Kommentar Plätze im NSU-Prozess: Justiz ohne Kontrolle
Das Oberlandesgericht München verweigert sich jedem Kompromiss. Die Richter nehmen offenbar an, es handele sich dabei um einen Freibrief für Selbstherrlichkeit.
![](https://taz.de/picture/166110/14/Oberlandesgericht_Mu__nchen_dpa.jpg)
D er Streit um die Platzvergabe beim NSU-Prozess ist inzwischen so verfahren, dass eine Lösung ohne Gesichtsverlust kaum noch möglich ist. Hauptschuldiger ist das Oberlandesgericht München, das sich stur jedem Kompromiss verweigert. Aber auch die türkische Regierung macht keine gute Figur. Sie erweckt den Eindruck, sich das Ausmaß der Unabhängigkeit deutscher Gerichte gar nicht vorstellen zu können. Ihre Forderung nach einem Eingreifen der Bundesregierung ist unerfüllbar. Andernfalls wäre das Prinzip der Gewaltenteilung ab sofort Makulatur.
Das Festhalten an demokratischen Grundsätzen führt häufig zu internationalen Verwicklungen. Diplomaten freiheitlicher Staaten werden immer wieder mit dem Ansinnen konfrontiert, ihre Regierungen möchten doch endlich etwas gegen missliebige Kommentare unternehmen. Auch die DDR hat niemals geglaubt, dass Bonn kritische Berichte nicht einfach verhindern konnte. Sie verwechselte Pressefreiheit mit Provokation.
Derlei Misstöne müssen ertragen werden. Sie sind ein Preis der Demokratie. In den letzten Tagen hat sich jedoch der Eindruck verstärkt, dass nicht nur Ankara, sondern auch das Oberlandesgericht München den Sinn einer unabhängigen Justiz verkennt. Die Richter nehmen offenbar an, es handele sich dabei um einen Freibrief für Selbstherrlichkeit.
Für Medien gibt es Gremien der Selbstkontrolle, die Verstöße gegen das Berufsethos ächten, unabhängig von rechtlichen Verfehlungen. Sie werden ernst genommen. Rügen des Presserates sind unangenehm. Auch die Justiz muss sich derartigen Urteilen stellen. Sonst wird sie zum Relikt des Obrigkeitsstaates, gerade wegen des demokratischen Prinzips ihrer Unabhängigkeit. Was tragisch wäre. Das ist – erstaunlicherweise – die erste Lehre aus dem NSU-Prozess.
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