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Kommentar Generalstreik in EuropaWegschauen wird sich rächen

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel

Die deutschen Gewerkschaften haben zum Generalstreik in Europa nur wenig mobilisiert. Besonders die IG Metall schadet sich mit ihrer Strategie selbst.

S tell dir vor, es ist Generalstreik, und keinen interessiert es. Gerade mal ein Häuflein Aufrechter ging in Deutschland am Mittwoch auf die Straße, während in mehreren europäischen Ländern Hunderttausende aus Protest gegen die Austeritätspolitik die Arbeit niederlegten.

Es liegt nahe, für diesen Mangel an Solidarität die deutschen Gewerkschaften verantwortlich zu machen. Auch wenn der politische Generalstreik in Deutschland nur erlaubt ist, wenn die Demokratie bedroht ist, hätten die Gewerkschaften mehr Menschen mobilisieren können, wird so mancher schimpfen. Aber auch die Gewerkschaften können die gesellschaftlichen Einstellungen und Erfahrungen nicht per Zauberstab radikalisieren. Die Wahrheit ist: Die Krise ist in den Köpfen und Geldbeuteln der Menschen noch nicht angekommen. Etliche Beschäftigte glauben, dass mehr schwäbisches Hausfrauentum Südeuropa nicht schaden könnte.

Und trotzdem haben die Gewerkschaften ein Problem. In der Krise wird klar, wie gespalten sie sind. Während DGB-Chef Michael Sommer und Ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske mit deutlichen Worten die fatalen Auswirkungen des Spardiktats, der Schuldenbremse und des Fiskalpakts kritisieren, hält sich die mächtige IG Metall auffällig zurück.

Bild: taz
EVA VÖLPEL

ist Redakteurin im Inlandsressort der taz.

Es ist das alte Korporatismusdilemma der Metaller: Vor allzu deutlicher Kritik an der Bundesregierung und politischer Mobilisierung schrecken sie zurück. Denn wenn die Krise nach Deutschland schwappt, wird die IG Metall wieder mit Regierung und Arbeitgebern über Kurzarbeit verhandeln wollen. Radikalopposition wäre da hinderlich.

Aber diese Strategie zahlt sich auf Dauer nicht aus. Nicht nur, weil unter der Krise langfristig die Exporte ins europäische Ausland leiden. Sondern vor allem, weil der Abbau von Arbeitsrechten in den Nachbarstaaten, den die EU-Kommission mehr oder weniger subtil vorantreibt, Sogwirkung bis nach Deutschland entfalten wird.

Sinken die Lohnkosten im Ausland, wird auch hier der Ruf lauter werden, billiger zu produzieren, um im Exportwettbewerb mithalten zu können. Oder die Verlagerung von Produktionsstandorten ins europäische Ausland wird an Attraktivität gewinnen, wenn hinter der Grenze Wettbewerbsvorteile winken. Höchste Zeit also, dass auch die IG Metall den europapolitischen Kurs der Regierung ernsthafter infrage stellt.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften
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15 Kommentare

 / 
  • K
    Klaus

    Hier wird zensiert!

    Kritische Beiträge die die Wahrheit vermitteln werden unterdrückt!

     

    Der Generalstreik ging nicht gegen Firmen sondern gegen die Politik! Und das gleiche Thema ist auch bei uns mehr als aktuell!

    Spätestens wenn wir in den Vereinigten Staaten von Europa vegetieren und es kein Deutschland mehr gibt, werdet ihr, leider zu spät, aufwachen

  • L
    liv

    Dass sich hier unsere Gewerkschaften zurückhalten, ist genau die richtige Strategie! Die Situation in den Ländern ist einfach zu unterschiedlich, als dass wir nur mal eben den Mund aufreißen!

     

    Und nicht nur ich - auch zB. sehr viele, besonders die jungen Italiener wären froh, wenn endlich ihr verkrustetes Arbeitsrecht modernisiert würde und sie dann mal endlich einen Job bekämen.

     

    Auch bei uns steht das noch aus - das wissen auch die Gewerkschafter.

     

    Ich hoffe, dass die jungen Europäer sich zusammentun und das Feld nicht alleine den Gewerkschaften und anderen alt eingesessenen Organisationen überlassen - sonst wird sich in vielen Ländern erst etwas in 20 Jahren verändern!

  • GK
    Gunnar Kreuz

    In dem Artikel wird behauptet, dass in Deutschland ein Generalstreik nur erlaubt ist, wenn die Demokratie in Gefahr ist.

     

    Das ist zwar eine weit verbreitete Meinung - aber das ist schlichtweg falsch.

     

    In Deutschland dürfen lediglich die Gewerkschaften zu keinem Generalstreik aufrufen.

     

    Wenn sich Bürger und andere Verbände oder über das Internet für einen Generalstreik entscheiden, ist das auch in Deutschland völlig legitim.

  • M
    Mauro

    Es ist unglaublich schäbig, mit welcher Gleichgültigkeit die deutschen Gewerkschaften verhindern, dass eine wirkliche europäische Solidarität der Menschen enstehen kann.

    Ich denke,dass man mit Fug und Recht annehmen muss, dass Gewerkschaftsführer genau so wie die Riege der Bilderberger über Merkel, Steinbrück bis zu Trittin längst vom Kapital vereinnahmt sind und entsprechend verräterisch agieren.

    Ich jedenfalls bin gestern, nach 20 Jahren Mitgliedschaft, aus der Gewerkschaft ausgetreten. Schon fast überflüssig zu erwähnen, dass die entsprechende politische Begründung, niemanden auch nur im Entferntesten interessiert hat.

  • M
    mike

    Bin ich froh das es in Deutschland keinen politischen Streik gibt. Das Erpressungspotial wäre schier grenzenlos, wie man in südeuropa ja ganz gut sehen kann. Schon heute nehmen Ver.di und andere mit Vorliebe Kunden und Bürger in Haftung für ihre Tarifforderungen. Politische Streiks gehören europaweit geächtet, Gewerkschaften gestutzt.

  • H
    hornisse.04

    @Bernd & @Carsten

    Danke für eure Beiträge, ich fühle mich durch euch mitvertreten.

    @alle anderen: Wie verträumt kann man denn sein?

    Wenn "die Gewerkschaften" so super bescheid wissen, wie es geht, warum machen sie es nicht vor und zeigen den bösen Kapitalisten mal so richtig, wie man wirtschaftet?

    "Hoch-die-internationale-Solidarität..."

    ...ich lach mich kaputt; wenn bei uns nix mehr zu holen ist, ist eben Pumpe.

    Wenn jeder an sich selber denkt, dann ist an alle gedacht. So ist es leider.

  • K
    Karsten

    Ihren jugendlichen Optimismus zum Trotz, sollten sich die Autorin -aber auch die Streikenden- in Richtung Realität "erden" statt zu fordern, dass andere die Rechnung zahlen.

     

    Die Gewerkschaften verhandeln lieber um die Arbeitsplätze zu sichern, statt die Firmen zu ruinieren.

     

    Eines Tages werden selbst die linken Weltverbesserer einsehen müssen, dass nicht das "Umverteilen" sondern das "Arbeiten" den Wohlstand schafft.

     

    Übrigens: ich bin auch für einen Generalstreik, dass keine Euro mehr an die Banken oder diese EU-Länder geht. Deutschland müßte wie die Schweiz raus aus diesem Sauhaufen!!!!

  • C
    Cristina

    Guter Kommentar! Bitte mehr davon!

  • B
    Bernd

    Zitat Henning Lilge:

     

    "Wenn die deutschen Arbeitnehmer die Solidarität mit ihren südlichen Kollegen ausblenden - glauben die deutschen Arbeitnehmer denn, dass unsere südlichen Kollegen dann für uns streiken werden, wenn wir dran glauben müssen?"

     

    Ich fürchte, sie leiden hier unter einem Realitätsverlust. Können sie mir Beispiele nennen, wo jemals ein Arbeitnehmer in Spanien, Portugal, Griechenland für deutsche Arbeitnehmer gestreikt hätte? Wo waren die Proteste der Rumänen, als das Nokia-Werk aus Bochum dorthin verlegt wurde? Sie meinen also, die IG-Metall sollte sich dafür einsetzen, dass Deutschland mehr Geld an die Südländer zahlt? Natürlich kann man ganz prinzipiell das kapitalistische Zinssystem in Frage stellen, das ist ja das, was die Occupy-Bewegung macht. Die IG-Metall muss allerdings den Spaghat schaffen, die Interessen aller ihrer Mitglieder zu vertreten und die sind bezüglich des politischen Spektrums durchaus breit gefächert. Schließlich: Protest gegen Mißstände sind das eine - wo sind die Lösungsvorschläge? Sehe ich mir die Plakate der Protestierenden in den Südländern an, steht da eigentlich ehr sowas wie: Macht was ihr wollt, ICH zahle nicht, andere sollen zahlen. Ist das ein "Lösungsvorschlag", wenn wir Enteignungen mal ausschließen?

  • CW
    Christian Wulff

    Endlich mal ein kluger Kommentar! Wird ja immer seltener in der Stück für Stück nach rechts driftenden TAZ

  • M
    Margot

    Was ist denn am "schwäbischen Hausfrauentum" so falsch - mal davon abgesehen, dass die Formulierung nicht wirklich die Schönheit der deutschen Sprache repräsentiert?

    Die den Schwaben zugeschriebene Sparsamkeit hat immerhin zur Folge, dass in diesem Landstrich signifikant weniger private Haushalte überschuldet sind als - sagen wir mal - in Berlin. Dahinter steckt nichts weniger als Kenntnis der Grundrechenarten. Diese rudimentäre Fähigkeit scheint vielen Staaten fremd zu sein. So fremd, dass man etwa die frisierten Zahlen Griechenlands beim Euro-Beitritt durch die Anwendung von Benfords Gesetz hätte erkennen können - ein Verfahren, das jedem guten Buchhalter geläufig sein dürfte. Nur eben den mathematikschwachen EU-Funktionären nicht.

    Mehr "schwäbischen Hausfrauentum" würde der EU und allen Mitgliedern gut bekommen.

  • M
    Mat

    "Schwäbische Hausfrauentum". Frau Völper warum werten sie Frauen ab, die zu Hause arbeiten?

  • Y
    yberg

    wer ,wie der IG metall vorsitzende huber seinen geburtstag auch mit einem empfang bei merkel im kanzleramt feiert,weiß genau,ebenso wie seine um ihn herumtänzelnden jasager und lemuren,daß eine arbeitnehmervertretung ,die eine offensive interessenvertretung gegenüber der mit halbierten steuersätzen beschenkten arbeitgeber vertritt,was von ihm,dem weichgespülten aufsteiger,erwartet wird

     

    solange sich seine gewerkschaftsmitglieder gefallen lassen,daß sich ihre als machttechnokraten auf augenhöhe mit den kapitalvertretern verstehende elite in erster linie ihre pfründe und eitelkeiten bespielen,weichspülen lassen und die probleme in arbeitswelt und gesellschaft ignorieren,wird das nix mehr.

     

    im übrigen eine durchsetzungsfähige gewerkschaftsstrategie würde gewerkschaftsführer aus anderem holz verlangen.

     

    die funktionäre verstehen sich zur zeit als problemlöser und umsetzungsstrategen der kapitalseite,belohnt mit brosamen und zusagen für ihre mitglieder,ala die arbbeitsplätze sind sicher

    bis 2014.....

  • HL
    Henning Lilge

    Sehr geehrte Eva Völpel,

     

    mehr als richtig was Sie schreiben. Deutschland hat wirtschaftspolitisch vom Niedergang der europäischen Krisenländer profitiert. Jeder weiss , dass der Ball rund ist. Das Leid des einen ist die Freude des anderen - was Wirtschaftsaufträge anbetrifft. Leider ist internationale Arbeitersolidarität im heutigen Europa total unterbelichtet. Wen das Portmonnaie nicht zwickt, der denkt oft nur an sich und seine aktuelle nationale Wirtschaftslage. Dass das dumm ist und kurzsichtig ist wohl wahr. Und das könnte die deutschen Arbeitnehmer in Zukunft international isolieren. Wenn die deutschen Arbeitnehmer die Solidarität mit ihren südlichen Kollegen ausblenden - glauben die deutschen Arbeitnehmer denn, dass unsere südlichen Kollegen dann für uns streiken werden, wenn wir dran gauben müssen?

     

    Mit freundlichen Grüssen

    Henning Lilge

  • C
    chargesheimer

    Lange nicht mehr einen so klaren und nüchternen Kommentar zur Situation der IG Metall und der "Situation" in den Köpfen der arbeitenden Bevölkerung bzw. deren Interessenvertretung gelesen. Danke dafür!

    Als langjährige Gewerkschafter und IG-Metaller kann auch ich feststellen, dass die schleichende Entpolitisierung der Gewerkschaften in Deutschland sich noch fürchterlich rächen wird.

    In akutellen plitischen Fragen vermisse ich Stellungnahmen der IG-Metall, stattdessen organisiert sich mehr oder weniger spontaner Protest getragen z.B. von der Occupy-Pewegung.

    Der Rest ist Schweigen, was wohl auch noch mit den engen Verzahnungen der Gewerkschafter mit der SPD zu tun hat. Wer organisiert schon Widerstand gegen die Politik, die überwiegend selbst mitgetragen und mitgestaltet wurde? So schizophren sind nur wenige Gewerkschafter. Deswegen wird es aus meienr Sicht mittel- bis langfristig eine aktive ppolitische Mitwirkung der IG-Metall erst wieergeben, wenn die SPD und die IG-Metall ihre Führungskräfte auswechselt und damit auch ihre Politik ändert.