Kulturproteste gegen Anti-BDS-Praxis: Einmal durchlüften, bitte!
Etablierte Kulturinstitutionen schlagen Alarm. Die Anti-BDS-Resolution des Bundestags erschwert ihre Zusammenarbeit mit internationalen KünstlerInnen.

I ch teile Ihre Meinung nicht, würde aber dafür sterben, dass Sie sie äußern dürfen. Dieser Satz, der nicht von Voltaire, sondern von einer britischen Autorin stammt, ist eine Pathosformel der liberalen Demokratie. Der freie Streit ist ihr Glutkern, zu viele Einschränkungen führen zu langsamem Ersticken.
Es gibt viele Gründe, die unbedeutende BDS-Bewegung, die den Staat Israel wegen seines Besatzungsunrechts boykottieren will, skeptisch zu sehen. In Europa trifft ihr Boykott in Unis und Kultur meist eher kritische Israelis, in Deutschland sollte man mit Boykotten sowieso vorsichtig sein.
Doch der amtliche Bannfluch gegen BDS per Bundestagsbeschluss hat fatale Wirkungen. Es kommt zwar kein BDS-Sympathisant vor Gericht. Aber jede Art von BDS-Befassung in öffentlich geförderten Räumen und Universitäten zu verbieten, ist ein massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit. Da aber hat der Staat nur im Notfall etwas zu suchen. Dass Gerichte die schlimmsten Auswüchse der Anti-BDS-Praxis korrigiert haben, ändert nichts daran. Das diskursive Pendant zum BDS-Bannfluch ist der wahllose Antisemitismusvorwurf. Auch da ersetzt Diffamierung die Debatte.
Bislang haben diese Missstände vor allem liberale Juden kritisiert – weil sie sehen, dass all das dem Geschäft der Rechten in Israel nutzt, die Kritik am Besatzungsregime zum Schweigen bringen wollen. Dass nun auch etablierte deutsche Kulturinstitutionen wie das Goethe-Institut und die Kulturstiftung des Bundes durch einen öffentlichen Appell Alarm schlagen, ist erfreulich. Es ist der Versuch, die stickig-enge deutsche Debatte durchzulüften und das Fenster aufzumachen. Der Aufruf der „Initiative GG 5.3“ benennt auch präzise das Paradox des Anti-BDS-Beschlusses. Er antwortet auf den BDS-Boykott mit einem weiteren Boykott.
Die Motive für den Anti-BDS-Beschluss mögen ehrenwert gewesen sein, die Auswirkungen beschädigen den Kern der liberalen Demokratie: den freien Austausch von Argumenten. Es ist Zeit, ihn zu revidieren. Die Stärke der Demokratie ist die Fähigkeit, Fehler zu korrigieren.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ergebnis der Sondierungen
Auf dem Rücken der Schwächsten
Frauen und Krieg
Krieg bleibt männlich
Krieg im Nahen Osten
Definitionsmacht eines Genozids
Schwarz-Rote Finanzen
Grüne in der Zwickmühle
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
Schwarz-rote Sondierungen abgeschlossen
Union und SPD wollen gemeinsam regieren