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Kritik am UN-Bericht über FukushimaJede Strahlungserhöhung hat Folgen

UN-Experten erklären, die Atomkatastrophe in Fukushima führe nicht zu einem erhöhten Krebsrisiko. Kritische Ärzte nennen die Studie „unseriös“.

Nicht gefährlich? Ein Geigerzähler misst im April 2011 die radioaktive Strahlung in Tokio Bild: dpa

BERLIN taz | Auf massive Kritik ist ein am Mittwoch vorgelegter Bericht der Vereinten Nationen zu den gesundheitlichen Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima von 2011 gestoßen. Nach Einschätzung der UN-Experten hat die dreifache Kernschmelze das Krebsrisiko der japanischen Bevölkerung nicht erhöht. Selbst den sprunghaften Anstieg von Schilddrüsenkrebs bei Kindern sehen sie nicht als Folge der freigesetzten Strahlung.

Bei Screenings waren insgesamt 250.000 Kinder und Jugendliche untersucht worden. Dabei wurden 75 Fälle von Schilddrüsenkrebs – eine extrem seltene Erkrankung – diagnostiziert. In dem Bericht heißt es nun dazu: Die erhöhte Rate von Zysten, Knoten und Krebsfällen sei „zu erwarten gewesen, wegen der hohen Effizienz der Untersuchungsmethode“.

Gleichzeitig räumen die UN-Experten aber ein, dass „ein erhöhtes Risiko vor allem für Schilddrüsenkrebs bei Kleinkindern und Kindern angenommen werden kann“. Unklar sei, wie viele Kinder tatsächlich einer höheren Strahlendosis ausgesetzt gewesen seien.

Vom Personal, das bei den Rettungs- und Aufräumarbeiten eingesetzt war, pickt der Bericht insgesamt 172 Atomwerker heraus, die höhere Strahlenwerte aufweisen. Für diese Personengruppe müsse mit „einem erhöhten Krebsrisiko“ gerechnet werden.

Für den Großteil der japanischen Bevölkerung – auch in den Präfekturen rund um die geborstenen Atommeiler – sieht der Bericht dagegen praktisch kein Risiko. Wörtlich heißt es: „Die geschätzte effektive Strahlendosis durch den Unfall kann mit den Folgen der Strahlung durch natürliche Quellen verglichen werden.“

Die atomkritische Ärztevereinigung IPPNW sprach von einer „wissenschaftlich unseriösen“ Studie. Sie fuße auf umstrittenen Daten, die von der Atombetreiberfirma Tepco, der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA in Wien und den japanischen Atombehörden stammten. Wie schon nach Tschernobyl würden die Risiken „vertuscht, verharmlost und verschwiegen“. Beim Schilddrüsenkrebs sei die Neuerkrankungsrate von 0,35 Fällen je 100.000 Kinder auf 13,0 angestiegen – fast eine Vervierzigfachung. Jede noch so kleine Erhöhung von Radioaktivität habe gesundheitliche Folgen, die nicht bestritten werden könnten.

Der Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Sebastian Pflugbeil, sagte, es sei „tollkühn“, nur drei Jahre nach der Katastrophe bereits Entwarnung zu geben. Die Krankheitswelle beginne gerade erst.

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3 Kommentare

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  • Mal ganz abgesehen von den zerstörten Reaktorblöcken mit all ihren noch völlig ungelösten Risiken versickern derzeit jeden Tag hunderte Tonnen radioaktives Kühlwasser in Fukushima. Kein vernunftbegabter Mensch wird davon ausgehen, dass dies ohne gesundheitliche Folgen bleiben kann. Als Lösung dieses Problems wurde zunächst einmal die Berichterstattung zensiert. Die Presse wurde massiv unter Druck gesetzt. Journalisten wurde offen mit Existenzvernichtung gedroht, wenn sie kritisch über Fukushima berichten. Die Öffentlichkeit erfährt nur noch das, was Tepco mitteilt. Nach offizieller Darstellung ist deshalb alles im grünen Bereich, weil es von vorneherein gar kein anderes Ergebnis geben darf. Jede andere Darstellung würde ja Regressansprüche gegen Tepco bzw. den japanischen Staat (was im Prinzip das Gleiche ist) begründen.

    Es ist wie bei jedem Großbrand hierzulande. Die Feuerwehr stellt ihren Messwagen da auf, wo der Rauch nicht hinkommt und kann natürlich nie Schadstoffe in der Luft feststellen. Die Presse wird anschließend informiert, dass es zu keinem Zeitpunkt eine gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung gegeben hat. Alle (?) sind zufrieden. Wer's glaubt, wird selig.

  • Ja, ne - is klar. Fukushima ist ganz harmlos, der Markt reisst sich um Grichenland-Anleihen und Deutschland hat so wenig Arbeitslose wie noch nie.

     

    HALLO AUFWACHEN!!! Es stehen wahlen vor der Tür, da werden die Schäfchen in Sicherheit gewogen.

  • Da sind zwei Haken dran:

     

    1. Dass jede Dosiserhöhung gesundheitliche Folgen hat - unabhängig vom Überschreiten eines Schwellenwerts - ist weder belegt noch wiederlegt (und aus statistischen Gründen auch kaum beleg- oder widerlegbar). Am Ende ist es eine Glaubensfrage, für beide Sichtweisen gibt es plausible Theorien.

     

    2. Wenn die natürliche Strahlung in Teilen Deutschlands höher ist, als die durch Fukushima erhöhte Strahlung in bestimmten Gebieten in Japan - was folgt daraus? Müssten wir dann nicht eigentlich auch (Zwangs-)Umsiedlungen aus den hoch belasteten Regionen Deutschlands durchführen? (und das sind nicht die Gegenden um die AKWs)