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Klimaaktivist über Hausarrest in Paris„Ich darf nicht in die Innenstadt“

Französische Behörden nutzen offenbar die Notstandsgesetze, um gegen Protestler vorzugehen. Joel Domenjoud darüber, was sein Hausarrest bedeutet.

In Japan können Klimaaktivisten noch auf die Straße gehen: Tokio am Samstag, 28. November Foto: reuters
Martin Kaul
Interview von Martin Kaul

taz: Herr Domenjoud, wo befinden Sie sich gerade?

Joel Domenjoud: Zuhause, wo sonst? Ich stehe unter Hausarrest.

Sie haben sich daneben benommen? Wie alt sind sie?

Ich bin 32 Jahre alt und es war nicht meine Mutter, sondern das französische Innenministerium, das mich unter Arrest gestellt hat. Die französische Regierung nutzt die Notstandsgesetze, die sie nach den Terroranschlägen von Paris erlassen hat, um massiv gegen Aktivisten vorzugehen, die anlässlich des am Montag beginnenden Weltklimagipfels in Paris demonstrieren wollten.

Wie drückt sich das aus?

Zunächst einmal über umfassende Demonstrationsverbote. Frankreichs Regierungen hat alle Demonstrationen pauschal verboten, die während des zweiwöchigen Klimagipfels angemeldet waren.

Sie wollten aber trotzdem demonstrieren.

Ja. Weil ich der Meinung bin, dass wir nicht aufgrund von Terrormaßnahmen, die es auf unsere Freiheit absehen, als allererstes unsere eigenen Bürgerrechte einschränken sollten. Ich habe deshalb am Mittwoch rechtliche Schritte ergriffen, um am heutigen Samstag ein Protestbankett mit Aktivisten aus ganz Frankreich in Paris zu veranstalten. Wir wollten öffentlich gemeinsam essen, feiern und zeigen, dass wir einen anderen Lebensentwurf zu bieten haben.

Im Interview: Joel Domenjoud

Joel Domenjoud, 32, ist ein anarchistischer Umweltaktivist und war intensiv an den Protestvorbereitungen zum Weltklimagipfel beteiligt. Seit Donnerstag steht Domenjoud unter Hausarrest – laut eigener Aussage auf Weisung des französischen Innenministeriums.

Was ist dann passiert?

Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit meinem rechtlichen Widerspruch und meinem Kampf für die Veranstaltung wurde im Innenministerium eine Anweisung formuliert, die mir de facto Hausarrest erteilt. Am Mittwoch habe ich Rechtsmittel eingelegt, am Donnerstag wurden sie zurückgewiesen – und parallel dazu wurde im Innenministerium eine Anweisung erlassen.

Seit wann dürfen denn Innenminister scheinbar willkürlich Hausarreste erteilen?

Das dürfen sie eigentlich gar nicht, weil es natürlich eigentlich eines Richtervorbehaltes bedarf. Die einzige Ermächtigungsgrundlange dazu rührt aus der Notstandsgesetzgebung, die nach den Terrorangriffen beschlossen wurden – und die über drei Monate anhalten soll.

Aber richtet sich diese nicht gegen Terroristen?

Dachte ich auch. Fakt ist: Mir haben Polizisten eine Anordnung überreicht, die direkt aus dem Innenministerium stammt. Sie wurde von keiner Polizei und keinem Staatsanwalt gezeichnet und hat nie einen Richter gesehen. Ich werde darin weder beschuldigt, irgendetwas getan zu haben, noch wird aufgeführt, auf welcher Basis diese Entscheidung getroffen wurde. Ich bin nicht vorbestraft und stand noch nie vor Gericht. Was mir vorgehalten wird ist, dass ich Proteste geplant habe und davon auszugehen sei, dass ich die öffentliche Sicherheit und Ordnung störe.

Und was genau bedeutet das nun für Sie?

Ich habe die Auflage, während des gesamten Klimagipfels, also in den nächsten zwei Wochen, meinen Stadtbezirk, einen Vorort von Paris, nicht zu verlassen, darf also nicht mal in die Innenstadt von Paris fahren. Ich muss mich drei mal täglich auf dem Polizeirevier meines Ortes melden, um 9 Uhr, um 13 Uhr und um 19 Uhr. Zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens darf ich meine Wohnung nicht verlassen.

Das sind extrem massive Eingriffe.

Ja, und ich bin fassungslos, dass so etwas möglich ist. Soll das wirklich die Antwort auf die Terrorattacken sein? Wir sehen daran wie gefährlich ein solcher Ausnahmestaat für die Bürgerrechte ist. Und in ganz Frankreich sollen diese Zustände nun drei Monate lang gelten? Ich kann es wirklich nicht fassen.

Sie sind nicht der einzige, der unter Hausarrest steht.

Nein, ich weiß von insgesamt 24 Aktivisten, die gegen den Klimagipfel protestieren wollten und nun die gleichen Auflagen wie ich zu erfüllen haben. Es gab in den letzten beiden Tagen drei Razzien in besetzten Häusern und es gibt verschiedene Protestgruppen, die aus unterschiedlichen Orten Frankreichs zu Fuß nach Paris gelaufen sind. Nun stehen sie vor den Toren der Stadt und haben ein pauschales Verbot, Paris überhaupt zu betreten. Das ist schon ganz schön extrem.

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12 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ja hat denn irgendjemand, der sich die Arbeit des Denkens (Richtung Ursachen und Nutzniesser) gemacht hat, nach dem Attentat in Paris, etwas anderes erwartet/befürchtet? Ist das nicht blanke Logik? In den Köpfen jener Industrien (und ihrer geschmierten MarionettenbeamtInnen/Lobbies), die für die globale Zerstörungsarbeit verantwortlich zeichnen?

    Die Hauptfeinde von Liberté, Égalité und Fraternité berserkern nicht in der Wüste und drehen kranke Köpfungsvideos. Das sind lediglich der wahren Hauptfeinde Kreationen und nützliche Idioten.

    • @Ardaga:

      Och nö, jetzt aber nicht hier so ne Cui-Bono-Scheiße, oder?

  • Der Ausnahmezustand in Frankreich, ausgedehnt auf drei Monate, ist eine Ungeheuerlichkeit gegenüber dem Souverän. Dieser - in Frankreich bisher protestfereudiger, als bei uns - scheint durch die Attentate wie gelähmt zu sein. - Ich staune, wofür islamistischer Terror gut sein kann. Ausblick auf Kommendes?

    • @Albrecht Pohlmann:

      genau dafür ist er gut und genau deswegen wird er geduldet!!! Von bekannten, überwachte Extremisten

  • Die finanziellen Interessen der einzelnen Länder wiegen so schwer,dass das Klima keine Chance hat.Man hat sich schon längst stillschweigend darauf geeinigt,dass die kommenden Generationen eben mit der veränderten Situation,den Dürren und dem steigenden Meeresspiegel, zurecht kommen werden müssen.Es triff sowieso vorwiegend die Ärmsten.Bis New York endlich absäuft,dauert es leider noch zu lange.

  • Wir sind schon vor Ort - in Paris. Wir haben unsere Schuhe schon für die Aktion von Avaaz abgegeben, waren beim ökumenischen Gottesdienst der Klimapilger und werden morgen versuchen, an der Menschenkette teilzunehmen.

    http://saveearthlovepeacefreedom.org/wordpress/?p=76

    http://saveearthlovepeacefreedom.org/wordpress/?p=85

    https://france.attac.org/se-mobiliser/changeons-systeme-pas-climat/article/informations-et-principes-pour-la-participation-a-la-chaine-humaine-climat2paix

     

    Wir werden nicht aufgeben und für unsre Zukunft auch in Paris auf die Straße gehen!

    • @JBS_6623:

      Sehr gut. Es kann nicht angehen, dass sich europäische "Demokraten" zum Handlanger islamistischer Terroristen machen und umgekehrt und beide Seiten letztlich von den Maßnahmen der anderen profitieren.

       

      Widerstand gegen islamistischen Terror UND staatliche Repression!

  • Wow, man weiß ja, dass man dem Staat nicht zu viel Macht geben darf, weil er sie sonst missbraucht. Aber ich dachte immer, das wäre etwas, das sich über die Zeit einschleift. Aber dass gerade einmal nach zwei Wochen Notstandsgesetzgebung dem französischen Innenministerium schon ein Licht aufgeht und die sich sagen "Oh, guck mal, wir können ja einfach mir nichts, dir nichts alle Demos verbieten und Leute in ihren Häusern einsperren! Wie geil!" Das schockiert mich dann schon.

  • Die Polizei hat in der Situation schon genug darauf zu achten das kein weiterer Terroranschlag passiert. Das man Sie jetzt noch mit Demonstranten belasten will die zivilen Ungehorsam leisten ist für mich unverständlich. Es ist ja nciht so das der Terroranschlag ein halbes Jahr her ist. Es ist 15 Tage her.

     

    Das die ganze Konferenz nicht abgesagt wurde ist schon ein Statement von der französichen Regierung, das dem Klimathema eine hohe Priorität eingeräumt wird.

    • @Tim Leuther:

      Die Belastung der Polizei kann aber kein Grund sein, die Grundrechte von Bürgern einzuschränken. Würde man dies so akzeptieren, wäre es dem Staat zu einfach möglich, ungewollte oder auch nur unliebsame Demonstrationen zu verhindern und die Grundrechte ad absurdum geführt. Dabei sind gerade auch die durch die Grundrechte (bzw. Menschenrechte) bestehenden Werte unserer westlichen Gesellschaften der Grund, warum wir uns für etwas besseres halten als die Staaten, in denen Demonstrationen von Bürgern einfach so nicht erlaubt sein können - sei es, weil die Polizei gerade überlastet ist oder weil der herrschenden Klasse die Intention der Demonstranten nicht gefällt oder weil die herrschende Klasse einfach ihre Ruhe haben will, wenn sie wichtige Entscheidungen trifft.

       

      Zur Not müssen eben Polizisten aus dem ganzen Land rangeholt werden, damit die Demontrationen ermöglicht werden können.

       

      Zwar scheint es rechtlich die Möglichkeit zu geben, Demonstrationen unter der Notstandssituation zu untersagen, allerdings demonstriert "Paris" damit keine Stärke, sondern lediglich, dass es auch in unseren besonders von uns hochgelobten Demokratien ganz einfach möglich ist, auf einen derartigen Modus umzuschalten und Grundrechte bzw. Menschenrechte dann mal eben nicht einzuhalten - nur was sind die dann noch wert?

       

      Klar, die Demokratie muss verteidigt werden, aber pauschal alle Demonstrationen abzusagen, Menschen unter Hausarrest zu stellen, ihnen die Bewegungsfreiheit zu nehmen, obwohl sie noch nicht einmal im Ansatz ernsthaft terrorverdächtig sind, ist durchaus ein unrechtstaatsmäßiges Verhalten und das einzige Statement der französischen Regierung liegt darin, die totalitäre Seite unserer westlichen Welt zu zeigen.

  • An deren Stelle würde ich mich an die Vorgaben nicht halten und das Bankett in der Innenstadt stattfinden lassen. Das gibts doch gar nicht, diese Bevormundung. Diese Vorgehensweise des französischen Innenministeriums muss so oder so vor Gericht, sollen sie doch friedliche Klimademonstranten vom gemeinsamen Essen abführen.