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Kommentar NPD-Proteste in SchneebergDie Stunde der Demagogen

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

In Ländern, in denen bald gewählt wird, demonstriert die NPD gegen Flüchtlinge. Auch die Bewohner Schneebergs werden instrumentalisiert.

Protest gegen ein Asylbewerberheim: Am NPD-Fackelmarsch durch Schneeberg beteiligten sich etwa 1.000 Menschen Bild: dpa

W enn irgendwo das „gesunde Volksempfinden“ gegen den Zustrom von Flüchtlingen grummelt oder gar ein Minarett wie in Leipzig droht, wittert die NPD ihre Chance. Es fällt auf, dass sie sich dabei auf Thüringen und Sachsen konzentriert, wo 2014 Landtagswahlen anstehen. Ob Schneeberg, Greiz oder Rötha, überall präsentieren sich Rechtsextremisten und freie Nationalisten als die Einzigen, die dem Volk wirklich aufs seit Luther sprichwörtliche Maul schauen.

Dass sie damit im erzkonservativen Erzgebirge auf eine zunächst erschreckende Resonanz stießen, überrascht nicht. Geschickt bedient NPD-Kreischef Stefan Hartung das Wir-Gefühl in der von bösen Ausländern bedrohten heimeligen Hutzenstube und verbreitet „Raachermannl“-Räucherkerzenduft. Angewidert aber wendet man sich als einer der 89er Demonstranten in der röchelnden DDR ab, wenn daraufhin zwanzigjährige kurzhaarige Kurzdenker auf dem Markt zu Schneeberg „Wir sind das Volk“-Rufe grölen.

Doch es gibt noch ein anderes Schneeberger Volk. Das darf man nach diesem Wochenende anerkennend feststellen. Immer mehr Einwohner begreifen, dass sie nur für einen Wahlkampf instrumentalisiert werden sollen, den die NPD mehr als ein Dreivierteljahr vor dem voraussichtlichen Wahltermin schon begonnen hat.

Alarmieren muss bei diesen von der NPD angeführten Kundgebungen und Märschen weniger die Zahl der mobilisierten Teilnehmer. Die organisierten Nazis wissen nur zu genau, dass es weit mehr Sympathisanten gibt, die sich nicht offen einer Demonstration anschließen wollen, aus der Distanz aber den „Klartext“ loben, den die Partei rede. Das sind potenzielle Wähler in der einsamen Wahlkabine. Um die müssen Demokraten ihrerseits wirklich kämpfen.

Oft genug hat man in Sachsen ein klares Wort der CDU, namentlich von ihren Kommunalpolitikern, gegen die rechten Rattenfänger vermisst. Durch Schneeberg scheint die Union nun alarmiert zu sein und verblüffte in ihrer erzgebirgischen Hochburg mit einer ungewohnten Präsenz und Deutlichkeit. Da treffen ehrliche Überzeugungen wie bei Innenminister Markus Ulbig und wahltaktische Überlegungen aufeinander. Die NPD hat auf ihre Weise der Union schon einen frühen Landtagswahlkampf aufgezwungen.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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11 Kommentare

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  • K
    Kati

    Wo bleibt das NPD-Verbot? Das ist die entscheidende Frage. In Schneeberg läuft der Braune-Mopp auf und reist einen ganzen Ort mit sich. Blind vor Hass und blind vor Dummheit. Mir ist es unbegreiflich wieso diese Partei weiterhin ihre Hetzparolen in die Spießbürgerwelt krakeelen darf, ohne auch nur ansatzweise aus öffentlichen Mündern kritisiert zu werden. Wo bleibt die Gegendemonstration auf Polit-Ebene? Dieses Faschisten-Problem löst sich nicht von alleine. Die Medien berichten nur in ein paar Tagen nicht mehr davon und den Spießbürgen entfällt es wieder, dass unter uns die Faschisten weiter marschieren.

    • U
      Ursula
      @Kati:

      Kati, vielleicht ist eine klare Mehrheit des Volkes gegen weitere extensive Aufnahme von Flüchtlingen, will eine drastische Einschränkung des Asylrechts auf politisch Verfolgte wie es im Grundgesetz steht und ist gegen Wirtschaftsflüchtlinge.

      Was dann? Böööses böses Volk? Auswechseln oder belehren?

      P.S. Mit einem Mopp macht man den Boden sauber- schöner Schreibfehler.

      Übrigens, ich bin auch für ein NPD-Verbot.

  • AV
    Aufklärung vs. Gaucksche Verblödung

    Anmerkung zur Vereinigung der westdeutschen Quandtschen Finanz- und Monopolbourgeoisie mit den ostdeutschen braunen Brüdern und Schwestern:

     

    1989/90 erfolgte der Anschluss an 1945. Die Zeit dazwischen, - 1946-1989 -, war ein vergeblicher historischer Versuch von wenigen bürgerlichen Demokraten und MfS-Antifaschisten!

     

    Bemerkenswert, 'unsere' ostdeutschen (braunen) "Brüder und Schwestern", die größte Wirtschaftsflucht-Bewegung im 20. Jahrhundert fand 1989/90 statt, als mehr als 80 Prozent der ostdeutschen Gauckschen und Jahnschen Erwachsenen-Bevölkerung die Seiten wechselten, vor allem wegen gehobenen Konsum und billigen Bananen, - und nicht für "Freiheit" und "Demokratie". -

     

    Sie wollten die Beteiligung an der westdeutschen imperialistischen Ausbeutung und am Profit - und auch an den höheren Alters-Renten, an der imperialistischen Ausbeutung anderer Völker! - und natürlich keine Mit-Verantwortung für die weltweite Flucht- und Armutsbewegung übernehmen!

     

    Die (ostdeutschen) Jugendlichen werden ihre meineidigen Gauckschen Eltern erinnern! (?)

    • S
      Störtebekker
      @Aufklärung vs. Gaucksche Verblödung:

      Sie sprechen wie mein früherer Staatsbürgerkundelehrer in der DDR. Gleich nach der Wende mutierte er vom Superkommunisten zum Supernazi. Normal ging bei im nicht. Deshalb halte ich von solchen Parolen überhaupt nichts. Nein Danke!

    • G
      Gastname
      @Aufklärung vs. Gaucksche Verblödung:

      Norkorea wartet mit offenen Armen auf Sie...

  • B
    Brandt

    Der Hass auf Geflüchtete ist ein böses Spillover des Haßes auf Migranten. Man erntet seine Saat. Nach den wilden Migrantenstreiks hat man rasch den Integrationsdiskurs hervor gezaubert, um das neue politische Subjekt mittels individualisierter Integrationsforderungen zu atomisieren. Später übernahm man die alte britische Herrschaftsstrategie Teile-und-Herrsche, indem man den diskursiven Multikulturalismus übernahm, um mit Hilfe der konservativsten Honoratioren-Vereinen die migrantischen Arbeiter-Assoziationen aus dem öffentlichen Leben heraus zu halten. Nach dem 11.September radikalisierte man die Strategie der inneren Kolonisierung, indem man von den Kulturvereinen abrückte und eine noch konservativere Satrapen auftrieb, die Islamverbände und Moschee-Vereine. Um den Ganzen das I-Tüpfelchen aufzusetzen importierte man das Diversity Management, um wenigsten betriebswirtschaftlich die optimale Verwertung migrantischer Arbeitskraft sicher zu stellen.

     

    Migration ist ein inhärenter Bestandteil der WTO-Welt. Migrantische Rücküberweisungen fließen in die Rating-Noten ein, und ermöglichen Anpassungsprogramme, die durch den WTO-Beitritt und die Integration in regionale Handelsblöcke notwendig werden. Daneben sinkt das Risiko der Überschuldung durch migrantische Rücküberweisungen und sichern den Schuldendienst. Migrantische Rücküberweisungen glätten die Fluktuationen im BNP der WTO Staaten,und bieten eine kostenlose Versicherung im Falle einer Naturkatastrophe. Zu diesen ökonomischen Verflechtungen der WTO-Staaten durch Migration existieren hunderte von Aufsätzen.

     

    In Deutschland jedoch gilt es als schick, Arbeiten von experimentell arbeitenden Ökonometrikern und experimentellen Ökonomen zugunsten von nationalistischen Verwertungsinteressen zu ignorieren. Migranten sollen uns die schmutzige Arbeit abnehmen, unsere Sozialsysteme sanieren, unsere Alten pflegen und Steuern für unseren Fiskus zahlen.

  • JI
    JK Inc

    Wurde "Wir sind das Volk" nicht markenrechtlich geschützt um genau sowas zu verhindern?

  • B
    Beobachter

    Man darf für (mehr) Asyl, Einwanderung und Aufnahme von Flüchtlingen sein und dafür auch demonstrieren. Man darf aber auch gegen (mehr) Asyl, Einwanderung und Aufnahme von Flüchtlingen sein und auch dafür demonstrieren. Es leuchtet auch ein, dass bevorstehende Wahlen die Neigung, die eigene politische Meinung öffentlich zu machen, durchaus befördern. Nun kann man in Schneeberg und dank der (hoffentlich sachlichen) Medien auch sonst im Lande sich eine Meinung für die Wahl bilden. Erfreulicherweise hat es bisher auch keine Gewalttätigkeiten gegeben. Wo ist nun bitte das Problem?

  • O
    ohneIdeologie

    ich glaube es einfach so, dass eine deutliche Mehrheit in den betroffenen Orten gegen solche Heime in der Nachbarschaft ist. Die Demos dafür werden eher von Minderheiten betrieben, welche dabei von den MSM befeuert werden und am Ende der Bevölkerung vollig falsche Mehrheiten suggerieren.

    Diese Scheinheiligkeit verhindert ernsthafte, rechtsstaatliche Lösungen und trägt am Ende 'die Schuld' wenn das Fass überläuft und die merheitliche Bevölkerung sich dann mit Gewalt zu wehren beginnt.

  • S
    Sachse

    "Dass sie damit im erzkonservativen Erzgebirge auf eine zunächst erschreckende Resonanz stießen, überrascht nicht."

     

    Also wirklich, was soll denn dieser dahingeschluderte Satz Herr Bartsch? Weder ist das Erzgebirge "erzkonservativ", auch wenn das vielleicht schön klingt, noch ist man als konservativer per se Rassismus und dummen NPD-Parolen zugeneigt, wie es der Satz offensichtlich suggerieren soll.

    Im Erzgebirge wählt man traditionell CDU, das ist richtig, war es dann aber auch schon. SPD und Bündnisgrüne haben sich hier im Laufe der Wende keine Freunde gemacht. Das ist nicht vergessen. Dennoch ist die Linke hier immer noch zweistellig.