Eskalation zwischen Salafisten und Pro NRW: „Tod den Ungläubigen“
Steine, Flaschen, Blumenkübel, Mülltonnen, Messer und ein Gullygitter: Salafisten reagierten mit Gewalt auf eine Mohammed-Karikatur in Bonn.
BONN taz | Um 15.30 Uhr am Samstag ist es so weit. Der Redner der „Bürgerbewegung Pro NRW“ macht die Ansage, auf die alle gewartet haben: „Jetzt zeigen wir die Karikaturen!“ Die knapp 30 AktivistInnen der rechtsextremen nordrhein-westfälischen Splitterpartei wissen, was passieren wird – und die Vorfreude ist ihnen anzusehen.
Es ist genau genommen nur eine einzige Karikatur, die hochgehalten wird: die berühmt-berüchtigte Mohammed-Zeichnung von Kurt Westergaard, die zuerst im Jahr 2005 in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten veröffentlicht worden war. Zu sehen bekommt sie jetzt – dank der aus Mannschaftswagen bestehenden Sichtschranken – keiner der rund 600 GegendemonstrantInnen, die sich wenige hundert Meter weiter vor der Bonner König-Fahd-Akademie versammelt haben. Doch darauf kommt es nicht an. Das Stichwort reicht. Von einem Moment zum anderen beginnt der Steinhagel.
Mehrere hundert Salafisten werfen mit allem, was greifbar ist. Sie verwüsten Vorgärten, leeren Kiesbeete, schmeißen handballgroße Steine, Flaschen, Blumenkübel, Mülltonnen und sogar ein Gullygitter. In sicherer Entfernung, geschützt von den Polizisten, stehen die feixenden „Pro NRW“-AnhängerInnen. Sie rufen hämisch: „Abschieben, abschieben!“
Salafisten
Die salafistische Szene gilt als die am dynamischsten wachsende ultraorthodoxe Strömung innerhalb des Islams. In der BRD macht sie mit je nach Schätzung zwischen 3.000 und 5.000 Anhängern allerdings nur einen verschwindend geringen Anteil der muslimischen Bevölkerung aus.
Die Salafisten orientieren sich an einer stark idealisierten Frühzeit des Islams und predigen eine wortgetreue Ausrichtung am Koran und an den Überlieferungen des Propheten (Sunna). Sie unterteilen die Menschen strikt in Gläubige und Ungläubige, lehnen die Demokratie und alle „von Menschen gemachten“ Gesetze wie das Grundgesetz ab.
Die Zusammenstöße in Bonn bezeichnete NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) als „neue Dimension“. Bisher nahm der NRW-Verfassungsschutz an, dass die meisten Salafisten in Deutschland die Gewalt ablehnen. Der Salafismus gilt aber auch „als ein ideologischer Nährboden für den islamistischen Terrorismus“.
Pro NRW
Knapp 900 Mitglieder, der Großteil inaktiv, zählt die nordrhein-westfälische „Bürgerbewegung Pro NRW“. Da ihr für eine konventionelle Wahlkampagne das Geld fehlt, setzt die rechtsextreme Partei für den Urnengang am 13. Mai auf einen Wahlkampf, der „auf maximale Provokation ausgelegt“ ist und „bis an die Schmerzgrenze“ geht, wie es ihr Vorsitzender Markus Beisicht formuliert hat.
Deshalb tourt die bräunliche Truppe mit ihren antiislamischen und fremdenfeindlichen Parolen derzeit zu Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen quer durch Nordrhein-Westfalen.
Nach den Vorfällen vom Samstag hat NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) angekündigt, dass „Pro NRW“ dabei bis auf Weiteres die umstrittene Mohammed-Karikatur Westergaards nicht mehr zeigen darf. Ob dieses Verbot Bestand haben wird, ist jedoch fraglich. Ein erster Vorstoß Jägers zu Beginn der „Pro NRW“-Rundreise scheiterte vor den Verwaltungsgerichten. Bei der vergangenen Landtagswahl erhielt „Pro NRW“ 1,4 Prozent. (pab)
29 BeamtInnen werden verletzt, ein Polizist und eine Polizistin durch Messerstiche schwer. Etliche Polizeifahrzeuge werden beschädigt, Scheiben gehen zu Bruch. Auch der Einsatz von Pfefferspray bleibt wirkungslos. Es ist ein Ausbruch von Gewalt, wie ihn die schockierten Anwohner in dem beschaulichen Ortsteil Lannesdorf noch nicht erlebt haben.
Der Spuk ist vorbei
Fünfzehn Minuten geht es so. Dann kommt endlich die Durchsage, dass die Polizei die „Pro NRW“-Kundgebung abgebrochen hat. Der Spuk ist vorbei. Der Veranstalter, der Rat der Muslime in Bonn, hatte von einem friedlichen Protest gegen die „Freiheit statt Islam“-Wahlkampftour von „Pro NRW“ gesprochen. Doch wer in den Tagen zuvor die bundesweite Mobilisierung in den einschlägigen salafistischen Internetforen verfolgt hatte, wusste, dass das ein frommer Wunsch bleiben würde.
„Achtung: Keine SCHWESTERN etc.“ war dort zu lesen. „Kommt diesmal aber zahlreich und nicht wie in Solingen mit nur 80 Mann.“ Das bezog sich auf einen Vorfall am 1. Mai: Damals hatten die Islam-Hooligans am Rande eines „Pro NRW“-Auftritts eine Polizeisperre angegriffen und drei Beamte und einen Passanten verletzt.
Die Bonner Polizei wusste um die Gefahr. „Schon aus Gründen der Eigensicherung unserer eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten werden wir Gewalttätigkeiten im Ansatz unterbinden“, kündigte Polizeidirektor Dieter Weigel an.
Davon jedoch kann am Samstag keine Rede sein: Die Polizei wirkt schlecht vorbereitet. Als die ersten Beamten gegen 12 Uhr auftauchen, sind die Salafisten längst da – etliche vermummt, einige in Militärkampfwesten. Angeleitet von Rädelsführern, wie dem Ex-Gangsta-Rapper Deso Dogg, sammelt sich ein Teil der Militanten ungestört vor der König-Fahd-Akademie, ein anderer auf einer nahe gelegenen Kreuzung.
Sie putschen sich mit Parolen auf: „Tod den Ungläubigen“, „Sieg oder Tod“ und immer wieder „Allahu Akbar“. Etwas hilflos richtet die Polizei zwischen Akademie und Kreuzung eine Durchlassschleuse ein. Wer von der einen zur anderen Seite geht, wird von den BeamtInnen durchsucht. Wer schon auf seinem Platz ist, bleibt unbehelligt.
Verschwindend kleine Minderheit
Unter den in der Bundesrepublik lebenden Muslimen bildet die salafistische Szene eine verschwindend kleine Minderheit. Doch vor der von Saudi-Arabien finanzierten Schule sind die radikal-islamischen Fanatiker an diesem Tag in der überwältigenden Mehrheit.
Der Rat der Muslime hat schlecht mobilisiert, nicht muslimische Bonner BürgerInnen sind ohnehin an der Hand abzuzählen. Auch das kleine Häuflein der Grünen Jugend und der Linksjugend [’solid], die mit ihren Fähnchen wedeln, wirkt mehr als verloren angesichts der großen Präsenz der gewaltbereiten Salafisten.
Die Stimmung ist von Anfang an explosiv. Von der auf einem Lastwagen platzierten Bühne rufen zwar die Redner des Rates der Muslime unablässig dazu auf, sich nicht provozieren zu lassen. Doch die Appelle prallen an den meist jugendlichen Salafisten ab: „Halt’s Maul“, rufen sie zurück. Sie wollen kämpfen, nichts anderes, und sie bekommen ihren Kampf.
Als alles vorbei ist, kurz nach 16 Uhr, bietet die Umgebung der König-Fahd-Akademie ein Bild der Verwüstung. Bis zum späten Abend nimmt die Polizei 109 Personen vorläufig fest. Wegen der Messerattacke auf die beiden Beamten wird gegen einen 25-jährigen Tatverdächtigen aus Hessen wegen versuchter Tötung ermittelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen