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Kunst statt Opel in BochumFeier der Vergänglichkeit

Mit dem Projekt „This is not Detroit“ antwortet das Schauspielhaus Bochum auf die Deindustrialisierung der Stadt.

Grüne Bühne auf dem Vorplatz des Theaters in Bochum. Bild: Diana Küster

Es ist später Abend, Zuschauer haben sich in einem Zelt eingefunden, Live-Reporter sind vor Ort. Das Bochumer Institut für Experimentalphysik setzt einen Mess-Maschinenpark in Gang. Die Stimmung ist angespannt und die Gerüchteküche brodelt: Das Opel-Werk würde von 170.000 Frachthubschraubern abtransportiert, heißt es; andere sprechen von einer kompletten Absenkung in die Erde oder als Alternative von einer Auflösung per Spiegeltechnik.

Ziel jedenfalls ist, das gesamte Opel-Werk in Bochum-Langendreer auf einen Schlag per „kollektiver Imagination“ zum Verschwinden zu bringen. Und dann geschieht das Unglaubliche: 5 Millionen Kubikmeter Raum lösen sich ins Nichts auf.

„Ein Werk verschwindet“ heißt der schöne kleine Film des Duos Hofmann&Lindholm, die in bekannter faktengesättigter Illusionistenmanier einen so unterhaltsamen wie melancholischen Epitaph für die sterbende Automobilindustrie in Bochum errichten. Der Film ist Teil des Großprojekts „This is not Detroit“, mit dem das Bochumer Schauspielhaus zusammen mit Urbane Künste Ruhr auf die Stilllegung des Opel-Werks 2016 reagiert.

Nach der Montanindustrie verliert Bochum in einem zweiten Strukturwandel nun auch noch die Automobilindustrie. Die Vision einer deindustrialisierten Stadt erschüttert das Selbstverständnis der Ruhrgebiets-Stadt. „This is not Detroit“ versucht seit vergangenen September diesen Prozess mit Gesprächsrunden, Vorträgen, Symposien, Ausstellungen und Kunstaktionen zu begleiten.

Das Projekt

Das Bochumer Detroitprojekt geht noch bis 5. Juli. Das Programm und weitere Informationen finden sich hier.

Lösung aus der Schockstarre

Eingeladen wurden auch Wissenschaftler und Künstler aus den anderen Opel-Standorten in Gliwice, Zaragoza und Ellesmere Port. Als das Projekt im September letzten Jahres begann, saß der Schock noch tief. Inzwischen habe sich die Stimmung gewandelt, sagt Sabine Reich, die zusammen mit Olaf Kröck und Katja Assmann das Projekt kuratiert hat; der Blick richte sich inzwischen stärker auf den Wandel als auf die Krise.

Das lässt sich von außen nicht nachprüfen. Unbestreitbar allerdings, dass die Stadt von den Bürgern bis zum Opelbetriebsrat, von städtischen Ämtern bis zur Oberbürgermeisterin in das Projekt involviert wurde.

Jetzt starteten gleich mehrere Kunstprojekte – unübersehbar bereits die Ausstellung „Mein Bochum – unsere Zukunft“, für die Fotos der Bürger auf Großplakatflächen im öffentlichen Raum ausgestellt wurden. Das ist mal witzig, mal platt, mal sentimental, mal anekdotisch, es dokumentiert aber vor allem den Partizipationswillen der Bochumer Bürger diesseits von Investoreninteressen.

Sauna in der Betriebskrankenkasse

Wer wissen will, was das heißt, muss sich nur das brachliegende riesige Gelände der früheren Betriebskrankenkasse der Thyssen AG im Zentrum ansehen: Es wartet, eingezäunt, seit Jahren auf einen Großfinanzier – dort hat modulorbeat, ein Münsteraner Netzwerk aus Architekten und Urbanisten, zwischen den wildwachsenden Birken eine turmartige „One Man Sauna“ errichtet, die nach Anmeldung benutzbar ist. Die Gruppe liefert damit einen Kommentar zur Frage von Peripherie und Zentrum, Öffentlich und Privat sowie zur atypischen Verortung von Freizeitaktivitäten der Ruhrgebietler in Zechen und auf Brachen.

Die Projekte sind über die ganze Stadt verteilt. Im heruntergekommenen Stadtteil Goldhamme haben Chris Kondek, Christiane Kühl und Klaus Weddig ihre Installation „Shoot out“ über ein fiktives, gescheitertes Fotoprojekt eingerichtet, das durchspielt „Was passiert, wenn das Geld alle ist?“.

Auf dem Förderturm des deutschen Bergbaumuseums leuchtet der Schriftzug "How Love could be", eine Songzeile von der ersten Single des Mowtownlabels in Detroit, dem Sitz des Mutterkonzerns von Opel, GM. Die Idee stammt von Forced Entertainment-Chef Tim Etchells. Vor dem Schauspielhaus wurde ein Gemeinschaftsgarten angelegt. Dass die Installation bei den Aktionen dominiert, hat wohl auch mit der Theatralisierung des Betrachters zu tun, die mit dieser Kunstform einhergeht. Aktivierung und Selbsreflektion des Besuchers greifen ineinander.

In einer Zeche verkrochen

Die Kunst verändert zwar die Stadt nicht, sie bietet auch keine Lösungen. Sie versteht sich in Bochum allerdings schon als deutliches Statement, dass die Zukunft der Stadt eine Aufgabe aller Bürger ist. Und sie will Sichtbarkeit, auch wenn die eindrücklichste Installation „Der Keller“ von dem polnischen Künstler Robert Kusmirowski sich in das Untergeschoss der Zeche 1 verkrochen hat.

Unter abgewrackten Rohren versammelt sich ein Sammelsurium aus Syntheziser, Akkordeons, Bandmaschinen, Frequenzgeneratoren und Gestellen mit Glaskolben - alles von einer dicken Staubschicht überzogen. Hat man sich in ein Tonstudio verirrt? Warum hängen Ölmäntel an der Wand? Die zahlreichen Messgeräte deuten auf einen Steuerungsraum, warum dann das Musik-Equipment?

Kusmirowski, genannt der „Fälscher von Lublin“, komponiert seine Installationen aus gefundenen Objekten vergangener Zeiten und bereitet sie extrem detailgetreu auf. Das Subjekt ist dabei abwesend und hat doch seine Spuren hinterlassen, in den zerdrückten Zigarettenstummeln, dem zurückgeschobenen Rollstuhl oder der halb herausgezogenen Schallplatte. Eine faszinierende Mischung aus Memento, fiktiver Rekonstruktion und Feier der Vergänglichkeit – von der man sich allerdings wünscht, dass sie so nicht zum Vorbild für die Zukunft Bochums wird.

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