Kommentar EU-Gipfel: Sparen, bis der Abschwung kommt

Merkel schaufelt am Grab der Eurozone. Wenn jetzt europaweit gespart wird, dann verstärkt sich der Abschwung ungebremst. Davor haben die Investoren Angst. Zu Recht.

Dieser EU-Gipfel markiert eine Zäsur: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in der Eurozone komplett durchgesetzt - und ist doch total gescheitert. Denn noch während das Brüsseler Treffen lief, schossen die Zinsen für Italien in die Höhe. Für die Investoren ist also klar, dass die Eurokrise weiter eskaliert.

Die Finanzmärkte mögen zwar oft irrational sein, doch diesmal liegen die Investoren genau richtig. Angela Merkel schaufelt am Grab der Eurozone. Mit der ganzen ökonomischen Macht, die Deutschland verkörpert, hat sie nun durchgesetzt, dass europaweit eine rigide Schuldenbremse gilt. Das ist einfach Wahnsinn. Denn die Eurozone befindet sich bereits in einer Rezession, und auch in Deutschland schrumpft die Wirtschaft. Wenn jetzt auch noch europaweit gespart wird, dann verstärkt sich der Abschwung ungebremst. Am Ende sind die Defizite größer, nicht kleiner. Genau davor haben die Investoren Angst. Zu Recht.

Am Sparfuror der Angela Merkel ist zudem seltsam, dass sie die Ursache der Finanz- und Eurokrise verkennt. Es waren doch nicht die angeblich verschwenderischen Staaten, die "über ihre Verhältnisse" gelebt haben. Stattdessen handelt es sich vor allem um eine Bankenkrise. Hemmungslos wurden faule Kredite ausgereicht - ob an arme Häuslebauer in den USA, an Immobilienspekulanten in Spanien oder an leichtsinnige Kreditinstitute in Irland. Erst als dieses Schneeballsystem kollabierte, explodierten die Staatsschulden. Aber offenbar denkt Merkel nicht systemisch, sondern phänomenologisch: Für sie liegt das Problem dort, wo es sichtbar wird.

Immerhin, einen Trost gibt es: Wahrscheinlich siegt am Ende nicht Angela Merkel - sondern die Vernunft. Wobei noch nicht einmal auszuschließen ist, dass die Kanzlerin eine ihrer berühmten Kehrtwenden vollzieht. Sobald ihr auffällt, dass sich auch Deutschland in eine Rezession sparen müsste, dürfte sie sich dafür entscheiden, doch lieber die nächste Bundestagswahl zu gewinnen. Die Schuldenbremse wird in einem Aktenordner vermodern.

Jedenfalls als rigides Sparprogramm. Es gäbe natürlich noch eine Variante, die Kanzlerin Merkel nie erwähnt: Man könnte die Steuern für die Reichen erhöhen. Das würde auch den Staatshaushalt sanieren.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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