Hamburger Hedonisten enttarnen sich: „Ein reines Schauspiel“
Privatdozent des Hedonistischen Instituts für angewandte Populismusforschung über Stammtischparolen und das leichte Spiel, mit haarsträubenden Geschichten in den Medien zu landen.
taz: Herr Gibs, Sie wollen einen Hoax, also eine in den Medien platzierte Falschmeldung, aufklären. Was haben Sie angestellt?
Jesko Gibs: Wir haben uns mit Diskursen beschäftigt, die in der Bundesrepublik en vogue sind und immer wieder aufkochen. Beispiele wären die von Thilo Sarrazin und Matthias Matussek ausgelösten Debatten, die in der Form große Ähnlichkeiten aufweisen.
Inwiefern?
Beide artikulieren auflagenstark ihren gesunden Menschenverstand, für den sie ihre Ausfälle gegen Feminismus, Homosexualität, Erwerbslose oder Einwanderung halten, und behaupten gleichzeitig, dass solche Äußerungen aufgrund politisch korrekter Zensur angeblich unsagbar geworden seien. Obwohl doch die schweigende Mehrheit der „Normalen“ eigentlich genauso denke.
Dadurch inszeniert sich diese platte Wiedergabe von Stammtischparolen als mutiger Akt des Tabubruchs. Das fanden wir lächerlich und da dachten wir uns, wenn es so einfach ist, mit so einer Masche erfolgreich zu sein, versuchen wir das auch.
Was genau?
Wir probieren die gleichen absurden Argumentationsschemen aus und zeigen auf, wie einfach man von den Medien Gehör für Unsinn findet.
Sie sind als Fleischliste in die Rolle der großen Fleischverfechter geschlüpft und bei der Wahl des Studierendenparlaments an der Hamburger Uni angetreten.
24, nennt sich der Privatdozent des Hedonistischen Instituts für angewandte Populismusforschung in Hamburg.
Genau, als Leute, die sich in ihrer Freiheit beschnitten sehen durch diese angeblichen Pläne einer Minderheit, einen Veggie-Day an der Hamburger Uni einführen zu wollen. Dabei hat niemand, vor allem nicht das Studierendenwerk, das zu seinem Vorhaben erklärt.
Mit abstrusen Parolen wie: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“, haben wir versucht, so etwas Banales wie den Veggie-Day zum gesellschaftspolitischen Thema hochzustilisieren. Nach dem Muster: Die da oben machen doch was sie wollen, auf Kosten der Mehrheit. Das Thema ist total banal, es hat aber super funktioniert, wenn man sich die Berichterstattung, Kommentare und Zuschriften anschaut.
Wie kam es denn dazu?
Wir setzten eine Facebook-Seite auf und baten verschiedene Leute, uns zu liken, damit es so aussieht, als wäre da wirklich was im Gange. Und dann haben wir eine Pressemitteilung verschickt. Zwei Stunden später hat sich die Hamburger Morgenpost (Mopo) gemeldet und wollte einen Artikel darüber machen. Das Ziel war von Anfang an, in die Medien zu kommen, durch die Erfindung von falschen Tatsachen reale Ereignisse schaffen. Ein bisschen, um den Foucault’schen Ausspruch zu prüfen, demnach der Diskurs das schafft, was er benennt.
Hat es Sie überrascht, dass die Rechnung so einfach aufgeht?
Eigentlich habe ich schon damit gerechnet, aber vor allem diese Unverfrorenheit mit der konkret die Mopo agiert hat, überraschte mich dann doch. Wir haben zum Beispiel offenkundige Widersprüche in unser Interview eingebaut und uns mit wechselnden Vornamen angeredet. Das passte alles nicht zusammen. Am Ende hat sich die Mopo das rausgesucht, was am besten zu ihrer Geschichte passt. Mein Gefühl ist, je abstruser das Ganze ist, desto leichter schafft man es, mit einer Schlagzeile geadelt zu werden.
Ihre Gruppe nennt sich „Hedonistisches Institut für angewandte Populismusforschung“. Jetzt haben Sie mit der Fleischliste einen Platz im Studierendenparlament bekommen…
Allein der Name Fleischliste ist so absurd, dass man das ja eigentlich nicht ernst nehmen kann. Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir bei der Wahl ein paar Hundert Stimmen bekommen. Das wirft ja auch ein Schlaglicht auf die politische Kultur. In Europa gibt es ja einen Aufstieg der rechtspopulistischen Parteien. Wir haben die gleichen Mittel benutzt, wie sie Populisten in der Regel verwenden. Das ist tatsächlich angsteinflößend, mit wie wenig Aufwand man damit Erfolg haben kann.
Richtet sich die Aktion gezielt gegen Populismus im Allgemeinen oder auch konkret gegen etwas bestimmtes?
Ursprünglich richtete sich unsere Aktion nur gegen die Mopo, die in der letzten Zeit einen unerträglichen Kampagnenjournalismus etabliert hat.
Sie meinen die Berichterstattung zu den Auseinandersetzungen um die Rote Flora und die Gefahrengebiete?
Ja. Was ich aber noch erschreckender finde, war die Berichterstattung im letzten Jahr um die sogenannten Massenkrawalle in Altona, wo Jugendliche verfassungswidrig von Polizisten kontrolliert wurden – lediglich weil sie als Migranten ins Täterprofil passten. Das hat die Mopo zu Banlieue-artigen Zuständen umgedichtet, wo die Polizei jetzt mal durchgreifen muss. Dann haben wir aber schnell gemerkt, das es beim Spiegel genauso einfach ist, als obskure Vereinigung eine Plattform geboten zu bekommen.
Ist das für Sie ein Triumph oder ernüchtert Sie das?
Natürlich ist es kein Grund zu triumphieren, zu sehen, wie weit sich der Journalismus von ursprünglichen Idealen entfernt hat. Aber genau das wollten wir ja auch erreichen, mit einer hanebüchenen Geschichte und abstrusen Falschbehauptungen in die Medien zu kommen. Es ist natürlich auch ein Spiel, das Spaß macht, wenn man sich mit einer Journalistin oder einem Journalisten trifft, eine Rolle einnimmt und austesten kann, wie weit man gehen kann, ohne aufzufliegen. Einen Drehtermin mit RTL haben wir jetzt aber abgesagt, weil es uns dann doch zu unangenehm wäre mit der Fernsehkamera.
Verstehen Sie Ihr Vorgehen als ein künstlerisches?
In gewisser Hinsicht, ich hänge jedoch nicht an dem Begriff. Aber es ist schon so eine Art unsichtbares Theater, das man zur Aufführung bringt – ohne Vorhang. Ein reines Schauspiel. Letztlich ist ja auch beinahe jeder relevante Diskurs in Deutschland ein Schauspiel, bei dem Rollen eingenommen werden. Matthias Matussek nimmt beispielsweise die Rolle des tabubrechenden Enfants terrible ein. Obwohl er doch eigentlich nur ein ergrauter Mann ist, der die sich trotz des eigenen geistigen Stillstands frecherweise weiterdrehende Welt nicht mehr versteht.
Haben Sie denn bei dieser Aktion spontan improvisiert oder Ihr Vorgehen vorher genau vorbereitet?
Eigentlich steckt da erschreckend wenig Arbeit drin. Vor dem Interview mit der Mopo sind wir eine halbe Stunde durchgegangen, was wir sagen. Das haben wir bei den darauffolgenden Interviews aber gelassen und doch eher improvisiert – und wir haben uns noch einen Spaß daraus gemacht, dass wir uns gegenseitig überboten haben mit unseren abstrusen Geschichten. Gegenüber dem Uni Spiegel artikulierten wir auch, dass wir massiv angefeindet werden, um die altbekannte Figur zu bedienen, dass man bedroht und ausgegrenzt würde, wenn man sich politisch inkorrekt äußere. Was Quatsch ist, derartige Positionen sind ja beinah Mainstream – leider.
Und das wurde nicht weiter hinterfragt?
Die Journalistin wollte ein paar dieser E-Mails haben. Wir haben dann einfach selber welche geschrieben, inspiriert durch die Gewaltfantasien, die man so in der Kommentarspalte von Welt Online findet. Das haben wir ihr dann zukommen lassen. Wir haben uns sogar Mühe gegeben, in jeder dieser E-Mails die gleichen Rechtschreibfehler zu machen und den gleichen Stil zu verwenden, so dass man das hätte merken können.
Das riecht nach Kommunikationsguerilla. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich dieser Mittel zu bedienen?
Unsere Gruppe kommt aus dem Fahrwasser der hedonistischen Internationalen und beschäftigt sich mit Theorien der Kommunikationsguerilla. Also damit, wie man die Zeichen des Diskurses nutzt, um sie gegen den Diskurs selber zu wenden. Da gibt es ja dieses schöne Zitat von Roland Barthes, dass die wirksamste Art, den Mythos zu sabotieren, ist, ihn einfach zu modifizieren. Die Chiffren zu übernehmen und ihn dadurch zu entstellen, um zu zeigen, wie hohl das Ganze eigentlich ist.
Was ist das Ziel?
Es wäre schön, wenn sich Menschen, die das Anliegen der Fleischliste gut fanden, nun darüber erschrecken, auf welchen totalen Quatsch sie reingefallen sind. Und dann vielleicht mal darüber nachdenken, wie unreflektiert sie sich generell ihre Meinung bilden. Das ist jetzt natürlich sehr ideell gedacht, weil die Leute, die das in der Mopo gelesen haben und sich dadurch vielleicht angesprochen fühlten, wahrscheinlich die Auflösung nicht mitbekommen werden.
Lässt Sie das nicht daran zweifeln, ob die Strategie aufgeht?
Ich glaube, es wäre geboten, dass sehr viele Menschen beginnen, die Medien gezielt in die Irre zu führen, um vollkommene Verwirrung zu stiften. Dass viele Menschen beim Lesen von Artikeln den Gedanken im Hinterkopf haben, dass hier vielleicht wieder eine Kommunikationsguerilla am Werk gewesen sein könnte.
Wie bei der Pofalla-Geschichte im Postillon, als das Satire-Portal sich als Urheber der Meldung inszenierte, dass der CDU-Politiker in den Bahnvorstand wechselt.
Das ist eigentlich ein ziemlich gutes Beispiel. Ich glaube auch, weil man mit Gegenargumenten wenig ausrichten kann, wenn der ganze Diskurs lediglich auf aberwitzigen Projektionen basiert. Man muss diese Strukturmomente, derer sich einschlägige Menschen in den Medien bedienen, komplett entstellen. Und, indem man sie ad absurdum führt, aufzeigen, dass der Inhalt vollkommen irrational ist.
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