Europaskepsis : Ein hässliches, verzerrtes Echo
Bislang sind Rechtspopulisten kein Hindernis für den europäischen Einigungsprozess – das könnte sich ändern.
Laut, aber nicht wichtig – so wirken die Europaskeptiker und Rechtspopulisten bislang. Im Europaparlament stellen sie jedenfalls keine 10 Prozent der Abgeordneten. Neonationalisten und Antieuropäier, von den Wahren Finnen bis zur Lega Nord, spielen auf den europäischen Bühnen die Rolle der schrägen ProtestlerInnen, die immer dagegen sind.
Sie jonglieren zwar mitunter geschickt mit „Tabubrüchen“ und medialen Aufregungserwartungen. Doch ein echtes Hindernis für den europäischen Einigungsprozess sind sie nicht. Bis jetzt jedenfalls. Die Europaskeptiker sind gewissermaßen das hässliche, verzerrte Echo der EU. Die war von Anfang an ein Elitenprojekt, das keine politischen Leidenschaften zu fesseln vermochte und auch nicht wollte.
Im Mai werden die Rechtspopulisten die Schlagzeilen der Medien bestimmen. Sie werden bei den Wahlen zum EU Parlament so stark wie noch nie werden. Das ist fast sicher. In Frankreich liegt Marine Le Pens Front National bei 23 Prozent. Der FN könnte sogar stärkste Partei in Frankreich werden.
Zwar werden im Europaparlament Konservative und Sozialdemokraten die Mehrheit behalten. Wenn aber rechtsextreme Europaskeptiker in einem Kernstaat der EU stärkste Partei werden – dann ist das ein Symbol. Etwas gerät ins Rutschen: Populismus, Überfremdungsängste und Wohlstandschauvinismus werden stärker.
Eine Blaupause für diese Mixtur lieferten kürzlich die Schweizer, die per Volksentscheid mit knapper Mehrheit für eine Begrenzung des Ausländerzuzugs votierten. Treibende Kraft bei der Abstimmung war die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei des Milliardärs Christoph Blocher, die publizistisch von der Weltwoche und deren Chef Roger Köppel gestützt wird.
Das Blatt hetzt mitunter gegen Roma, plädiert für ein Minarettverbot oder eben gegen die Freizügigkeit für Arbeitnehmer. Das Gros der deutschen PolitikerInnen war entsetzt über das Nein aus der Schweiz zur Freizügigkeit. Allerdings zeigte eine Umfrage, dass die Abstimmung in Deutschland ähnlich ausgehen würde: Mehr als die Hälfte ist für eine Einschränkung der Freizügigkeit in der Europäischen Union.
Wie antworten proeuropäische Demokraten auf die rechtspopulistischen Provokationen im Anzug? Indem man einige Parolen übernimmt und so den Rechten das Wasser abgräbt? Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei, hat seine Partei kürzlich von diesem Weg sanft abgebracht.
Die Linkspartei hatte in ihrem Wahlprogramm die EU als militaristisch, neoliberal und undemokratisch bezeichnet – so schroff lehnen sonst nur Rechtspopulisten die EU ab. Gysi unterstützte mit Erfolg, dass diese drei Adjektive differenzierten Beschreibungen wichen. Die Frage, wie EU-kritisch und auch mal populistisch die Linkspartei sein will (oder mit Blick auf ihre Klientel sein muss), ist offen.
Mit dem Gespenst des Populismus schlägt sich auch die FDP herum. In fast allen EU-Staaten haben sich früher liberale Parteien in rechtspopulistische verwandelt. Deutschland schien dagegen gefeit – bis vor Kurzem die Alternative für Deutschland (AfD) entstand, die Euroskepsis mit antiliberalem Wertkonservativismus verknüpft und dafür sorgte, dass die FDP erstmals seit 1949 aus dem Bundestag flog.
Der Chef der FDP-Gruppe im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, votiert dafür, dass die FDP standhaft bei ihrem Pro-Euro-Kurs bleibt. Fragt sich, wie erfolgversprechend das ist, wenn das Bürgertum Sarrazin liest, anfällig für Euroskepsis und antiislamische Stammtischparolen ist.
Und es fragt sich, was die EU mit der Schweiz tun wird, die mit dem Nein zur Freizügigkeit fundamental gegen einen Wert der EU verstoßen hat. Achselzuckend zur Tagesordnung übergehen, reicht jedenfalls nicht.
STEFAN REINECKE
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