Französisches Völkermord-Gesetz gekippt: Verstoß gegen Meinungsfreiheit
Die Leugnung des Völkermords an den Armeniern darf nicht unter Strafe gestellt werden. Das Völkermord-Gesetz wurde vom französischen Verfassungsrat gekippt.
PARIS afp | Das umstrittene Gesetz, das die Leugnung des "Völkermords" an den Armeniern unter Strafe stellt, tritt in Frankreich nicht in Kraft. Der Verfassungsrat kippte das Gesetz am Dienstag in Paris wegen Verstoßes gegen die Meinungsfreiheit, hob aber zugleich hervor, dass er damit keine Beurteilung historischer Vorgänge abgebe.
Die Türkei erkennt das Massaker nicht als Völkermord an, auch die Zahl der Toten ist umstritten: Armenien und ein Großteil der internationalen Wissenschaft gehen von 1,5 Millionen Toten aus, die Türkei setzt die Zahl der Todesopfer mit bis zu 500.000 deutlich niedriger an.
1914 war das Osmanische Reich, aus dem die heutige Türkei hervorging, an der Seite von Deutschland und Österreich-Ungarn in den Ersten Weltkrieg eingetreten. Im April 1915 begann die nationalistische Regierung mit der Festnahme tausender Armenier, die sie als regierungsfeindlich einstufte und die ihrer Auffassung nach mit Russland zusammenarbeiteten.
Den Weg für die Massendeportationen ebnete das Osmanische Reich im Mai mit einem Spezialgesetz aus "Gründen der inneren Sicherheit". Die armenische Bevölkerung wurde zum "Binnenfeind" erklärt und gewaltsam in die Wüsten Mesopotamiens im heutigen Irak sowie nach Syrien und Libanon vertrieben.
Ein Großteil der Armenier kam aber bereits auf dem Weg dorthin oder in Gefangenenlagern ums Leben.
Die Armenier bezeichnen das Massaker als Völkermord. Das Europaparlament benutzt diese Bezeichnung seit 1987 ebenfalls. Als erstes großes europäisches Land verabschiedete Frankreich im Jahr 2001 ein Gesetz, das die Massaker an den Armeniern als Völkermord anerkennt, ohne allerdings die Türken dafür verantwortlich zu machen.
Der deutsche Bundestag verabschiedete 2005 eine Entschließung zum Gedenken an die Massaker. In der Resolution selbst ist nicht von Völkermord die Rede, wohl aber in der Antragsbegründung.
Jahrzehntelanger Streit
Auch die Türkei gibt mittlerweile den Tod von 300.000 bis 500.000 Menschen zu, sie verteidigt dies aber als Folge der Kämpfe wegen der Zusammenarbeit der Armenier mit den Russen. Außerdem sei eine ähnlich große Zahl muslimischer Türken bei Unruhen von armenischen Freischärlern getötet worden.
Die Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei waren wegen des Streits über Jahrzehnte eisig; im Oktober 2009 wurde ein Abkommen zur Annäherung beider Länder unterzeichnet.
Heute leben 3,2 Millionen Armenier in ihrem eigenen Staat. Mehr als vier Millionen weitere leben im Ausland. In der Türkei leben noch etwa 60.000 Armenier. In Frankreich lebt die größte armenische Gemeinschaft in Westeuropa: Auf 600.000 Mitglieder schätzen übereinstimmend die armenischen Organisationen in dem Land ihre Zahl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern