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Kommentar Alternativer MietgipfelZartes Pflänzchen

Kommentar von Martin Reeh

Erstmals kommen die wichtigsten Akteure der Mieterbewegung zusammen. Eine Großdemonstration wird es aber auch 2018 nicht geben.

Demonstration gegen hohe Mieten in Berlin Foto: dpa

F ast 300 Teilnehmer haben sich zu dem Alternativen Wohngipfel angemeldet, der am Donnerstag in Berlin beginnt. Es ist ein zartes Pflänzchen, das da im Friedrichshainer Umweltforum erblüht: Zum ersten Mal treffen sich bundesweit die wichtigsten Akteure und Aktivisten einer anderen Mieten- und Stadtpolitik: Mieterinitiativen, Politiker, Verbände, Wissenschaftler.

Dennoch: Auch in diesem Herbst findet keine bundesweite Demonstration gegen die immer weiter steigenden Mieten statt. Obwohl die Wohnungsfrage „die soziale Frage unserer Zeit“ ist, wie es Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkotten formuliert, ist die Mieterbewegung schlechter aufgestellt als die Flüchtlingsbewegung, Anti-Rechts-Initiativen oder auch die Bewegung für eine alternative Landwirtschaft, die jedes Jahr selbst im kalten Januar Zehntausende zu einer Großdemonstrationen nach Berlin mobilisiert.

Dafür spielt es sicher eine Rolle, dass soziale Themen auf der Agenda vieler Aktivisten weit unten stehen. Aber als alleinige Erklärung taugt dies zu wenig. Ergiebiger ist die Theorie der Pfadabhängigkeit, die in der Wirtschaft oft als Erklärungsmuster verwandt wird.

Bezogen auf die Mieterbewegung heißt das: Auf der einen Seite stehen die dezentral organisierten Mietergruppen. Und auf der anderen Seite die großen Tanker – Organisationen wie der Deutsche Mieterbund oder der DGB. Beide sind die Organisation von bundesweiten Großdemonstrationen zur Mietenfrage nicht gewohnt. Beide müssten sich verändern: Die Mieterinitiativen etwas zentralistischer werden, die Verbände aktionsorientierter. Und weil das schwer fällt, machen sie weiter das, was sie bisher am besten konnten: Proteste vor Ort organisieren oder Stellungnahmen verfassen.

Solange sich beide Seiten nicht ändern, fehlt eine relevante Gegenmacht zur Mietenpolitik der großen Koalition auf Bundesebene. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband äußerte am Mittwoch die Hoffnung, dass in einem Jahr die Vernetzung so weit fortgeschritten sein könnte, dass am Ende eine bundesweite Mieten-Demonstration steht. Das wäre in normalen Zeiten auf dem Wohnungsmarkt ein gutes Zeichen. Aber in Zeiten explodierender Mieten ist das: zu langsam.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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2 Kommentare

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  • " Auch in diesem Herbst findet keine bundesweite Demonstration gegen die immer weiter steigenden Mieten statt. "



    Sehr wohl letzte Woche in München mit über 10.000 Teilnehmern, unter dem Motto #ausspekuliert.



    www.sueddeutsche.d...ehen-hat-1.4131464

  • Der Mieterbund und der DGB sind liberal-sozialdemokratische Organisationen. Sie haben eben nicht zum Ziel das Privateigentum an Immobilien und Wohnungseigentum zu überwinden. Allenfalls verfolgen sie einvernehmliche Regelungen mit den privaten Eigentümern und den am Kapital- und Verwertungsinteresse von Wohnraum orientierten sozialdemokratischen Vorständen der Baugenossenschaften. Beim DGB, einschließlich der linksliberalen GEW, kommt hinzu, dass sie sich bevorzugt als Sozialarbeiter*innen für die bürgerliche Gesellschaftsordnung verdingen. Was sich auch aus dem mehrheitlichen Beamtenstatus auf Führungs- und Wortebene der GEW ergibt. Allenfalls sind die DGB-Gewerkschaften um kleine soziale Korrekturen zum Vorteil ihrer Mitgliedschaft bemüht. Ihre Hauptaufgabe sehen sie darin, möglichst eigenständige soziale Bemühungen der Basis, im Interesse der Kapitalisten, bzw. im inhaltlichen Bildungsinteresse der Bourgeoisie, für die Stabilisierung der vorhandenen Kapitalherrschaft, zu kanalisieren.

    Es gibt keine ernstzunehmende antikapitalistische Bewegung in Deutschland, dafür hat schon immer bevorzugt die rechte SPD im Bündnis mit den Staats- und Verfassungsschutz gesorgt. Ebenso wenig gibt es eine ernstzunehmende Mieterbewegung in Deutschland.

    Aus einer kommenden schweren Wirtschaftskrise, ebenso auf dem Sektor der Verknappung von Wohnraum, könnten nicht zuletzt wegen des historisch fehlenden Klassenbewusstseins bei den sozioökonomischen Opfern des Systems, ausschließlich die deutschen Kapitalfaschisten profitieren. Das NSU-Syndrom würde in Deutschland eine Massenbasis gewinnen, unter allen sozialen Schichten und Klassen, insbesondere auch unter den Akademikern und der Bourgeoisie. – Die sozial- und gesellschaftspolitische und antikapitalistische Linke in Deutschland stellt weiterhin nur eine kleine Minderheit in der deutschen Kapital- und Entfremdungsgesellschaft.

    Info.-Empfehlung

    Von Wilhelm Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus / Fischer Verlag