Logistik in der Stadt per Fahrrad: Die Lastenräder-Offensive
Pedalo-Spediteure können die Hälfte der innerstädtischen Kleinlaster ersetzen. Ein neues Internetportal präsentiert die günstige Dieselruß-Alternative.
Ob Logistikunternehmen oder werksinterner Verkehr, Dienstleistungen, Handwerker und mobile Verkaufs- und Werbestände – dem Lastenrad steht die Zukunft weit offen. Das unterstützt der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) nun mit einem neuen Informationsportal im Internet.
Auf lastenrad.vcd.org findet der VCD praktische Antworten auf viele Fragen bezüglich der Lastenräder als innerstädtischer Alternative zum Automobil. So finden sich dort unter anderem ein Kostenrechner, eine Datenbank zu den Typen, Informationen zu Anschaffung, Betrieb und Arbeitsschutz sowie Tipps für Kommunen.
Einspurige Modelle mit verlängertem Radstand und tiefer gelegter Ladefläche, vierrädrige Hecklader, hinterradgelenktes Dreirad, die Vor- und Nachteile von Drehschemel und Achsschenkellenkung – auch für techniklastige Milieus ist hier allerhand Fachjargon möglich.
1.500 Mopeds auf einen Schlag ersetzt
Große Logistikbetriebe wie DHL verwenden in anderen Ländern zunehmend Lastenräder. In den Niederlanden wurden so bereits 33 Zustellerautos durch Lastenräder ersetzt. Der Umstieg lohnt sich finanziell: 70 Prozent der Lieferkosten entstehen auf den letzten 1,5 Kilometern vor dem Zustellungsort.
Auch in anderen Branchen setzt sich das Lastenrad durch. BASF etwa ersetzte 1.500 Mopeds durch elektrische Lastenräder für das riesige Ludwigshafener Firmengelände. Daneben finden Lastenräder auch bei kleineren Firmen wie Apothekern, Metzgern, Bäckern, Blumenläden oder Cateringdiensten mehr und mehr Anklang, wie Randy Rzewnicki vom europäischen Verband European Cycle Logistics Federation (ECLF) bestätigt.
Ein weiterer Nutzen des Booms liegt laut Rzewnnickis Verband im Klimaschutz: Würde nur eine von tausend Fahrten auf dem Fahrrad erfolgen, könnten in der EU so jährlich 15.000 Tonnen Treibstoff und 37.000 Tonnen an CO2-Emissionen eingespart werden.
Dreijährige Studie zum Potential
In einer dreijährigen Studie über den innerstädtischen Warentransport konnte gezeigt werden, dass über die Hälfte aller motorisierten Fahrten innerhalb der Stadt durch Lastenräder ersetzt werden könnte, egal ob privater oder kommerzieller Natur.
Bis jetzt werden so gut wie alle Gütertransporte mit motorisierten Fahrzeugen bewerkstelligt. Laut VCD macht der innerstädtische Wirtschaftsverkehr in den größten deutschen Städten bis zur Hälfte des gesamten Kfz-Verkehrsaufkommens aus. Die Fahrzeuge sind zumeist dieselbetrieben.
Auch im Privatleben gibt es hier deutliches Verbesserungspotenzial. Der ECLF-Studie zufolge wird nur in 6 Prozent aller Einkäufe tatsächlich ein Auto benötigt, gut 90 Prozent könnten ebenfalls mit dem Rad erledigt werden, die meisten davon mit einem großen Fahrradkorb und rund 14 Prozent mittels Anhänger oder Lastenrad. Letztere können gut 100 Kilogramm Gewicht mühelos transportieren. Der Trend geht sogar hin zu größeren Lastenrädern und Anhängern, welche bis zu zwei Kubikmeter und 400 kg Frachten transportieren können.
Darüber hinaus haben Lastenräder weitere Vorteile gegenüber dem Automobil: Sie benötigen weniger Parkplatzfläche, müssen sich nicht an die Ladeverbote in Fußgängerzonen halten und können das Straßennetz effizienter nutzen.
10.000 Tote könnten es weniger sein
Nicht in dieser Studie, sondern in einer der Weltgesundheitsbehörde WHO, kommen noch ganz andere Zahlen zu Tage. Die Organisation mit Sitz in Genf hat die europäischen Hauptstädte verglichen und festgestellt: Über 76.000 Menschen würden im umweltfreundlichen und gesunden Transport mehr angestellt sein - wenn denn alle diese Städte auf dem Rad-Niveau von Kopenhagen wären. Und 10.000 Verkehrstote weniger würde es jährlich in diesen Städten geben. Hier geht es allerdings um den gesamten Radverkehr, nicht nur um Lastenräder.
Die Studie heißt „Unlocking new Opportunities“ und erschien Mitte April 2014. Demnach weist Kopenhagen einen Anteil von 26 Prozent Fahradfahrten am Gesamtverkehr auf. Nummer eins der Hitliste ist Amsterdam mit 33 Prozent, Berlin liegt noch ganz gut auf Platz drei mit 13 Prozent. In Süd- und Osteuropa liegen das Ende der Tabelle, dort sind es null oder ein Prozent Fahrrad-Anteil am sogenannten "modal split" des Verkehrs.
Modellprojekt mit E-Rädern
Zurück zum kommerziellen Verkehr hierzulande: Damit auch die im Vergleich zu den Niederländern und Dänen eher fahrradfaulen Deutschen – jeder Zweite fährt hierzulande nie mit dem Rad zur Arbeit – vermehrt umsteigen, starteten Organisationen, Bund und Länder bereits einige Kampagnen.
„Ich ersetze ein Auto“, lautet zum Beispiel ein Modellprojekt im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative, bei dem neun städtische Kurier- und Expressdienste mit deutschlandweit 40 E-Lastenrädern ausgestattet werden. Das Potenzial, innerstädtische Kurierdienste auf Lastenräder umzulegen, liegt bei 85 Prozent.
Als Vorbild umweltfreundlicher Mobilität wird neben den Niederlanden stets Kopenhagen genannt. Dort wird die Zahl der benutzten Lastenräder auf rund 40.000 im Großraum Kopenhagen geschätzt, bei etwa 750.000 Einwohnern. Vor allem die Familiennutzung ist hier hervorzuheben. Die Stadtverwaltung schätzt, dass rund 28 Prozent aller Familien mit zwei oder mehr Kindern ein Lastenrad besitzen.
In London sind dazu im Vergleich nur rund 3.000 Lastenräder auf den Straßen unterwegs, bei mehr als 8 Millionen Einwohnern. Ben Johnson von der Londoner Cargo Bike Company rechnet allerdings mit einem Anstieg von 20 Prozent in diesem Jahr.
Essenslieferung per Fahrrad
Ihm zufolge sind die hohe Londoner Verkehrsbelastung sowie hohe Parkplatz- und Verkehrsgebühren der Garant für steigende Nachfrage an Lastenrädern. Viele Cafés böten mittlerweile zur Lunch-Zeit Essenslieferungen in die Geschäftsviertel mit Lastenrädern an.
Den gewaltigen Unterschied zwischen Kopenhagen und London führt Eric Poscher vom Leipziger Laden Rad3 auf die Gegenkultur der Freistadt Christiania zurück, die nach der Besetzung des einstigen Militärgeländes als automobilfreie Zone ausgerufen wurde.
Alte Transporträder des Typs „Long John“ fanden zu neuem Nutzen und auch neue Vehikel wurden fabriziert. Aus seinem Geschäft weiß Poscher zu berichten, dass nach wie vor Familien die stärkste Kundschaft darstellen, Firmen halten sich noch recht bedeckt. Die zweirädrige Alternative zum Dieselruß müssen sie erst noch entdecken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht