MMS-Scharlatanerie in Deutschland: Mit Chlorbleiche gegen Autismus
Ein dubioses Wundermittel soll Krankheiten wie Krebs, Aids oder Malaria heilen können. Trotz Warnungen von Ärzten gehen Behörden nur wenig dagegen vor.
„Miracle Mineral Supplement“ oder MMS heißt das Heilmittel, das zurzeit einen Boom erfährt. Aids, Hepatitis, Malaria oder Krebs soll es laut Eigenwerbung behandeln können.
Ärzte sehen das anders: MMS enthalte aggressive Chlorverbindungen und könne Vergiftungserscheinungen hervorrufen, Übelkeit, Erbrechen oder Verätzungen. Es gibt also kaum Zweifel, dass der Verkauf illegal ist. Der aber findet weiter statt – und die Behörden gehen bisher nur sehr zurückhaltend dagegen vor.
Zwar hat ein Anbieter von Seminaren, in denen MMS verkauft und beworben wurde, nach einem ARD-Bericht seine Webseite vom Netz genommen. Doch insbesondere im Internet scheint der Handel mit MMS unbehelligt weiterzugehen.
So hatte die taz im Mai über einen Onlinehandel berichtet, der von einer britischen Firma namens „Luxusline Ltd.“ betrieben wird. Der Versand erfolgt laut Webseite aus Hildesheim (Niedersachsen). Das zuständige Gewerbeaufsichtsamt weiß darüber Bescheid – doch bislang kann man dort weiterhin bestellen.
Erheblich gesundheitsgefährdend
Ein weiterer Onlinehändler mit dem Namen „MMS-Welt“ befand sich laut Impressum in Hamburg. Die dortige Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz teilte mit, der Internetshop sei nicht bekannt, man werde dem aber nachgehen.
In einigen Fällen, so die Pressestelle, handle es sich aber auch um „Scheinadressen, entsprechende Firmen existierten nicht an den angegebenen Adressen“. Kurz nach der taz-Anfrage war der Webshop aber verschwunden. Nun leitet er auf den Händler in Hildesheim weiter.
Die Hamburger Gesundheitsbehörde hatten schon im Juni vor den „erheblich gesundheitsgefährdenden“ Wirkungen von MMS gewarnt. Auf die taz-Anfrage bestätigte sie, dass gegen eine Heilpraktikerin ein Verfahren laufe, die MMS an Patienten verkauft habe. Details könne man derzeit nicht mitteilen.
Inzwischen regt sich auch Protest. Die Bloggerin Mela Eckenfels wurde auf MMS aufmerksam, weil die Anhänger des Wunderheilmittels damit werben, dass man damit Autismus heilen könnte. Auf einem Kongress in Hannover wurde dafür geworben, autistische Kinder regelmäßig mit der Chlorverbindung zu behandeln.
Autisten protestieren
Manche Anwender gehen dabei offenbar alles andere als sanft vor. Die ARD interviewte Eltern auf dem Kongress, die berichteten, wie sie ihren Kindern offenbar gewaltsam das Mittel einflößten.
Besonders darüber ist Mela Eckenfels empört. Sie selbst hat das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus. Sie hat sich mit anderen Autisten, die zum Teil anonym bleiben wollen, zusammengeschlossen und versucht inzwischen, gegen die Verbreitung von MMS vorzugehen.
„Wir wollen autistische Kinder vor diesen gewissenlosen Geschäftemachern schützen, weil wir selbst einmal autistische Kinder waren“, erklärt Mela Eckenfels ihre Motivation. „Zunächst haben viele Behörden die Verantwortung von sich weggeschoben und hielten sich nicht für zuständig. Nach zahlreichen Medienberichten kam dann etwas Bewegung in die Sache.“
Dass die Behörden sich mit dem Vorgehen schwertun, liegt auch an den komplexen Zuständigkeiten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zwar für die Genehmigung von Arzneimitteln zuständig und hat bereits eine Warnung vor MMS ausgesprochen.
Offiziell ein Desinfektionsmittel
Die Überwachung des Arzneimittelhandels liegt aber in der Hand von zahlreichen Behörden auf regionaler Ebene. Und ein bundesweit koordiniertes Vorgehen gibt es dort nicht.
Rechtlich ist die Sachlage dagegen klar: Eine Zulassung für MMS als Medikament gibt es nicht. Damit darf es als Heilmittel nicht verkauft werden. Auch existiert bislang keine einzige Studie, die die Wirksamkeit des Mittels gegen irgendeine der Krankheiten, für deren Behandlung es beworben wird, nachweist.
Die Anbieter versuchen das Verbot des Verkaufs zu umgehen, indem sie behaupten, dass die Substanz offiziell nur ein Desinfektionsmittel ist. Ihre waghalsigen Heilsversprechen werden nun meist nicht direkt in den Onlineshops verbreitet, sondern in Spam-Mails oder über soziale Netzwerke.
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