Kaminer über Olympia in Sotschi: „So sportlich sind die Russen nicht“
Russland braucht Projekte wie die Winterspiele, damit es Fortschritt gibt, sagt Schriftsteller Wladimir Kaminer. Doch in der Bevölkerung seien die Spiele kein Thema.
taz: Herr Kaminer, Sie haben am Telefon recht lustlos auf unsere Anfrage reagiert. Sind Sie das Thema Sotschi schon leid?
Wladimir Kaminer: Ich kriege im Moment jeden Tag Anfragen. Ein Fernsehsender wollte mich sogar nach Sotschi schicken. Dabei sind die Russen schon längst wieder von dem Thema abgelenkt, durch die Ukraine.
Der Konflikt in Kiew dämpft die Olympiavorfreude?
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass meine Landsleute große Vorfreude auf Olympia verspüren. So sportlich sind die Russen nicht. Das war von Anfang an kein besonderes Thema in der Bevölkerung. Es wurde erst eines, als die Spiele eine politische Dimension bekamen und als Einladung zum Gespräch über die Zukunft des Landes dienten. Darüber, wie sich Russland entwickeln kann, und ob es auch ohne Olympia möglich wäre, dass neue Häuser und Wasserleitungen entstehen.
Was bedeutet diese Diskussion?
Sie zeigt sehr deutlich die Sackgasse, in der das Land steckt. Im Grunde geht es bei den Olympischen Spielen ja um die gleiche Geschichte wie in der Ukraine.
Das müssen Sie erklären.
Pragmatisch denkende Russen sehen die Öl- und Gasreserven als den Fluch Russlands. Denn in Ländern, die Energiequellen haben, kann der Staat die Bürger als eine Art Angestellte betrachten. Die politische Klasse kann endlos auf ihren Sesseln sitzen, zumindest solange der Staat zahlt. Es ist auch gar nicht so viel Geld nötig, um die Leute ruhig zu stellen. In der Ukraine, wo es weder Öl noch Gas gibt, nehmen die Menschen das Schicksal ihres Landes selbst in die Hand.
gilt als Deutschlands Lieblingsrusse. Kaminer, 45 Jahre alt, Schriftsteller und Journalist, ist in Moskau geboren und aufgewachsen. 1990 wanderte er nach Berlin aus.Als Stimme der russischen Emigranten hat er eine Reihe von Bestsellern geschrieben. Bekannt wurde er vor allem mit den Erzählbänden "Russendisko" und "Militärmusik".
In seinem Buch „Mein Leben im Schrebergarten“ erkundet er die deutsche Kleingartenkultur: Kein eingeborener Deutscher hat je so liebevoll über diese Versuche, Paradiesisches im Privaten zu errichten, geschrieben. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im Berliner Bezirk Pankow. (gmk)
Und wie hängt das mit den Winterspielen zusammen?
In Russland wird alles von oben nach unten verteilt. Nur merken die Russen natürlich, dass das nicht funktioniert. Daher diese Lust an großen, internationalen Spielen: Wenn Ausländer kommen und sich an Projekten beteiligen, kann man sicher sein, dass am Ende etwas herauskommt – und dass nicht alles geklaut wird.
Sie meinen, sonst würden die Vorhaben an Korruption und Misswirtschaft scheitern?
Die ersten Rekorde stehen in Sotschi ja schon! Diese 48 Kilometer lange Straße, wofür sie 200 Millionen Euro pro Kilometer ausgegeben haben. Das ist die teuerste Straße der Welt. Putin hatte sofort eine gute Ausrede parat. Er sagte: „Ja, aber haben Sie diese Straße gesehen? Die geht über Berge, und es gibt so viele Brücken!“ Wirklich, eine sehr schöne Straße – die nur dafür da ist, um Touristen an die Veranstaltungsorte zu bringen.
Sie haben sich gegen einen Boykott ausgesprochen. Ist ein Staat, der die Minderheitenrechte missachtet, ein geeigneter Olympiagastgeber?
Es gibt kein Beispiel in der Geschichte, wo Isolation eine positive Wirkung auf die Entwicklung eines Landes hatte. Natürlich ist es auch eine Erziehungsmethode wenn Eltern ihrem Kind, wenn es fällt, nicht aufhelfen, sondern warten, bis es alleine laufen lernt. Aber das machen die Menschen normalerweise nicht. Nur durch Zusammenhalt kann ein Gespräch zustande kommen.
Aber inzwischen ist ständig von den „Putin-Spielen“ die Rede. Das heißt, er kann sich im Glanz der Spiele in Sotschi sonnen.
Ich glaube, dass die Spiele für Putin sehr anstrengend sind.
Inwiefern?
Er ist jede Woche dort, er sitzt auf allen Bauprojekten. Wenn er nicht da ist, geht nichts voran. Aber man kann nicht das ganze Land zu einem olympischen Objekt machen, obwohl das die einzige Möglichkeit wäre: dass man die Spiele zu einem einjährigen Ereignis ausweitet, das ganze Land zum Austragungsort erklärt – und baut, baut, baut.
Zumal es Regionen gibt, die sich besser für Winterspiele eignen als das subtropische Sotschi.
Man könnte ganz Sibirien zum Olympiagebiet machen und modernisieren. Da müsste man auch keine Schneemaschine in Israel bestellen. Dafür macht die Maschine Schnee in allen denkbaren Farben. Rosa Schnee in Sotschi – das wird ein Bildereignis.
Aber die Spiele stoßen ja nur eine bauliche Modernisierung an, keine gesellschaftliche.
Doch, natürlich. Die stehen doch da und sagen: „Kommt alle!“ Sie rechnen fest damit, dass die Welt nach Sotschi kommt und staunt. Wer war denn überhaupt schon mal in Sotschi?
Waren Sie mal dort?
Ja. Als Kind habe ich mich sehr gewundert, denn die Promenade, die Strände – alles ist in Betonwände eingefasst. Vielleicht haben Sie die jetzt weggenommen. Es ist eine stark durch Menschenhand geformte Gegend.
Nun hört man viel von Umweltzerstörung und Zwangsumsiedlungen. Sicher, dass es eine gute Idee wäre, Olympia auf ganz Russland auszudehnen?
Die Infrastruktur ist in Russland unglaublich schwach. Millionen Menschen leben ohne Wasser, ohne eigene Wohnung. Die Statistiken sind verheerend. Ich glaube dass sich Sotschi letzten Endes herausgeputzt hat, zu einem übernatürlichen Glanz.
Werden davon auch die normalen Menschen profitieren?
Das kann heute keiner sagen. Ich bin gespannt, was werden wird.
Sie haben ein Buch über Schrebergärten geschrieben. Ist Sotschi eine Art großer Schrebergarten für Putin?
Er betrachtet wahrscheinlich ganz Russland als seinen eigenen Schrebergarten. Aber eigentlich ist das ein falscher Vergleich, denn im Schrebergarten steht das Bundeskleingartengesetz über jedem Gärtner. Niemand kann tun und lassen, was er will. Was Putin macht, ist eine ganz besondere Art der Gärtnerei, weil er sich von keinem Gesetz einschränken lassen muss. Sotschi ist ihm wohl ans Herz gewachsen, und er hat beschlossen, dies der ganzen Welt zu zeigen.
Dennoch klingen Ihre Erwartungen recht zuversichtlich.
Ich hoffe sehr, dass viele Menschen nach Sotschi kommen, dass ein Austausch stattfindet. Dass die Russen vieles mit fremden Augen sehen können. Dass die Menschen diese prachtvolle Landschaft entdecken. Ich wünsche diesem Projekt Erfolg, klar.
Werden Sie die Olympischen Spiele im Fernsehen verfolgen?
Ja, meine Mutter ist ein großer Fan vom Eiskunstlauf. Das schauen wir immer. Das ist auch eine sehr russische Disziplin: unter unmöglichen Bedingungen etwas Schönes, etwas Herausragendes zu machen: Tanzen auf dem Eis. Ist das nicht skurril?
1980 gab es zuletzt Olympische Spiele in Russland, mitten im Kalten Krieg. Wie haben Sie die Stimmung empfunden?
Da war ich 14. Ich habe Geld verdient. Der Ruderkanal lag direkt vor unserem Haus. Wir haben am Start die Kajaks festgehalten, dafür gab es jedes Mal zwei Rubel. Wir haben manche Teams angeschubst, um ihnen Schwung zu geben. Wir haben also eine wichtige Rolle gespielt damals.
Welche Länder haben von Ihrer Starthilfe profitiert?
Ich habe Israel angeschubst. Viele Länder haben uns boykottiert. Israel aber war da.
Hat die Olympiade damals in Russland etwas verändert?
Zum ersten Mal kam Pepsi Cola ins Land. Plötzlich standen Getränkeautomaten herum. Die haben wir auseinandergenommen und das Instantpulver herausgeholt. Und die Russen haben angefangen, Kaugummis zu produzieren, in drei Geschmacksrichtungen: Kirsch, Orange, Neutral.
Auf Ihrem Blog gibt es ein Foto, eine Katze in einem Vogelhaus. Darüber steht: „Freunde des Wintersports, fliegt zu uns.“
Die guckt so unglaublich böse.
Ist das als Kommentar zu den Olympischen Spielen zu lesen?
Ja, dieses geheimnisvolle Land, diese Mischung aus Herzlichkeit und Bösartigkeit, die man unmöglich einschätzen kann. Aber genau das macht Russland auch so spannend.
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