Hilfe für überschuldete Spanier: Zwangsräumung gestoppt
In Andalusien kommt es erstmals zur Enteignung einer Wohnung auf Zeit. Das soll überschuldete Familien vor der Zwangsräumung schützen.

MADRID taz | Überglücklich schwenkt María del Carmen Andújar das Symbol gegen Zwangsräumungen von Wohnungen. „Ja wir können!“ steht auf der grünen Pappe. Die Mutter zweier Jugendlicher und ihr Ehemann hatten soeben erfahren, dass die Regionalregierung im südspanischen Andalusien die Zwangsräumung der Familie gestoppt hatte. Es ist das erste Mal, dass die Koalition der sozialistischen PSOE und der postkommunistischen Vereinigten Linken (IU) ein im September verabschiedetes Gesetz über die „soziale Nutzung von Wohnraum“ angewendet hat.
Statt die Familie, die mit ihren Ratenzahlungen in Rückstand geriet, auf die Straße zu setzen, wurde der Besitzer der Wohnung in der Stadt Huelva enteignet. Der Besitzer ist ein Spekulationsfonds, der unsichere Kreditverträge von Spaniens größter Sparkasse, der katalanischen Caixa, aufgekauft hatte.
„Das gibt uns Luft“, jubelt Andújar. Sie verdient im Monat 420 Euro, ihre Kinder und ihr Mann sind arbeitslos. Die Stütze für ihren Gatten – 400 Euro pro Monat – läuft im Januar aus. Jetzt hofft Andújar, die fortan 25 Prozent ihres Einkommens als Sozialmiete abführen muss, dass sich in den nächsten drei Jahren die Situation der Familie verbessert und sie wieder Raten zahlen kann.
„Es wäre eigentlich die Aufgabe der Zentralregierung gewesen, für Gerechtigkeit zu sorgen und ein Gesetz zu erlassen, das Schuldenfreiheit bei Rückgabe der Wohnung ermöglicht“, verteidigt die Präsidentin der andalusischen Autonomieregierung, Susana Díaz Pacheco, die Enteignung. Wer die Wohnung verliert, dem wird von seinen Schulden nur ein Schätzwert abgezogen. Bleibt ein Rest, was dank der geplatzten Spekulationsblase meist zutrifft, muss dieser weiter abbezahlt werden.
400.00 Zwangsräumungen seit 2007
Landesweit 400.000 Zwangsräumungen zählen die Betroffenenorganisationen seit Beginn der Krise 2007. Die Opfer sitzen auf der Straße und sind trotzdem hoch verschuldet. Die Konservativen unter Mariano Rajoy, die in Madrid regieren, haben daran bisher nichts Wesentliches geändert.
Es ist bereits das zweite andalusische Gesetz, das Familien vor der Ausgrenzung durch Wohnungsverlust schützen soll. Das erste vom letzten April wird derzeit auf Antrag der konservativen Zentralregierung vor dem Verfassungsgericht verhandelt. Gestern, am Tag nach der Enteignung von Huelva, wurden Stimmen laut, die auch das neue Regionalgesetz stoppen wollen.
Auch aus Brüssel kommen immer wieder Stimmen zum andalusischen Gesetz. Es könnte dem Wohnungsmarkt und den Banken schaden, fürchtet die EU. Zuletzt erklärte der wirtschaftspolitische Sprecher der EU-Kommission, die Troika aus Kommission, Zentralbank und Internationalem Währungsfonds werde prüfen, wieweit das Gesetz mit der Bankenrettung vereinbar sei. Dafür habe Spanien 100 Milliarden Euro bereitgestellt bekommen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung