Entscheidung des Landgerichts: Fall wie aus dem Psychiatrie-Lehrbuch

Orhan S., der seiner Frau im Wahn den Kopf abtrennte, wird in der Psychiatrie untergebracht.

Die Geschichte des Orhan S. ist ein Fall wie aus dem Lehrbuch für Psychiatrie, Kapitel Schizophrenie. Anschaulich schildert eine Sachverständige am Freitag vor dem Berliner Landgericht, wie diese Erkrankung des Gehirns bei dem am 24. Dezember geborenen Kurden zu der Wahnvorstellung führte, er sei Jesus – und seine Frau Sema der Teufel. Nach diesen Ausführungen weisen die Richter den 32-Jährigen in die forensische Psychiatrie ein. Dabei kam seine Tat im ersten Moment wie ein äußerst brutaler Fall häuslicher Gewalt daher: Ein Mann tötet die Mutter seiner sechs Kinder mit Herzstichen und wirft anschließend sowohl ihren Kopf als auch ihre Brust aus dem 5. Stock.

Doch Orhan S. war am 4. Juni dieses Jahres gegen 1 Uhr nachts weder fähig, das Unrecht seiner Tat zu erkennen, noch, sein Verhalten zu steuern. Seit Jahren schon leidet er an Schizophrenie, einer Art Denkstörung, wie die Psychiaterin erklärt. „Die Kranken merken, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, sie hören, sehen, fühlen anders.“ Wie jeder Mensch würden sie nach Ursachen suchen. „Dann kommt der Wahneinfall.“ Bei Orhan S. war es die Idee, er müsse den Teufel töten. Vermutlich wurde diese Vorstellung von dem Umstand geprägt, dass er sich in der arrangierten Ehe mit der zwei Jahre jüngeren Sema nicht wohlfühlte und lieber mit der Nachbarin Leila zusammengelebt hätte, mit der er zwei Kinder hat. Seine Frau gab sich sehr eifersüchtig, selbst als sich Leila von Orhan getrennt hatte. Immer wieder stritten sie, dabei hatte der Arzt, bei dem Orhan S. seit seinem ersten psychotischen Schub vor fünf Jahren in Behandlung war, den Frauen eingeschärft: „Wir dürfen ihm keinen Stress machen“, wie sich Leila K. erinnerte. Mehr als vier Jahre ließ sich Orhan von seinem Psychiater alle zwei Wochen eine Spritze geben, zusätzlich nahm er Tabletten, auf deren Einnahme Sema S. bestand. Er war ein vorbildlicher Patient, der jedoch nur wenig über seine Krankheit und noch weniger von der drohenden Gefahr wusste, als er sich Ende 2011 entschloss, seine Medikamente abzusetzen. Am Freitag vor seiner Tat telefonierte er mit Leila. Er schlug vor, die beiden gemeinsamen Kinder in die Schule zu bringen und dann Börek zu essen. „Hätte ich gewusst, dass er seine Medikamente nicht nimmt, hätte ich gemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimmt“, sagt Leila K. Zwar fand sie es komisch, dass Orhan S. wissen wollte, warum sein Vater eine Narbe auf der Brust hatte und wann seine geliebte Stiefmutter gestorben sei, sie maß dem aber keine Bedeutung bei.

Unterdessen hatte Sema S. ihren Mann mit dem Bus verfolgt. Als sie das Paar im Auto sitzen sah, riss sie die Tür auf, beschimpfte beide und zog tief verletzt ab. Orhan S. entschloss sich, die nächsten Tage bei seiner Schwester zu verbringen, bis sein ältester Sohn ihn dort drei Tage später aufspürte und zurückzukommen bat. So saß er dann wieder neben Sema S. im Wohnzimmer – bis die Stimmen ihm befahlen, sie zu töten.

„Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit dem, was Sie getan haben, zurechtkommen werden“, gibt der Richter dem Verurteilten am Freitag auf den Weg. Die Tat sei diesem wesensfremd, er habe der Frau „die Rolle des Bösen, des Dämons zugeschrieben“. Orhan S. wird, weil er schuldunfähig ist, nicht wegen Totschlags bestraft. Solange er wegen seiner Krankheit gefährlich sei, müsse die Allgemeinheit geschützt werden. Die Unterbringung kann lebenslang andauern. (mit dpa)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.