piwik no script img

Kinostart Remake „Carrie“Jetzt gibt's so richtig was aufs Maul

Ohne eine Spur von Traurigkeit: Die Neuverfilmung von „Carrie“ lebt von drastischen Effekten. Das Spektakel von Schub und Wucht steht im Vordergrund.

Man sollte ihr besser nicht in die Quere kommen, sonst wird's blutig. Bild: dpa

BERLIN taz | Das zum Remake von Brian De Palmas Horrorklassiker „Carrie“ viral gestreute Promovideo zeigt im „Verstehen Sie Spaß“-Modus eine auf den ersten Blick fast alltägliche Cafészene: Ein junger Mann rempelt versehentlich eine Frau an, die daraufhin ihren Kaffee verschüttet. Darüber mächtig in Rage geraten, schleudert sie den Mann zum Entsetzen der Kundschaft allein kraft telekinetischer Mächte wirkungsvoll an die Wand: Na dem hat sie es aber gegeben!

In dieser Darstellung urbaner Überreiztheit illustriert das Video mit verblüffender Ehrlichkeit, was an dieser neuen „Carrie“-Version so herausragend falsch ist: Der Geschichte vom Außenseitermädchen Carrie White (Chloë Grace Moretz), das unter ihrer fanatisch religiösen Mutter (Julianne Moore) und präpotenten Mitschülern leidet und, einsetzend mit der ersten Monatsblutung, telekinetische Fähigkeiten entwickelt, eignet bei De Palma und Stephen Kings literarischer Vorlage noch eine tiefe Traurigkeit.

Selbst die finale, gewaltvolle Auseinandersetzung gibt diese nicht preis: Wenn Carrie ihre Welt nach einer letzten Demütigung in Flammen aufgehen lässt, bildet dies nur den Moll-Schlussakkord einer großen Tragödie. Pino Donaggio hatte das bei De Palma mit seinen melancholischen Kompositionen genauso verstanden wie die ätherisch flüsternde Hauptdarstellerin Sissy Spacek, die der Figur noch im Exzess eine papieren-verschreckte Qualität verlieh.

DER FILM

„Carrie“. Regie: Kimberley Peirce. Darsteller: Chloe Grace Moretz, Julianne Moore, Judy Greer. USA 2013, 100 Min.

Promovideo samt Remake, der filmischen Vorlage ansonsten bis zur sedierenden Nachplapperei sklavisch ergeben, erklären solche Sensibilitäten für obsolet: Das Spektakel von Schub und Wucht steht ganz im Vordergrund.

Der szenische Aufbau dient einer gewaltigen Triebabfuhr

Lässt Carrie nun ihren Kräften freien Lauf, äugt sie nicht nur evil wie Ozzy Osbourne zu Black Sabbaths besten Zeiten, sondern zahlt es ihren Peinigern auch mit dicker Schwarte heim: Jetzt gibt’s – drastische Musik, drastische Effekte! – so richtig was aufs Maul.

Der szenische Aufbau hat damit am Ende weit weniger einer Denunziation gewalthaltiger Sozialstrukturen gedient als vielmehr dem Build-up einer gewaltigen Triebabfuhr: Bis zum Ende schön angestachelt, fiebert man gleich zweimal mit, wenn es nun endlich mal den Richtigen an den Kragen geht.

Umso trauriger ist diese Preisgabe des Stoffs an die Bedürfnisse eines auf Krawall gebürsteten Kinobetriebs, da man sich im Vorfeld mit Regisseurin Kimberley Pierce, verantwortlich für das queere Indie-Drama „Boys Don’t Cry“, durchaus Hoffnungen auf einen feministisch sensibleren Blick auf den Stoff gemacht haben durfte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • E
    Emmeline
  • A
    anne

    „feministisch sensibleren Blick“

     

    Du meine Güte wo denn nun noch überall?

     

    Es ist ein Horrorfilm! Eine fiktive Geschichte, die gruseln und unterhalten soll!

     

    Und kein Gender Studies Seminar! Geeezus…

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    "Es geht endlich mal den richtigen an den Kragen." Die frohe Botschaft zu Weihnachten.

  • DL
    de la palma

    Das wievielte Remake isn das jetzt? Es läuft gerade eins auf Tele 5 aus dem Jahr 2002, wenn ich mich recht entsinne; ich hatte mich schon aufs Original gefreut .... nach 5 Min. ausgeschaltet - langweilige Schauspieler, öde Fernsehfilmqualität. Die hier vorgestellte Version scheint ins ins andere Extrem zu kippen: Hauptsache spektakuläre Effekte. Aber nach der hervorragenden King-Adaption von de Palma ists sowieso idiotisch den Film zu remaken. Da kann nix ranreichen.

  • "Das Spektakel von Schub und Wucht steht ganz im Vordergrund"... in Deutschland haben über 42 % Merkel gewählt, also, was soll's?!

    • HJ
      Hu Junzi
      @Tadeusz Kantor:

      Sry, aber 13,8 Mio. von 62,2 Mio. sind nicht 42%+, gibt also noch Hoffnung für D, EU und sogar für Hollywood

      • @Hu Junzi:

        na gut, in Deutschland haben sich über 42 % der Wähler für Merkel und die CDU entschieden, aber betrachten wir es mal anders rum, und da wird es richtig gruselig, über 60 % der Deutschen stehen hinter der Politik von Frau Merkel ; )

  • Ist's denn wenigstens in 3D, sodass einem die Blutungen ins Gesicht schwappen? Bei weniger Realismus geht das Zielpublikum heute doch gar nicht mehr ins Kino - bzw. befriedigt aus dem Kino.