zur Tür, auf der anderen bis zur Empore. Es ist früher Samstagnachmittag, als das am umstrittenste Thema auf die Tagesordnung kommt: der Antrag auf ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Wiederholt greift der Versammlungsleiter ein und versucht, den enormen Lärmpegel zu senken. "Mindestlohn ist eine Brückentechnologie, damit haben wir im Wahlkampf großen Zuspruch gefunden", wirbt der Berliner Abgeordnete Alexander Spies für seinen Antrag. Das Grundeinkommen sei aber ein Thema, das auf Bundesebene entschieden werde, deshalb müsse man es auch dort beschließen.

"Es wird immer suggeriert, das bedingungslose Grundeinkommen würde sämtliche gesellschaftlichen Probleme lösen", widerspricht ein Redner. Nähme man sich dieses Themas an, sei das eine Chance auf ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Parteien, argumentiert ein anderer.

Inhaltlich gespaltene Piraten

Staatsverschuldung versus soziale Gerechtigkeit, Finanzierung versus Abbau der Sozialsystems - die Piraten sind gespalten. Auf dem Parteitag im vergangenen Jahr konnte man sich nach einer langen Diskussion nur für ein "Recht auf eine sichere Existenz" einigen. "Es geht erst mal um den Umbau unserer Gesellschaft, wie das finanziert wird, das kommt später", versucht ein Redner finanzielle Bedenken zu entkräften. Die notwendige Zweidrittelmehrheit wird schließlich denkbar knapp erreicht - 66,9 Prozent stimmen für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

"Streitet euch weiter, aber tut das produktiv und auf einer sachlichen Ebene", hatte Weisband zuvor ihre Parteikollegen aufgefordert. Sachlich und produktiv läuft es aber nicht immer: Eine Gruppe hinten rechts im Saal beginnt irgendwann, bei einigen Rednern die letzten Sekunden ihrer Redezeit auszuzählen; sprechen sie weiter, gibt es Pfiffe und Buhrufe. Erst als der Versammlungsleiter mit Rausschmiss droht, hören sie auf.

Der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz ruft die Piraten in seiner Rede zum Zusammenhalt auf. "Die ersten Erfolge sind die Zeit der ersten Fehler, und diese Fehler können eine Partei spalten", warnt er. Man müsse sich bewusst machen, dass der Parteikollege kein Feind sei, sondern ein Freund.

Von 865 Seiten mit Anträgen, die vom öffentlichen Nahverkehr über Einwanderungspolitik bis zur Speicherung von Kohlendioxid fast alle erdenklichen Themen abdecken, haben die Piraten nach zwei Tagen nicht einmal die Hälfte abgearbeitet. Aber sie haben sich mehr Zeit gegeben. Die Anwesenden sprachen sich mehrheitlich dafür aus, einen Programmparteitag für die Ausarbeitung des Wahlprogramms anzusetzen.

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