Nazis bei der EM: Arsch-Rot-Gold
Entspannter Partypatriotismus sieht anders aus. Deutsche Rechtsextremisten schreien nach dem Spiel gegen Griechenland ihre Parolen – nicht zum ersten Mal.
DANZIG taz | Nach dem Spiel der DFB-Elf gegen Griechenland in Danzig haben 50 bis 60 deutsche Fans im Zentrum am Neptunbrunnen rechtsradikale Parolen* skandiert. Das weiß auch Volker Goll von der Koordinationsstelle Fanprojekte. Er zieht derzeit mit der „Fanbotschaft“ von Spielort zu Spielort.
„Es ist kompliziert, da nachhaltig einzuwirken, weil die Strukturen in der Nationalmannschaft natürlich viel schwierig sind als im Verein“, sagt er der taz. Man wisse nie, wer zu den Spielen anreise und sie als „Plattform“ missbrauche. Insgesamt räumt Goll ein, dass er wegen der Nähe zu seinem Gegenstand nicht mehr alles wahrnimmt, was um ihn herum passiert: „Vielleicht bin ich da ein bisschen zu abgebrüht. Ich fand es diesmal eigentlich nicht so schlimm wie früher.“
Goll** gehört zu den 18 ehrenamtlichen Betreuern, die sich um die Fans kümmern. Seit dem Jahr 2003 können diese Mitglied im „Fan Club Nationalmannschaft“ werden. Der Fanclub soll dazu beitragen, dass Spiele des DFB wie eine Spaßgesellschaft oder ein Familienausflug wirken.
Polen 1996: Deutschlands Freundschaftsspiel in Zabrze, 30 Kilometer von Auschwitz entfernt, gestaltet sich wenig freundschaftlich. Es wird von hunderten Neonazis für ihre Provokationen genutzt. Über das gesamte Spiel werden von einem Großteil des deutschen Blocks rechtsradikale und antisemitische Lieder gesungen. Zudem entrollen Nazis ein Banner mit der Aufschrift: „Schindler-Juden – Wir grüßen Euch“.
Frankreich 1998: Vor dem EM-Spiel gegen Jugoslawien ziehen deutsche Hooligans und Nazis mit Reichskriegsflaggen durch Lens und heizen die Stimmung mit Gesängen wie „Wir sind wieder einmarschiert“ an. Es kommt zu Straßenschlachten, bei denen der Polizist Daniel Nivel ins Koma geprügelt wird. Bereits in den Tagen zuvor gab es im Internet Ankündigungen eines bevorstehenden „Frankreich-Überfalls“.
Slowenien 2005: DFB-Mediendirektor Harald Stenger entschuldigt sich schon vor Beginn des Testspiels über die Stadionlautsprecher beim slowenischen Publikum für die deutschen Fans, die den ganzen Tag in Celje gewütet hatten. Im Stadion gehen die Gewalttaten weiter. Hunderte Hooligans und Nazis reißen Sitze aus der Verankerung, werfen Feuerwerkskörper auf den Rasen und rufen rassistische Parolen.
Slowakei 2005: Laut und deutlich hallen Gesänge wie „Zick-Zack-Zigeunerpack“ durch das Slovan-Stadion von Bratislava und via Fernsehen durch deutsche Wohnzimmer. Fast genau zum 66. Jahrestag des deutschen Einmarschs in Polen dominieren beim Testspiel gegen die Slowakei mindestens 400 Nazis den deutschen Fanblock. Von rassistischen Schmähungen betroffen ist auch der deutsche Nationalspieler Patrick Owomoyela.
Tschechien 2007: Vor einem EM-Qualifikationsspiel in Prag liefern sich hunderte deutsche Fans Hetzjagden mit der Polizei. Auf dem Weg zum Stadion provozieren sie mit dem Singen von Wehrmachtsliedern und Sprüchen wie „Böhmen bleibt deutsch“. (epe)
Man organisiert nicht nur Reisen zu den Spielen der deutschen Mannschaft, sondern auch Weihnachtsfeiern oder Kneipenausflüge. 50.000 Anhänger sind dabei. Es geht auch darum, Zugriff auf Problemfans zu bekommen. Wie die Ausflüge solcher Fans nach Charkow, Lemberg und Danzig zeigen, klappt das nicht immer.
Entgleisungen deutscher Fans
Alles andere als abgestumpft ist Florian Schubert, Mitglied im Bündnis aktiver Fußballfans und Autor des Buches „Rechtsextreme Fans beim Bundesligafußball“. Er ist in die Ukraine gereist und hat einen Erfahrungsbericht auf publikative.org veröffentlicht, den auch Goll kennt.
Der Blogeintrag hat sich weit verbreitet. Es ist ein Dokument der Entgleisungen deutscher Fans. Beim Spiel gegen Dänemark in der Vorrunde wurde ein Banner mit der Fraktur-Aufschrift „Gott mit uns“ gezeigt, das im Zweiten Weltkrieg auf den Gürtelschnallen der Wehrmachtssoldaten prangte, berichtet Schubert. Es soll sich um eine Zwickauer Gruppierung gehandelt haben. Entspannter Partypatriotismus sieht anders aus.
Schubert hat auch fotografiert: Zu sehen ist ein deutscher Fan, der in Lemberg die „88“ auf seinem Trikot trägt, Szenecode für HH, „Heil Hitler!“ Im Stadion hat Schubert einen Fan im Thor-Steinar-Outfit abgelichtet. In den Bussen, die die Fans in die Ukraine gebracht haben, soll es hoch her gegangen sein.
In einem Bus soll nach dem Bericht eines Werder-Bremen-Fans das Lied angestimmt worden sein: „Wir bauen ein U-Bahn von Lemberg bis nach Auschwitz.“ Weiteres zweifelhaftes Liedgut: „Ha, ho, he, Faschisten SGD“ (SG Dynamo Dresden).
„Sieg Heil, Fotze und Schwuchtel“
Zur Melodie von „Jingle Bells“ wurde Schubert zufolge gesungen: „Besiktas, Trabzonspor, Galatasaray, Fenerbahce Istanbul – Wir hassen die Türkei!“ Auf Nachfrage der taz sagt er: „Diejenigen, die rassistische Gesänge anstimmen und den Hitlergruß zeigen, sind natürlich eine Minderheit, aber eine akzeptierte. Wirklich erschreckend ist, dass sich andere Fans einen Scheißdreck darum kümmern.“
Schubert hat beobachtet, wie Fans die Hand zum Hitlergruß gereckt haben. Auf seine Nachfrage, habe ein Fan geantwortet: „Was dagegen?“ Den Rest schildert Schubert wie folgt: „Die drei gehen weiter, drehen sich nach zirka 50 Metern noch einmal gleichzeitig zusammen um und rufen in seine Richtung: ’Sieg Heil, Fotze und Schwuchtel‘, dann verschwinden sie.“
Vor dem Auftaktspiel in Lemberg war auffällig, wie deutsche Fantrupps in kleinen Demonstrationszügen durch die Innenstadt liefen und immer wieder „Sieg!“ riefen – sowie: „Hurra, Hurra, die Deutschen, die sind da!“ – Sprechchöre, die zuletzt sogar Innenminister Hans-Peter Friedrich verurteilte. Als deutscher Patriot schäme er sich für diese Rufe, sagte der CSU-Politiker.
Volker Goll von der Koordinationsstelle Fanprojekte findet, dass das Schreien solcher Parolen in den Medien zu sehr skandalisiert werde, insgesamt sei es aber gut, dass es jetzt thematisiert werde. Diese Diskussion hätte man auch schon vor zwanzig Jahren führen können. Damals wehrten sich vor allem der SC Freiburg und der FC St. Pauli gegen das „Sieg“-Gegröle.
Die UEFA ermittelt
Der Freiburger Trainer Volker Finke sprach sich nachdrücklich gegen die Rufe aus, die vor allem deswegen in der Kritik stehen, weil für viele Beobachter und Fans auf das laute „Sieg“ ein stummes „Heil“ folgt. In der Ukraine und Polen können solche Parolen auch nicht reiner Selbstzweck sein, denn der Bezug zu den Verbrechen der Nazis ist unmittelbar vorhanden.
Auch auf verschiedenen Fußballblogs wird die deutsche Sangeskunst kritisiert. „Wenn aus tausenden von Kehlen gepaart mit rhythmischem Klatschen eine Geräuschkulisse ertönt, dann fühlen sich viele an Massenveranstaltungen in faschistischen Diktaturen erinnert“, schreiben die „Stehplatzhelden“.
Man müsse schon sehr gutmütig sein, so „Lizas Welt“, wenn man in den Rufen lediglich „fehlende Sensibilität und peinliche Unwissenheit“ erkennen wolle, hier handele es sich vielmehr um einen „nationalistischen Tabubruch“. Mittlerweile hat sich auch der Deutsche Fußball-Bund geäußert.
Helmut Sandrock, der Generalsekretär des DFB, erklärt auf Nachfrage der taz: „Es ist Teil unseres Dialogs, die Fans zu sensibilisieren. Entscheidend ist für uns dabei, dass keine beleidigenden, rassistischen, diffamierenden Lieder gesungen werden.“ Teammanager und ehemaliger Nationalspieler Oliver Bierhoff ergänzt: „Unser Team möchte durch sein Auftreten auf und außerhalb des Platzes ein positives Bild abgeben.
Natürlich wünschen wir uns, dass das auch unseren Fans gelingt.“ Die Uefa nimmt derweil das Anliegen ernst und ermittelt wegen „ungebührliche Verhalten von Fans“ gegen den DFB.
*Nachtrag: Laut Volker Goll von der Koordinationsstelle Fanprojekte, kurz KOS, hat es sich nachdem Viertelfinalspiel gegen Griechenland um folgende rechtsradikale Parolen deutscher Fans am Neptunbrunnen gehandelt: „Wir sind in Polen eingezogen, um Juden zu versohlen.“ Und: „Wir sind wieder einmarschiert.“ Andere deutsche Fans hätten sich darüber empört und seien auf Abstand gegangen. Die Gruppe stürmte dann in Richtung polnischer Hooligans. Doch wie sich herausstellte, handelte es sich um Zivilbeamte der polnischen Polizei. (MV)
**BERICHTIGUNG: Volker Goll gehört nicht zu den 18 ehrenamtlichen Mitgliedern des "Fan Club Nationalmannschaft", sondern arbeitet für die Koordinationsstelle Fanprojekte.
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