Angespannte Lage in Kiew: Buhrufe für Oppositionsführer
Janukowitsch hat sich mit einigen seiner Gegner auf einen Übergangsprozess geeinigt. Auch Julia Timoschenko könnte bald frei sein. Doch viele Maidan-Aktivisten wollen mehr.
KIEW dpa/rts | Mit lautstarker Ablehnung haben Zehntausende ukrainische Regierungsgegner in Kiew die Oppositionsführer nach der Einigung auf eine Krisenlösung empfangen. Der Anführer der radikalen Splittergruppe Rechter Sektor, Dmitri Jarosch, kündigte an, nicht die Waffen niederzulegen, bevor der Staatschef zurücktrete.
Andere Redner drohten damit, die Präsidialverwaltung zu stürmen. Der Opposition um Vitali Klitschko warfen sie „Verrat“ vor. Die Menge auf dem Unabhängigkeitsplatz forderte in Sprechchören den Kopf des Präsidenten: „Tod dem Knastbruder!“ Janukowitsch hatte als Jugendlicher wegen Raubüberfalls in Haft gesessen.
Zuvor hatten Janukowitsch und drei Vertreter der Demonstranten am Freitag in Kiew ein Abkommen unterzeichnet, das unter Vermittlung europäischer Außenminister ausgehandelt worden war.
Im Anschluss an die Einigung votierte das Parlament für die Entlassung des Innenministers Vitali Sachartschenko wegen des Gewalteinsatzes während der Massenproteste auf dem Maidan. Er ist die Hassfigur der Demonstranten. Zudem änderten die Abgeordneten am Abend das Strafrecht, so dass die inhaftierte frühere Regierungschefin und Oppositionsführerin Julia Timoschenko freigelassen werden könnte.
Die ausgehandelte Einigung sieht neben einem Ende der Gewalt unter anderem Neuwahlen und die Bildung einer Übergangsregierung vor. Das waren Kernforderungen der pro-europäischen Opposition, deren Anhänger seit Monaten gegen den Russland-Verbündeten Janukowitsch auf die Straßen gegangen sind. Westliche Politiker appellierten an beide Seiten, sich an die Abmachungen zu halten. „Die Umsetzung ist der Schlüssel - und sie ist sehr herausfordernd“, erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton.
Einen Termin für die vorgezogenen Wahlen gibt es noch nicht. Janukowitsch, der speziell im Osten des Landes viele Anhänger hat, unterzeichnete die Verträge mit versteinerter Miene. In dem Abkommen erklärt sich der Staatschef auch bereit, zur Verfassung von 2004 zurückzukehren, die dem Präsidenten weniger Rechte gibt.
Weg nach Europa offen
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mahnte: „Wir werden ein Auge darauf haben, dass aus der Vereinbarung, die hier getroffen wurde, auch Politik wird.“ Er hatte zusammen mit seinen Kollegen aus Frankreich und Polen, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski, den Kompromiss in einem 30-stündigen Verhandlungsmarathon ausgehandelt.
Während die EU-Außenminister das Abkommen mit unterzeichneten, verzichtete der russische Gesandte Wladimir Lukin darauf. Dies bedeute aber nicht, dass Russland nicht an einem Kompromiss interessiert sei, erklärte das russische Außenministerium noch am Abend. Polens Außenminister erklärte, mit dem Kompromiss werde der Ukraine der Weg nach Europa geöffnet.
Auf dem Maidan war die Lage am Freitag weitgehend friedlich geblieben. Tausende Oppositionelle riefen Parolen gegen die Regierung oder sangen patriotische Lieder. Die Polizei meldete nur vereinzelte Schusswechsel zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, für die es aber von unabhängiger Stelle keine Bestätigung gab.
Am Donnerstag hatte es die bislang schwersten Kämpfe rund um den Maidan und vor dem Präsidentenpalast gegeben. Nach Regierungsangaben wurden 47 Menschen getötet, so viele wie an keinem Tag seit dem Ausbruch der Proteste vor drei Monaten. In der Woche starben damit mindestens 77 Menschen. Scharfschützen hatten auf beiden Seiten gezielt Menschen getötet und verwundet.
Unklar ist noch, wie die aus verschiedenen Gruppen zusammengesetzte Opposition weiter vorgehen wird. Sie ist vor allem durch den gemeinsamen Widerstand gegen Janukowitsch geeint. Es ist aber fraglich, ob die Regierungsgegner auch deckungsgleiche Vorstellungen über die Zukunft ihres Landes haben.
Entzündet hatten sich die Proteste an dem pro-russischen Kurs von Janukowitsch. Die Demonstranten auf dem Maidan und im Westen des Landes fordern stattdessen eine engere Anbindung an die Europäische Union.
Dieser Artikel wurde aktualisiert um 21.15 Uhr.
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