Kommentar Nahostkonflikt und Religion: Die letzte Vernunft
Immer wieder sind religiöse Gefühle missbraucht worden – von Demagogen in Israel und Palästina. Politik und Religion gehören auseinander.
D er ehemalige libanesische Staatspräsident Charles Helou malte einst ein düsteres Bild von den Aussichten auf eine Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts: Solange es um ein für drei Weltreligionen „Heiliges Land“ gehe, sei nicht daran zu denken – „denn über ein ’Heiliges Land‘ macht doch niemand Kompromisse“. Zumindest für Juden und Muslime trifft diese Zuschreibung unvermindert zu.
Es nimmt deshalb Wunder, dass nach dem Mordanschlag in einer Jerusalemer Synagoge von einer neuen Qualität der Auseinandersetzung gesprochen wird: Wurde denn nicht erst kürzlich eine Moschee auf der Westbank von Israelis in Brand gesetzt? Zerbombte die israelische Luftwaffe im Sommer in Gaza denn nicht auch Moscheen, und hat es seit dem Sechstagekrieg (1967) nicht immer wieder Angriffe und Überfälle auf Gotteshäuser und Gläubige der jeweiligen Gegenseite gegeben?
Immer wieder sind religiöse Gefühle und Überzeugungen missbraucht worden von Demagogen auf beiden Seiten. Erkennt „Hamas“ in Gaza wirklich nicht, wie wenig ihr Jubel über den Synagogenüberfall sie noch von Ministerpräsident Netanjahu trennt, wenn dieser vom „Kampf um Jerusalem“ spricht und einer weiteren Bewaffnung der israelischen Bevölkerung zustimmt?
Politik und Religion sollten auseinandergehalten und das „Trennende“ der Demagogen zum Bindeglied gemacht werden. So ist der jüdische Erzvater Abraham für die Muslime der wichtige Prophet Ibrahim. Sein Grab in Hebron sollte ebensowenig Streitobjekt sein wie der Tempelberg in Jerusalem.
Leider mangelt es beiden Seiten an Einsicht und Vernunft. Das Ausland hat mit seiner Vermittlerrolle bisher auch versagt. Die Vernünftigen haben längst begonnen zu resignieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch