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Lehrer in Online-Netzwerken„Facebook nimmt mir Arbeit ab“

Immer mehr LehrerInnen kommunizieren in sozialen Netzwerken mit ihren Schülern. Diese „Freundschaften“ haben Vorteile. Und sie können gefährlich werden.

Die „Freundschaften“ zwischen Lehrern und Schülern können eskalieren. Bild: reuters

„Reifen zerstochen vor der Tür – Leute, wessen Klausur habe ich aus Versehen unfair bewertet? Mit mir kann man doch reden.;o)“, schreibt Katharina Lüders* auf ihre Facebook-Pinnwand, nachdem sie mit einem Fahrradplatten zu Hause angekommen ist.

Die Schülerinnen und Schüler freuen sich über den Post ihrer Spanischlehrerin. Zehn „Likes“ bekommt sie für diesen Eintrag. Auf ihrer Facebookseite finden sich neben aktuellen Fotos vom letzten Skiurlaub auch Bilder aus ihrer Vergangenheit. Sie zeigen Lüders als junge, hübsche Studentin am Strand und wild tanzend auf einer Party.

Die Schüler haben vollen Einblick in das Privatleben der Pädagogin. „Ein persönliches Verhältnis zu meinen Schülern war mir schon immer wichtig. Sie können doch ruhig sehen, dass ich auch ein normaler Mensch bin, der nicht immer Lehrerin war. Ich möchte authentisch sein und nicht durch die Glasscheibe unterrichten“, erklärt Katharina Lüders die Facebook-Freundschaften zu ihren Schülern.

Facebook

Hamburg: Ein 46-jähriger Lehrer begann mit einer 14-jährigen Schülerin eine sexuelle Beziehung. Beide kamen sich über Facebook näher. Der Pädagoge wurde Mitte April zu einer Bewährungsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt.

Niedersachsen: Ein Englischlehrer schrieb gleich mehrere Schülerinnen über das soziale Netzwerk an und wollte sich mit ihnen verabreden . Die Schulleitung schritt ein. Ihm wurde gekündigt.

Passau: An einem kirchlichem Gymnasium kommunizierte ein Lehrer via Facebook mit seinen Schülern. Es heißt, er habe „unpassende Formulierungen“ verwendet. Anfang Mai folgte die Suspendierung.

„Private Sorgen, Zukunftsängste und Liebeskummer werden im Unterricht nicht angesprochen. Eine kurze Nachricht an mich hilft dann vielen Schülern weiter“, sagt sie der taz.

Erhöhte Missbrauchsgefahr

Kritiker sehen in den Facebook-Freundschaften eine erhöhte Missbrauchsgefahr. Die nötige Grenze zwischen Lehrer und Schüler droht aus ihrer Sicht zu verwischen. Zu oft seien diese Verbindungen in jüngster Vergangenheit eskaliert, woraufhin Lehrer suspendiert wurden.

Auch Johannes-Wilhelm Rörig, der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, stuft diese „Freundschaften“ als gefährlich ein. „Lehrer unterrichten Schüler, sie sind keine Freunde und sollten dieses Distanzgebot einhalten“, sagte er.Befürworter unter den Pädagogen halten Facebook für ein neues Wunder, das die Kommunikation außerhalb des Klassenraums ermöglicht und Grillfeste und Elternabende schneller planbar macht.

Gerade deswegen ist Robert Trömer*, Lehrer für Chemie und Sozialwissenschaften in Nordrhein-Westfalen, von dem sozialen Netzwerk begeistert. Aus seiner Sicht ist Facebook für die Schule der ideale Kommunikationskanal. „Meine Schüler sind doch ständig da drin. So können wir uns schnell austauschen“, erklärt er.

Trömer will auf die Jugendlichen zugehen können, sie „abholen“, wie er sagt. Kurzfristige Änderungen wie Stundenausfälle oder Verspätungen trägt er auf seiner Pinnwand ein. „Ich muss niemanden anrufen oder eine E-Mail schreiben“, erklärt er. „Facebook nimmt mir so entscheidende Arbeit ab.“

Privates ist in den Gruppen tabu

Als sich das soziale Netzwerk in Deutschland verbreitete, „befreundete“ sich Trömer auch mit seinen Schülern. Kein Problem, dachte er. Doch dann sah er an Sonntagabenden die Partyfotos seiner neunten und zehnten Klasse. „Das war für mich schon ein Zwiespalt“, erinnert er sich. „Schließlich bin ich doch ihr Lehrer und der muss ich auch bleiben.“

Trömer kündigte die „Freundschaften“ und kommuniziert heute mit seinen Schülern in geschlossenen Facebook-Gruppen, die nicht öffentlich sind. Privates ist dort tabu. Es geht nur um die Schule.

Auch Katharina Lüders weiß, dass sie in dem Netzwerk Lehrerin bleiben muss. Aus privaten Posts und Fotos ihrer Schüler hält sie sich raus, nimmt nur „Freundschaften“ aus der Oberstufe an. Denn wenn aus dem ursprünglichen Lehrer-Schüler-Verhältnis über Facebook ein privates wird, kann es sehr gefährlich werden – für beide Seiten.

„Sieht eine Lehrerin auffällige Fotos oder Beleidigungen ihrer Schüler, steht sie vor schwierigen Entscheidungen. Ist das privat oder nicht? Soll sie einschreiten oder nicht?“, fragt sich Heinz-Peter Meidinger, Bundesvorsitzender des Deutschen Philologenverbandes. Ein Pädagoge sei zur Objektivität verpflichtet. Wenn er nur mit einigen Schülern „befreundet“ sei, sei er nicht mehr unabhängig, meint Meidinger.

Modellprojekte gefordert

Der Verband für Bildung und Erziehung fordert, dass der professionelle Umgang mit Facebook Teil der Lehrerausbildung und der Fortbildungen werde sollte. „Dieses Medium rollt auf uns zu. Wir brauchen Modellprojekte an Schulen, damit wir als Lehrer unsere Erfahrungen mit sozialen Netzwerken ausbauen können“, sagt der Bundesvorsitzende Udo Beckmann der taz. Wenn ein Lehrer mit seinen Schülern über Facebook kommuniziere, dann sollte er dafür auch einen speziellen Account einrichten, um die notwendig Distanz zu wahren, erklärt Beckmann weiter. Schüler seien schließlich Schutzbefohlene.

Das weiß auch die Spanischlehrerin Katharina Lüders. „Ich habe die Verantwortung, dass bei meinen ’Freundschaften‘ nichts schiefgeht. Die Ebenen müssen gewahrt bleiben“, sagt sie.

Doch es geht immer wieder schief. Mitte April wurde ein Hamburger Lehrer wegen Missbrauchs zu fünfzehn Monaten Haft verurteilt, weil er mit einer 14-jährigen Schülerin eine sexuelle Beziehung eingegangen war. Beide waren sich über Facebook nähergekommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Vonseiten der Staatsanwaltschaft heißt es, dass der Mann in Revision gegangen sei.

Auch für das Hamburger Gymnasium ist der Fall noch lange nicht erledigt. Lehrer, Schüler, aber auch Eltern werden derzeit von psychologischen Krisenteams gecoacht. Denn wie sollen sie mit den Medien in dieser heiklen Situation umgehen? Sie fragen sich, wer doch etwas gewusst haben könnte, wer vorher hätte einschreiten können.

„Kaum zu bewältigende Zerreißprobe“

Christian Böhm leitet diese Teams. Für ihn ist „der Umgang mit so einem Vorfall für eine Schule eine kaum zu bewältigende Zerreißprobe“. Böhm ist promovierter Psychologe, erfahren, ruhig. Doch bei diesem Thema kann auch er lauter werden. „Niemand denkt gerade an Präventionsmaßnahmen. Wir müssen zuerst das 14-jährige Mädchen ohne Schaden durch die Schullaufbahn bringen und dafür sorgen, dass irgendwie der Alltag an diesem Gymnasium zurückkehrt“, erklärt Böhm gegenüber der taz.

Er glaubt nicht, dass die Internetkommunikation für solche Missbrauchsfälle allein verantwortlich ist. „Der Umgang von Nähe und Distanz zwischen Lehrern und Schülern muss geschult werden. Denn gerade an der Schule entstehen Gefühle wie Sympathie oder Ablehnung, mit denen alle täglich umgehen müssen“ sagt Christian Böhm.

Lehrer an anderen Schulen können das Wort Facebook nicht mehr hören. „Ich bin strikt dagegen und warne meine Kollege davor, sich dort zu engagieren“, sagt der stellvertretende Leiter eines Gymnasiums in Niedersachsen. Die Rolle des Lehrers und des Schülers würden durch Facebook unscharf. Der direkte, menschliche Kontakt sei wesentlich wichtiger als irgendein virtueller.

An dieser Schule versuchen jetzt die Lehrer den Jugendlichen gezielte Sport- und Musikangebote außerhalb des Unterrichts zu machen, um die direkte Kommunikation zu fördern. Denn Facebook ist hier ein sehr präsentes Thema geworden. Vor einigen Wochen wurde ein Englischlehrer suspendiert. Er schrieb gleich mehreren Schülerinnen über das Netzwerk, wollte sie auch privat treffen. Seine Annäherungsversuche flogen auf. Die Schulleitung konnte noch rechtzeitig einschreiten.

Facebook fördert Täter immens

Facebook fördert Täter immens – behauptet die Psychotherapeutin Julia von Weiler. Sie kämpft seit Jahren in dem Verein „Innocence in danger“ aktiv gegen Kinderpornografie und sexuellen Missbrauch im Netz. „Das ist eine große Möglichkeit, um die Verbindungen mit potenziellen Opfern zu verstärken und intim werden zu lassen, durchgängig und unausweichlich, 24 Stunden am Tag“, erklärt von Weiler.

„Wenn wir über Facebook kommunizieren, sehen wir den Gesprächspartner nicht und interpretieren in seine Antworten etwas hinein. Das kann gefährlich werden, weil wir den Computer abschalten können, aber nicht unseren Kopf“, sagt die Psychotherapeutin.

„Idioten wird es immer geben“

„Idioten unter Lehrern, die mit ihren Schülern etwas anfangen wollen, würde es auch ohne Facebook geben“, entgegnet Chemielehrer und Internetfan Robert Trömer. Die suchen auch so ihre Möglichkeiten.“

Annäherungsversuche gibt es auch aus der anderen Richtung. Tobias Steffens*, ein junger Biologielehrer aus Berlin, wurde während seiner Zeit als Referendar regelmäßig von einem Neuntklässler über Facebook angeschrieben. Es folgten Komplimente, Steffens wusste nicht mehr, was er machen sollte. Wie sollte er den Jungen abweisen, der Zuwendung und anscheinend auch Liebe brauchte?

Steffens ignorierte die Annäherungsversuche. Heute hat er ein Facebook-Profil nur für seine Jugendlichen eingerichtet.

* Name von der Redaktion geändert

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11 Kommentare

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  • A
    Axel

    Lieber Herr Gehrke,

     

    jenseits der Diskussion über die Wahl der Experten und die Frage, ob es eine "richtige" Lösung gibt:

     

    "Diese 'Freundschaften' haben Vorteile. Und sie können gefährlich werden."

    http://www.taz.de/!93443/

     

    Allein schon die Überschrift überzeugt, denn sie zeigt Ambivalenzen auf.

    "So einfach ist es nicht", nicht schwarz oder weiß.

    Diesen Eindruck konnte man bekommen, wenn man in den letzten Jahren Füllers Bildungstexte gelesen hat, aber erfreulich ist es, wenn bei einem pädagogischen Thema in der taz auf diese Weise differenziert wird.

     

    Mehr davon!

     

    Axel Backhaus

  • F
    Felix

    Wissen Lehrer überhaupt, was sie ihren Schülern antun, wenn sie sie so zu Facebook nötigen? Ist den Lehrern auf Facebook überhaupt bewußt, was Facebook ist?

     

    Facebook ist in erster Linie ein kommerzielles Unternehmen, dessen Geschäftszweck darin besteht, jedes noch so kleine Datenfitzelchen seiner Mitglieder zu sammeln, psychologische Profile zu bilden und diese Profile zu verkaufen.

     

    Schüler-Lehrer-Kontakte zur Organisation der Klasse müssen auf Facebook grundsätzlich verboten werden! Wenn Schulen Aktivitäten der Klassen online organisieren wollen, dann müssen Schulen eine eigene, geschlossene Internetseite mit einem entsprechenden Forum für die Klasse einrichten und den Inhalt spätestens nach dem Ende der Schulzeit der betreffenden Schüler komplett löschen.

     

    An unserer Schule ist es leider ähnlich. Daher haben sich einige Eltern zusammengetan und ihren Kindern die Mitgliedschaft bei Facebook untersagt. Einige Lehrer versuchen aber trotzdem durch eine Facebook-Gruppe für die Klasse die Schüler zu einer Facebookmitgliedschaft zu zwingen, da sonst wichtige Informationen vorenthalten, garnicht oder mit starker Verzögerung kommuniziert werden. Das darf so nicht sein! Niemand darf in der Schule diskriminiert werden, weil er nicht auf Facebook ist! Daher arbeiten wir bereits an einer Beschwerde an das Schulamt. Weiterhin sind wir dabei, die betreffenden Lehrer bei der Polizei einfach wegen Nötigung anzuzeigen. Inzwischen haben wir genügend Belege gesammelt, aus denen hervorgeht, dass Kinder ohne Facebook-Konto in der Klasse eklatant benachteiligt werden.

  • A
    Axman

    Ja es scheint wirklich häufig vor zu kommen, dass tradierte Rollen neu erprobt werden und so dann natürlich auch fb sehr leicht mit wenig Bewusstsein für dies neue Medium benutzt wird. Also einers

    eits ein neues Medium, aber andererseits auch der Wunsch die Beziehungen neu anders zu gestalten.

  • CG
    Christian Gropper

    Muss eigentlich die Hysterie verbreitende und schon längst entzauberte Pseudoexpertin Julia von Weiler in jedem dieser schlecht gemachten Artikel auftauchen? Könnten nicht auch Journalisten Innocence in Danger einfach ignorieren?

  • WI
    Weiterbildung in Sachen Datenschutz fällig!

    Vom Sozialdatenschutz haben die Lehrerin und der Lehrer wohl noch nie was gehört, noch gelesen???

    Und darüber hinaus ist die von Beiden gepflegte Distanzlosigkeit äußerst unangenehm.

    Aus solcher Distanzlosigkeit er'wuchs' dann mal in der Odenwaldschule der vornehmlich von der Lehrerschaft gegenüber SchülerInnen vorgenommene Bruch der Wahrung der körperlichen Intimität der SchülerInnen.

     

    Zuerst ist der Bruch des Wort-Geheimnisses (Wort-Geheminis über Gesundheits- und Sozialdaten gehört zur Dienstpflicht einer jeden lehrerin und eines jeden Lehrers). Die Steigerung(sform) des Bruches des Wort-Geheimnisses (als Übertretung einer Distanz zum Schüler / zur Schülerin) ist das Überschreiten der Intimsphäre gegenüber dem Schüler / der Schülerin (wobei zum Bruch des Schutzes der persönlichen Sozialdaten der betreffenden SchülerInnen es Berührungspunkte bis hin zu Überschneidungen zum [bruch der] Intimsphäre der betreffenden SchülerInnen es gibt).

    Ich erwarte DRINGEND einen Aufschrei von SchuldirektorInnen, RektorInnen und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft!

  • EF
    Erich F.

    Ja, nicht besonders ueberzeugend dieser Artikel und ist fuer meinen Geschmack viel zu auf 'Panik machen' ausgerichtet, wie das Beispiel der Affaere des Hamburger Lehrers zu einer 14jaehrigen als Beweis dafuer ranzuziehen,dass Facebook den Missbrauch von Schutzbefohlenen beguenstigt.

     

    Solche Faelle hat es schon immer gegeben, auch ohne Facebook und es muessen dann die sozialen Kontrollmechanismen greifen. Das einzige logische Argument hier waere darauf hinzuweisen, dass sich durch Internet und Smartphones die Kommunikationmoeglichkeiten erweitert haben und es so die Kontaktaufnahme erleichert wird.

  • T
    T.V.

    Gabs nicht exakt den selben Artikel schon vor einigen Tagen zu lesen? Ich bin grad verwirrt.

  • KL
    kein lehrer

    ihr habt den gleichen artikel schon am 08.05. veröffentlicht...

     

    http://taz.de/LehrerInnen-in-Sozialen-Netzwerken/Kommentare/!c92912/

     

    bisschen komisch, oder?

  • -.-

    was in dem artikel nicht angesprochen wird: was ist mit den schüler*innen, welche nicht in facebook sind (die gibt es zum glück auch noch)? wird hier nicht ein neuer zwang geschaffen, überall mitzumachen unabhängig von kritischen aspekten wie datenschutz, informative selbstbestimmung? werden so außenstehende weiter isoliert?

    die sich positiv auf facebook beziehenden Lehrer*innen scheinen diesen aspekt völlig ausgeblendet zu haben.

  • BH
    Banjo Hansen

    Der Philologenverband ist besorgt. Ich lach' mich schlapp.

     

    Eine faszinierende Parallele zur Argumentation "Frauen, die kurze Röcke tragen, sind selbst Schuld, wenn sie vergewaltigt werden."

     

    Facebook, so wenig man andere Facetten davon mögen mag, ist die Chance einer erweiterten Kommunikation. Viele Schüler leiden darunter, dass sie den Pauker nur als abgehobenes Überwesen kennen.

  • K
    Kitschautorin

    Die Grundaussage dieses Artikels ist, dass Lehrer mit ihren Schülern nicht auf Facebook kommunizieren sollten, weil sie das dann am Ende eh nutzen, um die Distanz zu ihren Schülern größtmöglich zu verringern, sprich: sie zu belästigen. Tut mir Leid, dieser Artikel hat mich nicht überzeugt.