Kolumne Meer: Schlucken, marsch marsch!
Eine Studie zu Verhütungshormonen für Männer wurde vorzeitig abgebrochen. Die Studienteilnehmer litten an Depressionen, Gewichtszunahme und Sexproblemen.
I nnerhalb der nächsten fünf Jahre wird es nichts mit der Marktreife für hormonelle Verhütungsmethoden für den Mann. Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) musste abgebrochen werden – ungefähr 10 Prozent der Teilnehmer, meist ältere Männer, kamen nicht mit der Hormonspritze klar. Etliche Studienteilnehmer litten an Depressionen, Gewichtszunahme und erhöhter Libido.
Depressionen, Gewichtszunahme und Libidoveränderungen – woher kennen wir das nochmal? Ach, ja, die Antibabypille. In den 60ern, als die Medikamente noch sehr hoch und ungenau dosiert waren, war das alles noch viel schlimmer. Aber auch heutzutage gibt es solche Nebenwirkungen. Interessiert sich da eigentlich jemand dafür?
Spektakuläre Einzelfälle mit lebensgefährlichen Nebenwirkungen und Folgeschäden durch die Anti-Baby-Pille gehen ab und zu durch die Presse, werden dann aber schnell wieder vergessen. Seit den 60ern ist der kleine Hormoncocktail in Industriestaaten zum meistbenutzten Verhütungsmittel geworden. Die üblichen Nebenwirkungen gibt es auch bei den modernen, niedriger dosierten Pillen. Auch bei der angeblich ach so schonenden Hormonspirale. Depressionen, Gewichtszunahme und Libidoveränderungen.
ist Online-Redakteurin der taz. Sie schreibt die Kolumne "Meer", bei der sie ihre Blicke nicht nur über das Informationsmeer schweifen lässt.
Die – meist männlichen – Wissenschaftler und Entscheider bei den Pharma-Konzernen sagen aber: "Habt euch doch nicht so" oder "Zickt nicht rum" oder "Stellt euch nicht so an". Man(n) sieht die Pille als "gut" an. Älteren Frauen wird einfach nicht empfohlen, die Pille zu nutzen, jüngere dürfen sie sich aber gern einwerfen. Analog könnten ja, nur mal so als Idee, die jüngeren Männer es mit der Hormonspritze versuchen, die älteren, die sie nicht vertragen, können es ja lassen.
Vielleicht kommt das daher, dass viele Wissenschaftler und Entscheider bei Pharma-Konzernen männlich sind? Ein strukturelles Patriarchat: Männer haben Zeit, um Wissenschaft zu betreiben und dafür, Entscheider in Pharma-Konzernen zu sein. Zu der Zeit, wenn geklüngelt wird, müssen Frauen oft Kinder betreuen – und steigen deswegen in Wissenschaft und Pharmaindustrie nicht auf. Und am Ende haben wir den Salat: Verhütung mit Hormonen, aber bitte nur im Frauenkörper.
Die Pharma-Macker denken sich wohl: Frauen gehören ja eh nicht dahin, wo sie wirklich leistungsfähig sein müssen. Die käsige Blödheit, die die Hormone anrichten, die Kopfschmerzen – dann soll sie sich halt mal hinlegen, die Frau Hausfrau. Abends kommt dann der Mann nach Hause und rammelt ein bisschen rum, da ist es ja dann eh egal, wie es mit der Libido der Frau steht.
Sie beschweren sich schon nicht
Wozu braucht eine Frau eigentlich diese "Libido"? Muss eine Frau klar denken können? Und Migräne, das haben die doch eh alle – wenn sie Sex vermeiden wollen. So sind sie die Frauen, da kann man getrost massenhaft Hormone reinfülllen, sie beschweren sich schon nicht.
Und das läuft so schon seit über 50 Jahren!
An einer Stelle hatte Alice Schwarzer mal recht: Frauen sollen für Männer verfügbar sein, die sexuellen Bedürfnisse der Frau interessieren nicht. Die Pille habe dies verstärkt. Diese Kritik formulierte sie, als die Pille aufkam – in den 60ern. Recht hatte sie damit, dass der Pille auch antiemanzipatorisches Potenzial innewohnt. Nicht nur: Sie sorgte auch für mehr sexuelle Selbstbestimmung und für die Möglichkeit, sich sexuell auszuprobieren, ohne sofort eine Schwangerschaft befürchten zu müssen. Negative Folgen von Sex: entweder eine schmerzhafte Abtreibung, eine längerfristige Beziehung mit einem Mann, den man sich dafür nicht ausgesucht hat, oder Alleinerziehenden-Prekariat, konnten durch die Pille für die Frau bequemer vermieden werden. Emanzipatorisch wirkte die Pille also in Bezug auf Sex, eher weniger jedoch in Bezug auf das Verhältnis von Männern und Frauen.
Bei der Pille für den Mann ging es ja nun mal nicht so schnell voran, und jetzt auch noch der Studienabbruch bei der Hormonspritze für den Mann. Wo ist das emanzipatorische Potenzial der Pille, also von Hormonpräperaten, in Bezug auf die Geschlechterfrage?
Verhütung bleibt Frauensache
Verhütung ist immer noch Frauensache. Viele Frauenärzte nutzen jede Gelegenheit, um einem hormonelle Verhütungspräperate aufzuschwatzen. Da ist man einmal da, um checken lassen, ob alles am richtigen Ort ist – und am Ende geht man mit einer Pille oder einer Hormon-Spirale raus. "Probieren sie mal, es ist doch so praktisch". Könnte auch an der Nähe mancher Frauenärzte zu Pharma-Konzernen liegen, meiner hatte sogar seine Webseite von der Firma Jenapharm ("Die Nummer eins in der Frauengesundheit").
Das Versprechen, dass Hormone Frauen mehr Freiheit geben, ist nicht eingelöst worden.
Und immer häufiger muss man sich auch wieder um Kondome streiten. Die schützen nämlich nicht nur vor Schwangerschaft, sondern auch vor Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Doch seitdem Aids seinen Schrecken ein Stück weit verloren hat, geht das Gemuckel um die Kondome von vorne los, besonders nervig ist das bei Männern unter 35. Wenig ist übrig von den Mach's-mit-Kampagnen der 90er Jahre. Wenig Erinnerung an den Tod Freddie Mercurys und an die vielen anderen, die damals an Aids starben. Und ob die Frau schwanger wird, ist vielen auch egal. Die Verhütungsmethode "Schwanz rausziehen" (sehr unsicher!) ist recht beliebt.
Da muckeln sie rum: Muss das sein? Ohne ist doch viel schöner! Warum nimmst du nicht die Pille?
Leider kann ich nicht sagen: Nimm du sie doch.
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