piwik no script img

Letztes WM-Spiel in ManausAbschied vom Regenwald

Einst war Manaus überaus wohlhabend. Vom Reichtum ist heute nichts geblieben. Am Mittwoch verabschiedet sich die Stadt im Amazonas von der WM-Bühne.

200-Millionen-Arena: Im neuen Opernhaus des Fußballs in Manaus fällt der vorerst letzte Vorhang. Bild: reuters

BERLIN taz | Endlos schlängelt sich der mächtige Fluss durch ein grünes Bäumemeer. Die Luft ist heiß und feucht, als könnte man sie mit der Machete schneiden. Schwärme von Stechmücken surren ums Licht, Stille – nur aus der Ferne vereinzelt Trommeln unsichtbarer Indios.

Die Mannschaft des Flussdampfers verliert langsam die Nerven, Einzelne nesteln nervös an ihren Gewehren herum. Da tönt plötzlich vom Dach des Schiffes aus dem kupfernen Grammofon die Stimme Enrico Carusos durch die weiten Hallen der Natur – und besänftigt sind die kriegerischen Eingeborenen, die das Schiff fortan für ein Gottesgeschenk halten.

Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit Regisseur Werner Herzog den verwunschenen Ort und die Geschichte des Besessenen „Fitzcarraldo“ filmisch nach Europa brachte. Sein Traum: an diesen Unort voller Rieseninsekten, menschenfressender Fische und halbnackter Wilder die hohe Kunst zu importieren. Ein Opernhaus aus europäischer Tradition in der Wildnis zu bauen, mitten im peruanischen Amazonas, ganz nach dem Vorbild des Teatro Amazonas im brasilianischen Manaus.

Der berühmte italienische Tenor Caruso eröffnete das Haus 1897. Damals galt Manaus als eine der reichsten Städte der Welt. Die Kautschukbarone beuteten mithilfe versklavter Indígenas den Regenwald aus, das Geld floss in amazonesken Strömen, ihre Verschwendungssucht war legendär.

Urbane Insel im Amazonas

Das Opernhaus leisteten sie sich als weitere Caprice für zwei Millionen Dollar. Eigens für dieses ließen sie Marmor aus Carrara und Glas aus Murano heranschippern. Zehn Jahre später, als der Kautschukpreis an der Börse urplötzlich verfiel, verarmte die Stadt, das Opernhaus schloss. Erst 83 Jahre später, 1990, wurde es wiedereröffnet.

Noch immer ist Manaus eine urbane Insel, isoliert und inmitten des größten zusammenhängenden Urwaldes der Welt gelegen, eine Millionenstadt nur 30 Kilometer vor der Floresta Amazônica, eines schier undurchdringlichen Gebiets mit sagenhafter Vielfalt an Tieren, Pflanzen und Menschen. Rund 70 sogenannte isolierte Völker werden hier vermutet, indigene Stämme, die noch nie Kontakt zur Außenwelt hatten. In die Stadt gelangt man nur per Flugzeug oder Schiff. Touristen kommen vor allem, um das Abenteuer Regenwald zu erleben.

Seit die Fifa Manaus auserkoren hat, dort hohe Fußballkultur einzupflanzen, kommen auch andere Touristen. 670 Millionen Reais (rund 206 Millionen Euro) kostete die Arena, weit mehr als ursprünglich budgetiert. Und das, obwohl die Stadt nicht einmal ein halbwegs erfolgreiches Fußballteam hat. Aber bei aller Kritik, die auch in Manaus regelmäßig einige Hundert Menschen auf die Straßen trieb, jetzt, am Vorabend des letzten Spiels in der Arena da Amazônia, der Partie Schweiz gegen Honduras, sind alle des Lobes voll.

Das schönste Stadion haben die Manauraras ohnehin – findet zumindest der Gouverneur des Bundesstaats Amazônia, José Melo. Für die Organisation, die Sicherheitsstandards und das Engagement der Freiwilligen – die Stadt hatte kurz vor Eröffnung der WM mit 53 Prozent die höchsten Zustimmungsquoten von allen Austragungsorten – hat die Fifa die Stadt auch noch mal gesondert gepriesen.

Fragwürdige Nachhaltigkeit

Neulich bekam die Aréna da Amazônia sogar ein Zertifikat für Nachhaltigkeit – weil man Regenwasser für die Klos und zum Gießen des Spielfeldes benutzt. Mancher mag das Wörtchen „nachhaltig“ für fragwürdig halten, bei einem Stadion, das nicht nur Unsummen öffentlicher Gelder verschlang, sondern bei dessen Bau vier Arbeiter zu Tode kamen.

Die 25-jährige Anne Cristina Lima Marques, eine geborene Manaurara und im Tourismussektor beschäftigt, ist optimistisch. „Natürlich, das Stadion hat viel zu viel Geld gekostet, da ist sich ja jeder einig. Und ein erstligataugliches Fußballteam fehlt auch. Aber vielleicht würden die Teams gerne mal im Amazonas spielen“, so lautet zumindest eine Idee für die Anschlussverwendung der Arena. Manaus’ Bürgermeister, Arthur Virgílio Neto, möchte das Stadion nach der WM am liebsten verkaufen. „Dann werden wir sehen, ob es wirklich seine 670 Millionen Reais wert ist“, giftete er.

Für den Tourismus hat die WM der Region schon etwas gebracht. Endlich kommen nicht nur Sextouristen. „Der Männerüberschuss ist allerdings schon stark“, sagt Natalia Diaz aus Bahia Blanca, Argentinien. Sie arbeitet seit zwei Monaten im Ocara Hostel, im Stadtzentrum. „Wir haben derzeit ein Sechserzimmer mit Frauen aus den USA und der Rest, so circa 30 Leute, sind Männer.“

Auch die Vielfalt der Nationen habe sich vergrößert. Früher kamen vor allem Urlauber aus den Nachbarländern Kolumbien und Peru. Und via Direktflug aus Miami sehr viele US-Amerikaner. Jetzt, während der WM, sind es vor allem Engländer und Portugiesen, deren Teams im Regenwald gespielt hatten.

„Der schönste Ort der Welt“

Die Engländer mussten beim Auftaktspiel gegen Italien ihre erste Niederlage einstecken. Vielleicht war es die gerechte Strafe für die Worte, mit denen Trainer Roy Hodgson die Manauraras verärgert hatte. Denn nach der Gruppenauslosung im Dezember hatte der Trainer der Engländer nicht nur über die Gegner gestöhnt, sondern vor allem über Manaus. Achtzig Prozent Luftfeuchtigkeit und Hitze – für ihn schwer erträglich.

Bürgermeister Arthur Virgílio Neto beleidigte dies zutiefst. „Wir wollen auch nicht, dass England hierher kommt“, gab er zurück, „wir hätten lieber eine bessere Mannschaft hier, mit einem Trainer, der höflicher ist. Hodgson ist der einzige Mann auf der Welt, der nicht neugierig auf den Amazonas ist. Es ist der schönste Ort der Welt, und man sollte Schönheit schätzen.“

Aber nicht nur für England ist Schluss nach der Vorrunde, auch für Manaus. Die Arena hat ihr Soll erfüllt und versinkt wieder in ihrer grünen Abgeschiedenheit – gern hätte man mehr WM-Spiele gewünscht. Keiner weiß, ob wieder 80 Jahre vergehen müssen, bis ein wahnsinnsgenialer Regisseur das Stadion aus seinem Dornröschenschlaf erweckt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!