Kommentar Rajoy: Bloß keinen spanischen Monti
Der spanische Premier Rajoy, der heute in Berlin erwartet wird, regiert nur noch auf Abruf. Vorgezogene Neuwahlen wären ein angemessener Schritt.
S paniens Regierungschef Rajoy ist seit Samstag ein wandelnder Toter. Der Konservative wird den „Fall der Umschläge“, wie die Spanier den Skandal um die Schwarzgeldbezüge hoher Funktionäre der Volkspartei (PP) und von Ministern nennen, nicht aussitzen können.
Die Ausrede, die veröffentlichte parallele Buchführung sei falsch, zieht nicht. Denn mehrere PP-Mitglieder haben bereits zugegeben, dass die auf sie vermerkte Summe korrekt sei, darunter der Vorsitzende des spanischen Senats.
Zeit also, um sich über den Tag nach Rajoy Gedanken zu machen. Es wäre ein letzter anständiger Zug von Rajoy, vorgezogene Neuwahlen anzuberaumen. Sicher, die Umfragen zeigen, dass sowohl die PP Rajoys als auch die sozialistische Opposition PSOE in der Wählergunst ständig weiter absacken. Wo das endet, ist nicht absehbar.
ist Spanien-Korrespondent der taz.
Im Falle der PP haben die Korruption und die Sparpolitik sie für viele unwählbar gemacht, im Falle der PSOE die Änderung der Verfassung im Sommer 2011. Auf Druck von Brüssel und Berlin wurde eine Schuldenbremse aufgenommen. Bankenschulden zu tilgen hat seither Vorrang.
Die aktuelle Krise könnte das Ende des übermächtigen Zweiparteiensystems einläuten. Die Vereinigte Linke und die UPyD, eine Formation, die sich aus Deserteuren der beiden großen Parteien speist, legen bei den Umfragen zu. Beide stehen für ein neues, gerechteres Wahlsystem.
Die Alternative wäre ein erzwungener Rücktritt Rajoys durch die EU, wie in Italien. Dies würde einen Technokraten ohne demokratische Legitimation an die Macht bringen. Die Spanier haben dies nach all den Jahren der Mobilisierungen seitens „der Empörten“ und der Gewerkschaften nicht verdient. Denn jetzt gibt es eine Chance auf einen echten Politikwechsel in Spanien und Europa. Auch wenn das Merkel nicht gefällt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative