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Lutherpreis für Pussy RiotIm Intimbereich des Glaubens

In Wittenberg zählt das Wort der Theologen – ob von Luther oder Schorlemmer. Wie „unerschrocken“ darf es im Fall von Pussy Riot sein?

Stein des Anstoßes: Punk-Gebet von Pussy Riot in der Christus-Erlöser-Kathedrale im Februar. Bild: dpa

WITTENBERG taz | Warum noch Worte zu Pussy Riot? Friedrich Schorlemmer hat alles schon gesagt, doch sagt er es jetzt, ein wenig genervt, noch einmal: Nichts hält er von der Aktion in der Christus-Erlöser-Kathedrale, gewiss haben die jungen Frauen religiöse Gefühle verletzt, die Performance sei kein Gebet gewesen und preiswürdig sei diese Aktion auch nicht, schon gar nicht für eine Ehrung, die sich auf Martin Luther beruft. Aber damit keiner zweifelt: Die Strafe für diesen Auftritt sei völlig unangemessen, und ein Freund Wladimir Putins ist er ganz sicher nicht.

Friedrich Schorlemmer sitzt in seiner Wohnung, hockt mehr auf der Kante als auf dem Stuhl und blickt bei seiner Philippika gelegentlich aus dem Fenster, wo das Laub in der Sonne leuchtet. Mal kneift er die Augen zusammen, mal reißt er sie auf, manche Sätze rattern aus seinem Mund, manche winden sich langsam heraus.

Man kann das als affektiert bezeichnen, hier in Wittenberg immer ein bisschen so zu reden, als wäre jeder Satz in Bronze gegossen wie Luthers 95 Thesen an der Tür der Schlosskirche. Friedrich Schorlemmer liegt dieser Gestus – als Pfarrer, Pazifist und Bürgerrechtler in der DDR und als Friedenspreisträger und „streitbarer Publizist“ im wiedervereinten Deutschland.

Die Unerschrockenen

Der Preis „Das unerschrockene Wort“ wird seit 1996 vom „Bund der Lutherstädte“ vergeben, in dem 16 Städte vertreten sind: Wittenberg, Eisleben, Eisenach, Erfurt, Halle, Magdeburg, Zeitz, Coburg, Nordhausen, Heidelberg, Worms, Marburg, Augsburg, Schmalkalden, Speyer, Torgau. Er ist mit 10.000 Euro dotiert.

Die Ehre der Nominierung haben 2013 bisher neben Pussy Riot die Pastorin Waltraut Zachhuber (Magdeburg), der Umweltaktivist und Stasiaufklärer Michael Beleites (Halle) und die Initiative „Keine Bedienung für Nazis“ von Regensburger Gastwirten (Evang.-Luth. Kirche in Bayern).

Die Verurteilten Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Alechina von Pussy Riot sind am vergangenen Wochenende in Straflager expediert worden.

Die Entscheidung über die Preisvergabe fällt am 10. November in Eisleben, wo er am 13. April 2013 in der Taufkirche Martin Luthers überreicht wird. Am heutigen Mittwoch berät der Stadtrat von Wittenberg über die Rücknahme der Nominierung von Pussy Riot. Das Rathaus beteuert, der Oberbürgermeister bleibe standhaft. (thg)

Jetzt streitet der 68-Jährige mit der Stadtverwaltung von Wittenberg, dem Bürgermeister und dem Hauptausschuss, der am 13. September Pussy Riot für den Preis „Das unerschrockene Wort“, den alle zwei Jahre 16 deutsche Lutherstädte vergeben, nominiert hat.

Ein Schrei, kein Gebet

„Mein Hauptvorwurf an diese Pussys ist, dass sie nicht beten, sondern provozieren.“ Schorlemmer ist aufgestanden, mit verschränkten Armen macht er einen Schritt zum Kachelofen, wo der Doktorhut hängt, dreht sich wieder um, lässt sich fallen.

„’Gott ist Dreck!‘ – ist das wirklich ein religiöser Refrain?“ Schorlemmer schüttelt den Kopf. „Das war kein Gebetsschrei, sondern ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Dabei ist das Gebet der tiefste Ausdruck des Glaubens“, sinniert er. „Es ist etwas anderes, wenn Frauen in eine Kirche eindringen und rumhüpfen.“

Aber gab es nicht auch Punkkonzerte in den Kirchen der DDR? Schorlemmer überlegt. „Wir haben ein anderes Kirchenverständnis. Bei uns kann man auch im Altarraum Grenzwertiges zeigen.“ Aber auch da gebe es Grenzen. „Bitte nicht so, dass man Menschen in ihren religiösen Gefühlen so verletzt.“

Von Gotteslästerung und Blasphemie habe er hingegen nie gesprochen, wie ihm eine Zeitung angedichtet hat. „Das Wort Blasphemie verwende ich in diesem Zusammenhang nicht. Wegen des Blasphemievorwurfs sind schon Menschen verbrannt worden. Das Wort ist dadurch auch verbrannt.“ Schorlemmers Satz hallt wie ein Akkord nach.

Der Glaube ist ein zartes Ding

Und in welcher Kirche fand der Auftritt der Pussys statt! In der Christus-Erlöser-Kathedrale, die Stalin 1931 hat abreißen lassen. „Dass die wiederaufgebaut wurde, ist für die russische Seele von großer Bedeutung.“ Kurzum – der Glaube ist ein zartes Ding. „Es gibt auch einen Intimbereich des Glaubens.“ Er legt dabei seine Hand bedächtig auf die ovale Tischplatte, als ob er diesen Gedanken versiegeln will. „Das Gebet ist die Grundspeise des Glaubens.“

Plötzlich braust es wieder. „Als Fotzenaufstand, hat jemand gesagt, müsste das richtig übersetzt werden.“ Seltene Vokabeln aus dem Munde eines Pastors. Friedrich Schorlemmer hat sie in den letzten Tagen mehrfach gebraucht. Das „unerschrockene Wort“ setzt andere denkwürdige Wörter frei. Und was denken die orthodoxen Christen in Russland jetzt über die Stadt der Reformation? „Die kriegen den Lutherpreis von den Leuten in Wittenberg! Das fällt auf uns zurück. Ich fühle mich verarscht, um in dieser Sprache zu bleiben.“

Im vorigen Jahr hat Schorlemmer die Laudatio auf Dmitrij Muratow gehalten, den Chefredakteur der Nowaja Gaseta aus Moskau, der den Preis „Das unerschrockene Wort“ für seine Redaktion entgegennahm. Fünf Redaktionsmitglieder sind wegen ihrer Recherchen ermordet worden, darunter 2007 auch Anna Politkowskaja.

Schorlemmer hat eine klangvolle Rede gehalten, hat Thomas Mann, Anna Achmatowa und Hilde Domin zitiert. Und natürlich Luther. Wer würde die Preisrede auf Pussy Riot halten? Schorlemmer fragt bloß: „Was soll Muratow denken?“

„Ein verheerendes Signal“

Dmitrij Muratov könnte schon im Bilde sein. Die Rossijskaja Gaseta, das Sprachrohr der russischen Regierung, berichtete von der Nominierung, dass Protestanten dagegen intervenieren, und zitiert den „bekannten deutschen Bürgerrechtler und Protestanten“ Schorlemmer: „Ein verheerendes Signal“.

Horst Dübner wirkt auch nicht gerade glücklich. Am 13. September fand die erste Sitzung des Hauptausschusses nach der Sommerpause statt, erzählt der 65-Jährige, der für die Linkspartei im Ausschuss sitzt. 24 Tagesordnungspunkte hatten sich seit Juni aufgetürmt.

Dübner empfängt im Büro der Linkspartei in der Pfaffengasse, die auf die Schlosskirche mit ihrer Thesentür zuläuft. Der Antrag besteht aus einem Satz: „Der Haupt- und Wirtschaftsausschuss beschließt, die russische Punkrock- Band ’Pussy Riot‘ als Vorschlag der Lutherstadt Wittenberg für den Preisträger 2013 für ’Das unerschrockene Wort’ zu nominieren.“ Unterschrift Naumann, Oberbürgermeister.

Neben Haushaltssatzung, Kindertagesstätten und dem Umzug der Städtischen Sammlungen sollte der Ausschuss zügig über Pussy Riot beraten. Dübner erinnert sich, dass mancher fragte: Haben wir noch Zeit? Nein, die Nominierungsfrist laufe ab. Es gab eine kurze Diskussion. Dübner hat das Ergebnis im Kopf. Fünf dafür, zwei dagegen, zwei Enthaltungen. Erledigt.

Im Stadtrat rumort es

Bei der Frage, ob mit Pussy Riot die Richtigen nominiert wurden, gebe es Für und Wider, sagt Horst Dübner diplomatisch. Die Mehrheit in seiner Fraktion sei der Meinung, dass es bessere Kandidaten gebe. Dübner selbst enthielt sich, den Beschluss trägt er mit.

Andere sind weniger standfest. Im Stadtrat rumort es. Die „Allianz der Bürger“ will in der Stadtratsitzung am heutigen Mittwoch den Beschluss kippen. Die Stadt hat sich schon bei der Kommunalaufsicht erkundigt, ob die Nominierung rückgängig zu machen ist. Die habe abgewinkt. Alles korrekt, der Beschluss sei vollzogen.

Horst Dübner bleibt gelassen, eines ist ihm klar: Es werde zukünftig einen anderen Weg geben, mit mehr Vorschlägen und einer längeren Diskussion. Eine Ausschreibung im Amtsblatt lädt nicht zur Beteiligung ein.

Jetzt treffen auch Dübner die Blitze der Nominierungsgegner. Er überfliegt einen Brief: „Pussy Riot haben noch nichts geleistet … wussten, worauf sie sich einlassen … zwei Jahre – nicht zuviel und nicht zuwenig …“ Solche Schreiben stecken im Postkasten. Der Atheist Horst Dübner, letzter SED-Kreissekretär von Wittenberg, muss über so viel Ingrimm lächeln. Als ob die Seligkeit der Welt an einer Abstimmung im Hauptausschuss des 50.000-Einwohner-Nestes hänge. Wittenberg ist nicht der Nabel der Welt.

Das protestantische Rom

Wittenberg ist immer noch das protestantische Rom und schickt sich 2017 an, 500 Jahre Reformation zu feiern, ein evangelisches Glaubensfest mit Gästen aus allen christlichen Konfessionen. Die Russisch-Orthodoxe Kirche gilt als äußerst schwieriger Kamerad.

Mit dem Amtsantritt von Margot Käßmann hat sie vor drei Jahren alle Kontakte zur EKD eingefroren. Eine Frau als Gegenüber für den Patriarchen? Niemals. Dieses Problem hatte sich nach der Alkoholfahrt der EKD-Ratsvorsitzenden schnell erledigt. Doch jetzt vermengen sich Pussy Riot und Luther.

EKD-Auslandsbischof Martin Schindehütte hat eine Botschaft an Metropolit Ilarion gesandt, den „Außenminister“ des Moskauer Patriarchats. Schindehütte schreibt, dass der Preis keine kirchliche Ehrung darstelle und dass die Nominierung von einem falschen Verständnis Luthers zeuge. Es liest sich wie eine größtmögliche Distanzierung von Wittenberg und seinem Vorschlag.

Die evangelischen Amtsträger bemühen sich sehr um ihre Brüder aus Moskau, die sich über die Entweihung der Christus-Erlöser-Kathedrale in heiligem Zorn ergehen und ungerührt in deren Katakomben eine Autowaschanlage und eine chemische Reinigung betreiben.

„Man muss sie vor dem Gefängnis retten“

Solche Mysterien waren Luther ein Gräuel. „Es liegt nichts an mir, aber Gottes Wort will ich mit fröhlichem Herzen und frischem Mut verantworten, niemand angesehen, dazu mir Gott einen fröhlichen und unerschrockenen Geist gegeben hat“, steht an einem Balken in der Durchfahrt zum Lutherhaus geschrieben. Friedrich Schorlemmer kann dieses Lutherwort im Halbschlaf hersagen. Es hat sein Motto 2011 auch Chefredakteur Muratow mit auf den Weg gegeben.

Der hat sich Sonntagabend aus Moskau gemeldet. Es war ein furchtbarer Auftritt, schreibt er, und wenn die Frauen nicht im Gefängnis säßen, wäre er nicht auf ihrer Seite. „Aber sie sitzen im Gefängnis!!! Wie könnte ich jetzt nicht empfehlen, die Frauen zu nominieren?“ Einer halben Stunde später schickt er hinterher: „Nicht ein Preis ist vonnöten, sondern etwas Wirkungsvolleres. Man muss sie vor dem Gefängnis retten.“ Es klingt wie ein Aufschrei.

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15 Kommentare

 / 
  • BG
    Bernd Goldammer

    @JohnReed

    Habe den Text gelesen. Er ist ja noch perverser als ich dachte. Und das obwohl "von Weinberg" sicher wohlwollend übersetzt hat. Doch was solls? Die Wittenberger "Albernheiten" haben nun begonnen. Was soll mich an diesen Schwachköpfeleien noch interessieren? Alle deutschen Fernsehsender werden das Spektakel übertragen.In Wittenberg werden doch deren Ideen realisiert. Billiger Propaganda-Dreck, um in der Sprache von Pussi Riot zu bleiben.Meine Wittenberg Reise habe ich nun auf die Zeit verschoben, in der sich der anti-russische Mundgeruch wieder verzogen hat. Putin jedenfalls ist freier gewählt, als jeder Präsident der US-Geschichte. Aber das wird Leute wie Sie eh nicht zu interessieren.

  • L
    Lutheraner

    @ Obrigkeit

     

    Ich kenne die von Ihnen erwähnte Kanzelabkündigung der Bekennenden Kirche (BK) nicht. Eine Quelle wäre hilfreich. Grundlage der Bekennenden Kirche war nach landläufiger Auffassung die Barmer Erklärung von 1934.

     

    Da heißt es in der 3. These: [...] Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.

     

    (http://de.wikipedia.org/wiki/Barmer_Theologische_Erkl%C3%A4rung#Wortlaut_der_sechs_Barmer_Thesen)

  • QO
    "gottgewollte Obrigkeit"

    "Wir haben ein anderes Kirchenverständnis. Bei uns kann man auch im Altarraum Grenzwertiges zeigen." Aber auch da gebe es Grenzen. "Bitte nicht so, dass man Menschen in ihren religiösen Gefühlen so verletzt." so F. Schorlemmer - aber was bitteschön ist mit den - auch finanziellen - Verletztungen von unzähligen nicht(aber)gläubigen BürgerInnen, die u.a. diesen (sich auch gegen einen "Fotzenaufstand") erreiferndenen Lutheraner keineswegs grenzwertig, also üppig "pudern" - müssen?

     

    >Wo Kirche drauf steht, ist meistens der Steuerzahler drin

    http://m.faz.net/aktuell/wirtschaft/violettbuch-kirchenfinanzen-wie-die-kirche-sich-von-den-heiden-finanzieren-laesst-1613336.html

     

    >Staatsleistungen, Evangelische Landeskirchen, nach Bundesländern, 1949 - 2010:

    http://www.staatsleistungen.de/wp-content/uploads/2011/04/Evangelische_Kirchen_nach_-Bundesl%C3%A4ndern__1949-2010_.pdf

     

     

     

    Ohnehin ist Pussy Riot "die Ehre der Nominierung" für "Das unerschrockene Wort" nicht bedürftig, zumal die drei mutigen Frauen diese "Würdigung" auch von sich weisen würden, wären oder sind sie von Luthers "unerschrockene Worte" über Frauen informiert.

     

    "Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen. Es ist ein gerechtes Gesetz, dass sie getötet werden, sie richten viel Schaden an.", so Frauenfeind Luther.

     

    Überdies war Luther ein Fürstenknecht und Antisemit par excellence, weshalb "Das unerschrockene Wort" allenfalls evangelischer Propaganda (einschl. Geschichtsshreibung) dienlich sein.

     

    Zudem sei an die (unmissverständliche) Kanzelabkündigung am dritten Advent 1934 von der Bekennenden Kirche (BK) erinnert: "Wir stehen zu unserem Wort: Wir wollen keine Zufluchtsstätte politisch unzufriedener Elemente sein."

     

    Und (falls sich hier jüngere "Aufstand-Fotzen" informieren sollten) knapp ein Jahr zuvor verkündete Reichsjugendpfarrer Karl Friedrich Zahn: "Die Kirche lässt ihre Jugend freudig mitmarschieren unter den Fahnen des Dritten Reiches, und die Hitler-Jugend sieht fortan an der Kirche und ihrer Jugendarbeit nicht mehr einen Feind, sondern einen guten Freund."

  • J
    JohnReed

    @Bernd Goldammer:

     

    Lesen Sie den Text (zitiert von Foristen Weinberg), dann erkennen Sie, dass keine religiösen Gefühle verletzt, sondern gesellschaftliche Machtstrukturen attackiert wurden. Wenn natürlich Gläubige sich mit diesen Machtstrukturen identifizieren, werden sie in der Tat auch angegriffen, jedoch ausdrücklich nicht, und hier liegt die bösartige Verfälschung bei Leuten wie Ihnen, in ihren religiösen Gefühlen.

  • B
    BerndJoel

    Dieses Jahr den Preis an die jungen Aktivistinnen von Pussy Riot und nächstes Jahr an diesen bereits ergrauten Schorlemmer, damit eine Ruh ist.

  • F
    Fridolin

    bevor irgendwelche Preise an PR vergeben werden, sollten besser alle Verantwortlichen noch diesen link anschauen: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/pussy-riot-lady-suppenhuhn-11867761.html sonst wird's unter Umständen peinlich...

  • SW
    S. Weinert

    Solche Worte, ausgerechnet mag man sagen, aus dem Munde eines berufenen Protestanten zu vernehmen, wirkt eher befremdlich. Luther ist nicht wirklich durch seine Gebete berühmt und zur Gallionsfigur einer neuen Glaubensrichtung geworden. Er hat laut und aus Sicht der Katholiken unflätig protestiert, natürlich war auch das ein Schrei nach Aufmerksamkeit, sonst hätte er seine Thesen auch als Brief an den Papst schicken können. Und wo hat er es getan? In bzw. an der Kirche... Der Papst und seine Schäfchen fühlten sich sicherlich in ihren religiösen Gefühlen nicht minder verletzt, als die ach so schützenswerten Gläubigen in der Moskauer Kathedrale. Also war Luther und ist der Protestantismus ein Irrtum, geboren nur aus einer unwürdigen Provokation...? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

    Die Religionen haben sich immer wieder gerade durch gezielte Provokation glaubwürdig gemacht und zumindest zeitweise moralische Massstäbe gesetzt, die den Menschen als richtungsweisend gelten konnten. Moses, der sich keck vor den Pharao stellte und die Freiheit für sein Volk verlangte, Jesus, der sich vor die Menschen stellte mit der Behauptung, er sei der Sohn Gottes, der im heiligen Tempel randalierte, Tische umstürzte und (nach heutiger strafrechtlicher Auslegung) Geld entwendete, indem er es einfach in den Dreck warf. Somit ist auch die heute als Tempelreinigung bekannte Aktion nur ein Euphemismus für dreiste Provokation.

     

    Sie sollten also eher still bleiben, all die Kirchenleute, die ihre eigene Geschichte entweder nicht kennen, oder aber in ihrer modernen Arriviertheit die eigenen Wurzeln verkennen.

     

    Der Aufschrei von Pussy Riot war richtig, er war angebracht und auch in der Wahl der Mittel mehr als angemessen. Ein Konzert, ein Songtext oder eine über youtube verbreitete Botschaft hätte nichts, gar nicht verändert. Jetzt aber hat die Welt verstanden, die Russen haben sich entscheiden müssen und selbst der neue Zar Vladimir I. wurde wie eine Puppe umhergestoßen, nie zuvor wirkte er so unsicher und der Nimbus der Unbesiegbarkeit ist ein klein wenig abhanden gekommen.

     

    Das darf auch ruhig einmal gewürdigt werden, zumal die Mitglieder von Pussy Riot teuer dafür bezahlen. Und die Kirche ist dafür genau der richtige Ort, das haben gerade hier in Deutschland die Jahre 1517 und 1989 gezeigt. So lasst die Tetzels und Schorlemmers schweigen und vielmehr hoffen, dass dieses Verhalten Schule macht. Denn Grund für eine neuerliche Tempelreinigung gibt es auch bei uns längst wieder zur Genüge!

  • AR
    Antoninus R.

    Wenn ein Theoeloge den Slang "Fotzenaufstand" mitmacht, hat er schon einiges von der Freiheit de Wortes erfasst, obwohl er sie ablehnen will für junge Menschen in einem OberGottesRAS-Putin-Staat.

    Wie würde er sich dort wohl-fühlen; ach, das muss ich so schreiben "wohl fühlen"?

     

    Das ärgert mich:

    Dieses Wohlgefühl der nichts ausmachenden Anerkennung der westlichen Proteste gegen die Veruteilung der Frauen.

    Genau die doppelte Moral!

    Dass immer noch die "Jungfrau" - statt der jungen Frau - in allen Kirchen hoch gefeiert wird, ist ebenso ein Pussy-Krampf.

  • C
    Cicero66

    "Religion ist Opium fürs Volk" Dieser Satz von Karl Marx hat noch immer Bestand. Ob es sich um islamische Salafisten, knallharte Scientologen, orthodoxe Fundamentalisten in Moskau oder um evangelikale Spinner, die Abtreibungsärzte erschießen handelt - alle haben nur eines im Sinn: Den Einzelnen von Freiheit, Selbstverantwortung und einer eigenen Meinung abhalten. Doch leider sind es mittlerweile nicht nur religiöse Extremisten, die den säkularen Staat aushöhlen wollen.

     

    Glaubensvertreter aller Kirchen versuchen in letzter Zeit zunehmen, gesellschaftliche Freiräume für ihre jeweilige Religion zu schaffen. Ganz gezielt wird eine Diskussion vorangetrieben, die zum Ziel hat, Kritik an sogenannten "religiösen Gefühlen" und damit letztlich an allem was mit Religion zu tun hat, zu verbieten und unter Strafe zu stellen.

     

    Damit wären wir dann wieder kurz vor dem Mittelalter und der Inquisition angelangt. In Russland ist man zumindest kurz davor. In islamischen Ländern war es nie anders. Doch auch in Deutschland ist die Meinungsfreiheit diesbezüglich akut in Gefahr.

     

    Die ganze Diskussion um Pussy Riot und den Wittenberger Preis zeigt schon, wie wichtig es ist, dass der säkulare, vernunftgesteuerte Teil der Bevölkerung all denen, die sich im Besitz der ultimativen seligmachenden Wahrheit wähnen, endlich Grenzen aufzeigt.

     

    Wenn, wie geschehen, deutsche Kirchenfüsten in renommierten Zeitungen allen Ernstes ein Blasphemieverbot fordern dürfen, ist ein Preis für Pussy Riot angebrachter denn je! Denn klar ist: Es gibt keinen Intimbereich des Glaubens!

  • L
    Lutheraner

    Hätte Friedrich Schorlemmer nicht die Souveränität in dieser Sache verloren, kein Mensch würde sich damit befassen. Guter Beitrag, die Story hinter der Story (Verhältnis EKD zur Russisch-Orthodoxen Kirche) gut herausgearbeitet.

  • D
    D.J.

    Egal was man von den Mädels hält: Es ist schon ein unglaublicher Witz, ihnen einen Preis anzutragen, der den Namen eines Mannes trägt, der sich für die Hinrichtung von Hexen, Gotteslästerern (Wiedertäufer) und die Zerstörung von Synagogen ausgesprochen hat, ein Knecht der Obrigkeit, der in weltlichen Dingen unbedingten Gehorsam gegenüber den Fürsten gefordert hatte.

    (ich meine den historischen Luther, nicht den irgendwelcher dümmlichen Helden-Verfilmungen)

  • W
    Weinberg

    Über diesen Text regt man sich in der Lutherstadt Wittenberg auf:

     

    "Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin!

    Vertreibe Putin, vertreibe Putin!

     

    Schwarzer Priesterrock, goldene Schulterklappen -

    Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung

    Das Gespenst der Freiheit im Himmel

    Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt.

     

    Der KGB-Chef ist euer oberster Heiliger,

    Er steckt die Demonstranten ins Gefängnis.

    Um den Heiligsten nicht zu betrüben

    Müssen Frauen gebären und lieben.

     

    Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck!

    Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck!

     

    Mutter Gottes, du Jungfrau, werde Feministin,

    Werde Feministin, werde Feministin!

     

    Kirchlicher Lobgesang für die verfaulten Führer -

    Kreuzzug aus schwarzen Limousinen.

    In die Schule kommt der Pfarrer,

    Geh zum Unterricht - bring ihm Geld.

     

    Der Patriarch glaubt an Putin.

    Besser sollte er, der Hund, an Gott glauben.

    Der Gürtel der Seligen Jungfrau ersetzt keine Demonstrationen -

    Die Jungfrau Maria ist bei den Protesten mit uns!

     

    Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin!

    Vertreibe Putin, vertreibe Putin!"

     

     

    Frage: Aus welchen Beweggründen ist dieser Text entstanden?

  • BG
    Bernd Goldammer

    Ich bin froh darüber, dass die perverse Aktion der Pussis endlich auch in Widersprüche gerät. Übrigens glaube ich nicht, dass Herr Putin sich darum gekümmert hat. Er ist hochintelligent! Deshalb wurde er in Freien Wahlen wiedergewählt. Wenn sich Putin um jeden Blödsinn selber kümmern müsste,hätte er sicher keine Zeit mehr für die Probleme in seinem Land und in der Welt. Das Spiel der Pussis war nun mal auf Beleidigung religiöser Gefühle angelegt. Dafür gibt es in Russland Gesetze und auch in Deutschland ist das strafbar. Klar wäre es schön, Pussi Riot vor dem Knast bewahren zu können. Aber das ist nicht so einfach. Fakt bleibt: Sie haben eine Straftat begangen. Vorsätzlich und mit klarem politischem Kalkül. Einen Straferlass würde der Westen sofort als Sieg über den frei gewählten russischen Präsidenten zurecht deuten. Die religiösen Einwohner Russlands hingegen könnten die Straflosigkeit dieser klaren Grenzüberschreitung als Beleg für die Rechtlosigkeit von Christen in Russland verstehen. Zumal die Täter bis heute noch kein Wort der Entschuldigung über sich gebracht haben. Im Gegenteil: Sie turnen ihre Aufgabe so aggressiv wie möglich ab. Denn nur so können sie nach ihrer Haftentlassung zu Helden aufsteigen. Ich würde mir wünschen, dass der Aufklärer US-amerikanischer Kriegsverbrechen Bradley Manning eine solche Aufmerksamkeit bekäme. Der sitzt nämlich schon seit Jahren in US-Militärgefängnissen. Rechtswidrig! Für seinen Mut Kriegsverbrechen aufzudecken. Ohne das das in Wittenberg jemanden irgendwie berühren würde. Das spricht doch schon eine klare Sprache...

  • F
    Falmine

    Wie verlogen hier wieder argumentiert wird. Wie von einigen Kirchenfürsten damals in der DDR: nicht gottgläubig, sondern obrigkeitshörig. In der Ära Wolfgang Hubers an der Spitze der EKD hat sich ein unheilvoller Wandel vollzogen. Hin zur preußischen Staatskirche. Schade, dass Schorlemmer sich derart instrumentalisieren lässt. Die Gläubigen wenden sich mit Grausen ...

  • T
    T.V.

    In ihrem religiösen Fanatismus sind sie noch so blind, daß sie die Notwendigkeit der Provokation nicht erkennen, hat sie doch schon an ihnen Wirkung gezeigt.