Krankem Flüchtlingskind nicht geholfen: Freispruch für Mitarbeiter
Mitarbeiter einer Flüchtlingsunterkunft riefen keinen Notarzt für ein krankes Flüchtlingskind. Das Landgericht Nürnberg spricht sie trotzdem frei.
Damals erkrankt ihr Kind in der Flüchtlingseinrichtung im fränkischen Zirndorf an einer lebensgefährlichen Bakterien-Infektion. Der eineinhalbjährige Bub bekommt schwarze Flecken auf Gesicht und Händen.
Die Eltern flehen mehrere Mitarbeiter der Einrichtung um Hilfe an; sie wollen, dass ein Notarzt gerufen wird. Stattdessen schicken die Mitarbeiter die Familie nach langem Hin und Her zu Fuß und mit einem schlecht kopierten Stadtplan zu einer fast zwei Kilometer entfernten Kinderärztin.
Das Urteil ist vermutlich ein erneuter herber Schlag für die Familie. Denn nach Ansicht des Landgerichts Nürnberg haben sich die Mitarbeiter der Einrichtung sowie ein am Abend gerufener Bereitschaftsarzt nichts zuschulden kommen lassen. Oder zumindest kann man es ihnen mehr als drei Jahre später nicht mehr zweifelsfrei nachweisen. Der Richter spricht die Angeklagten frei.
„Im Nachhinein dramatisiert“
Die Erkenntnisse reichten für eine Verurteilung nicht aus, sagt er. Es habe zu viele Widersprüche gegeben, die auch die Zeugen nicht hätten aufklären können. Auch für den Arzt sei an dem Abend noch nicht erkennbar gewesen, dass die Krankheit des Kindes so schwerwiegend war.
Möglicherweise seien auch am nächsten Morgen die Flecken für die Pförtner nicht zu sehen gewesen – zumal der Junge in eine Decke gewickelt war. Die beiden Pförtner „konnten den Jungen bei dieser Kälte auch nicht entkleiden lassen“. Der Richter kommt daher zu dem Schluss, der Vater des kranken Kindes habe die Sache wohl „im Nachhinein dramatisiert“.
In erster Instanz waren die Wachmänner noch zu Geldstrafen wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden. Den Arzt hingegen sprach auch das Amtsgericht Fürth frei. Das Verfahren gegen eine weitere Mitarbeiterin der Einrichtung, die zunächst ebenfalls verurteilt worden war, wurde vor dem neuen Prozess abgetrennt.
Ein Autofahrer war damals zufällig an der Familie vorbeigekommen und hatte sie in die Arztpraxis gebracht. Die Kinderärztin rief sofort den Notarzt. Es stellte sich heraus, dass der Junge eine Meningokokken-Infektion hatte. Die Bakterien lösten das sogenannte Waterhouse-Friderichsen-Syndrom aus. Dabei gerinnt das Blut – und die Haut oder anderes Gewebe sterben ab.
Künstliches Koma und mehrere Operationen
Zuerst bekam das Kind hohes Fieber, dann wurde es apathisch und bekam dunkelblaue Flecken auf der Haut. Es wurde in ein künstliches Koma versetzt, mehrfach operiert und musste mehrere Amputationen und mehr als ein Dutzend Hauttransplantationen über sich ergehen lassen. Der Junge überlebte nur knapp.
Ein Gutachter sagte in der Verhandlung, dass diese Erkrankung selbst bei Behandlung in 90 Prozent der Fälle tödlich verläuft. Tückisch sei, dass die Symptome am Anfang sehr unspezifisch seien und die Krankheit daher oft spät erkannt wird.
Der Staatsanwalt forderte in seinem Plädoyer erneut Geldstrafen für die Männer: Der Arzt habe nicht sichergestellt, dass das Kind in der Nacht engmaschig überwacht wurde. Zu den Pförtnern sagte der Ankläger: „Sie haben nicht wirklich geschaut, doch das wäre ihre Aufgabe gewesen.“
Der Anwalt der Eltern beklagte gravierende Mängel in der Einrichtung: eine „miserable Organisation, unzureichende medizinische Ausrüstung und nachts keine eindeutigen Zuständigkeiten“. Er habe daher auch fast Mitleid mit den Pförtnern: „Sie sind diejenigen, die hier etwas ausbaden müssen, weil die Organisation so schlecht war.“ Zumindest im Fall des Arztes will er nun eine Revision prüfen.
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