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Leiter des Canisius-Kolleg über Missbrauch„Nicht mehr allein mit Kindern“

Was ist aus der Debatte über sexuelle Gewalt an Kindern geworden? Vor vier Jahren wurde Missbrauch am Canisius-Kolleg bekannt. Jetzt gibt es dort Frühwarnsysteme.

Das Canisius-Kolleg in Berlin-Tiergarten. Bild: reuters
Simone Schmollack
Interview von Simone Schmollack

taz: Pater Zimmermann, gerade hat das Kirchengericht des Erzbistums Berlin einen heute 73-Jährigen wegen sexueller Gewalt an Kindern an Ihrer Schule, dem Canisius-Kolleg, verurteilt – zu lebenslangem Ausschluss vom Priesteramt und 4.000 Euro Strafe, die er dem Missbrauchsfonds spenden soll. Das Urteil wird den Mann kaum treffen.

Tobias Zimmermann: Inwieweit der Mann persönlich davon betroffen ist, kann ich nicht beurteilen. Ich kenne ihn nicht. Das Urteil zeigt aber, dass es für ein solches Vergehen eine Strafe gibt.

Eine sehr geringe Strafe für jemanden im Ruhestand.

Die Taten werden als so gravierend eingeschätzt, dass der Verurteilte das Priesteramt nie mehr ausüben darf. Das heißt, dass jemand nicht mehr für vertrauens- und glaubwürdig gehalten wird, und nie mehr das Wort Gottes verkündigen darf. Aus meiner Sicht ist das eine der härtesten Strafen überhaupt für einen Menschen, der für sein Leben die Berufung hatte, Priester zu sein.

Matthias Katsch, Missbrauchs-Opfer am Canisius-Kolleg und Leiter einer Opfergruppe, bezeichnet das Urteil als mild. Empfinden Sie es als angemessen?

Das kann ich sehr gut verstehen. Für das massive Leid, das durch den Missbrauch ausgelöst worden ist, ist es zu gering. Aber es ist immerhin mehr als nichts.

dpa
Im Interview: Tobias Zimmermann

46, der Philosoph, Theologe, Kunsthistoriker und Mitglied des Jesuiten-Ordens ist seit 2011 Rektor des Berliner Canisius-Kollegs.

Erst jetzt kam heraus, dass Papst Benedikt in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit rund 400 Priester wegen Missbrauchsvorwürfen entlassen hat. Ist das die Art und Weise, wie die katholische Kirche das Thema aufarbeitet – intransparent und mit Strafen, die den Opfern kaum zu vermitteln sind?

Beim Missbrauch geht es nicht nur um den Täter allein, sondern um ein in diesem Punkt gesamtes krankes System. Insofern stehen wir bei der Aufarbeitung immer noch am Anfang.

Es sind aber schon vier Jahre vergangen, seit Ihr Vorgänger, Pater Mertes, die Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg öffentlich gemacht hat.

Kirchliche Verfahren sind oft alt und deshalb nicht sonderlich transparent. Andererseits gibt es viele Opfer, die nicht wollen, dass ihre Fälle bekannt werden. Dann kann man Öffentlichkeit schlicht nicht herstellen.

Ihre Schule ist Teil des kranken Systems.

Hier wurde vor dreißig Jahren aktiv weggeschaut und aktiv nichts getan.

Was tun Sie heute dagegen?

Das Canisius-Kolleg heute ist ein anderes als es vor 30 Jahren war, mit einer anderen Schulkultur, mit anderen Lehrkräften. Das sehen selbst Opfer von damals so.

Gab es in den vergangenen Jahren neue Missbrauchsfälle?

Nein.

Haben Sie trotzdem ein Frühwarnsystem eingeführt?

Ja, wir haben ein Curriculum für Lehrkräfte, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler entwickelt. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erarbeiten wir einen Verhaltenskodex. Dazu gehört unter anderem, dass kein Erwachsener einfach so allein sein kann mit Kindern und Jugendlichen. Der Schulseelsorger, mit dem ein Kind auch mal ein Gespräch unter vier Augen führen will, tut das zum Beispiel in einem einsehbaren Raum. Für die Schülerinnen und Schüler haben wir gemeinsam mit externen Fachleuten Präventionsstrategien entwickelt.

Wie sehen die aus?

Beispielsweise kommt die Beratungsstelle Kind im Zentrum hierher zu uns in die 5. Klassen. In der 9. Klasse gehen die Mädchen zu Wildwasser, einem Verein für missbrauchte Mädchen und Frauen. Die Jungen gehen zu Tauwetter, dem männlichen Pendant. Auch über den Umgang mit digitalen Medien wird umfassend informiert. Die Kinder müssen aber nicht nur wissen, wohin sie sich wenden können. Sondern sie müssen in erster Linie sprachfähig gemacht werden. Darin liegt unsere große Aufgabe.

Und das erreichen Info-Veranstaltungen einmal im Schuljahr?

Selbstbewusste, sprachfähige Menschen zu erziehen, die für die eigenen Grenzen ebenso einzustehen gelernt haben wie für die der anderen, ist Ziel unseres ganzen Schulprogramms auf dem Feld „soziales Lernen“. Darunter fallen auch Themen wie Mobbing. Zu unserer Präventionsarbeit gehören aber ebenso Handlungsleitfäden sowie unsere Missbrauchsbeauftragte, die wir seit vielen Jahren haben.

Warum wurde die Missbrauchsbeauftragte nicht schon vor 2010 tätig?

Sie kann nur das öffentlich machen, was ihr mitgeteilt wird. In der medialen Aufklärung der Missbrauchsfälle ab 2010 spielte sie eine wichtige Rolle, die lief nämlich vor allem über sie.

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4 Kommentare

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  • "Gab es in den vergangenen Jahren neue Missbrauchsfälle" - "Nein"...

     

    Herr Zimmermann und sein Team haben offensichtlich ihre Weiterbildungsreihe bei den von ihm benannten Organisationen noch nicht beendet. Sonst wüsste er, dass beim Phänomen "sexueller Missbrauch" gilt: "sag niemals nie".

     

    "Selbstbewusste, sprachfähige Menschen zu erziehen, die für die eigenen Grenzen ebenso einzustehen gelernt haben wie für die der anderen..."

     

    Spätestens im Jahre 1981 erfuhr der damalige Schulleiter, dass als Lehrer an der Schule eingesetzte jesuitische Priester Schüler sexuell misshandeln

    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/berliner-canisius-kolleg-schulleitung-wusste-frueh-von-missbrauch-a-675288.html

     

    http://www.fr-online.de/home/canisius-kolleg-gequaelt--missbraucht---und-vertuscht,1472778,2865272.html

     

    Ehemalige Schüler und Eltern zeigten Zivilcourage und informierten die Verantwortlichen. Von Seiten der Ordensangehörigen: keine Reaktion.

     

    Selbstbewusstsein? Sprachfähigkeit? Woran machen wir das fest? An geschliffenen Umgangsformen und rhetorischen Fähigkeiten etwa?

     

    Es ist an so genannten "Eliteschulen" nicht anders als überall: Täterinnen und Täter haben es da leicht, wo die Erwachsenen schwach sind. Und Schwächen können sich auch in Form von Dünkeln äußern.

     

    Da wo die Verantwortlichen kompetent, reflektiert und umsichtig sind, haben es Missbraucher dagegen schwer.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

  • H
    huhu

    komisch nur, dass die beratungsstellen 30 jahre nichts fanden...

    • @huhu:

      Ich nutze mal die Gelegenheit und danke den engagieren MitarbeiterInnen von Beratungsstellen von ganzem Herzen für ihre jahrzehntelange Hartnäckigkeit.

       

      Aber:

       

      sollte man in die Hand beißen, die einen füttert?

       

      Gerade die MitarbeiterInnen der Beratungsstellen für Opfer sexueller Misshandlung haben eine sehr schlechte Lobby. Durch ihre Arbeit erinnern sie uns alle daran, dass Sexualität nicht nur ein harmloses Freizeitvergnügen ist, sondern auch viele äußerst destruktive Seiten hat.

       

      Und Kinder und Jugendliche im Grunde nirgendwo wirklich sicher vor Missbrauch sind.

       

      Das rüttelt an den Grundfesten. Es lässt unseren Wunsch, in einer sicheren schönen Welt zu leben als das erscheinen was er ist: kindisch.

       

      Wenig schmeichelhaft.

       

      Deshalb geben die Verantwortlichen das Geld lieber für attraktivere, da weniger negativ besetzte Projekte aus.

       

      MfG,

      Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Das ist die Kirche: Sex verdammen und dann nicht davon lassen können. Aber vielleicht gibt es ja auch ein geheimes Zusatzprotokoll zur "Nächstenliebe", welches deren Auslegung ein wenig erweitert.