Kommentar Uno-Rüge zu Sarrazin: Das böse R-Wort
Die Rüge der Uno wegen Thilo Sarazzin zeigt: Deutschland muss Rassismus in all seinen Facetten ernster nehmen, nicht nur seine rechtsextreme Spielart.
W as ist Rassismus? Darüber besteht in Deutschland offenbar noch Unklarheit. Seltsamerweise hat auch die intensive Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit nicht dazu geführt, bei allen das Gefühl für den alltäglichen Rassismus zu schärfen, der Minderheiten heute entgegenschlägt. Denn vielen fällt es schwer, eine rassistische Gesinnung zu erkennen, wenn sie statt in Bomberjacke und Springerstiefeln in Anzug und Krawatte daherkommt.
Die UNO hat die Bundesrepublik nun gerügt, weil ihre Justiz bei diesem Thema nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist. Es ging, ganz konkret, um Thilo Sarrazin. Der hat zwar wenig Zweifel an seinem rassistischen Weltbild gelassen und wiederholt ganze Bevölkerungsgruppen als minderwertig bezeichnet. Aber die Berliner Staatsanwaltschaft wollte keine Klage wegen „Volksverhetzung“ erheben, da er sich keiner klassisch rechtsextremen Argumentationsmuster bediente.
Menschenrechtler und Migrantenverbände fordern schon lange, Rassismus in all seinen Facetten ernster zu nehmen, und nicht nur seine rechtsextreme Spielart. Doch selbst auf dem Integrationsgipfel wurde das Thema bislang nur am Rande behandelt.
ist Redakteur für Integration und Migration im Inlandsressort der taz.
Überhaupt scheut man das böse Wort mit R und spricht lieber von „Fremdenfeindlichkeit“ oder „Ausländerhass“ – auch wenn die Opfer weder Ausländer noch Fremde sind. Nicht zuletzt die NSU-Affäre hat gezeigt, dass Polizei, Behörden und Medien hier dringend Nachhilfe benötigen.
In Nachbarländern wie Frankreich ist zumindest die Justiz schon weiter. Dort wurde auch eine Prominente wie Brigitte Bardot zu einer Geldstrafe wegen Volksverhetzung verurteilt, nachdem sie schwadroniert hatte, Muslime würden „ihr Land zerstören“. Davon kann Deutschland lernen. Denn solche Urteile können eine zivilisierende Wirkung haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste