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Digitalpolitik im KoalitionsvertragÜberwachung, Datenschatzsuche und viel KI

Was hat Schwarz-rot vor in Sachen Digitales? Ein neues Ministerium – und einiges, was Bür­ger­recht­le­r:in­nen erschrecken lässt.

Mehr Überwachung – davon findet sich einiges im Koalitionsvertrag Foto: dpa/Susann Prautsch

Berlin taz | Nach der Vorstellung des Koalitionsvertrags von Union und SPD warnen Ak­teu­r:in­nen aus der Zivilgesellschaft vor digitalpolitischen Rückschritten – und deutlichen Verschlechterungen in Sachen Überwachung und Grundrechte.

„Der Koalitionsvertrag, den die schwarz-schwarz-rote Regierung abschließen will, strotzt so vor Überwachungsvorhaben, dass jeder Einzelne betroffen sein wird“, schreibt der Chaos Computer Club: „Ob man im Netz kommuniziert, Auto fährt oder Fotos mit Gesichtern ins Netz stellt: All das soll massenhaft aufgezeichnet und bei Bedarf ausgewertet werden.“ Dazu komme ein Paradigmenwechsel: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung solle „auf den Scheiterhaufen, Datennutzung und der ganze ‚KI‘-Quatsch sollen Priorität bekommen“.

Die künftige Koalition hat in ihrem Vertrag unter anderem folgendes vereinbart: Datennutzung solle vor Datenschutz gehen und so „Datenschätze gehoben“ werden. Diverse digitale Überwachungsmaßnahmen sind geplant, unter anderem mittels biometrischer Merkmale, und auch die gerichtlich schon mal gekippte Vorratsdatenspeicherung soll wieder kommen. Mit einer geplanten Speicherung der IP-Adressen über drei Monate gehen die Verhandlungsparteien dabei deutlich über das hinaus, was bislang in der Debatte war.

„Statt Verantwortung für eine grundrechtsbasierte Digitalpolitik zu übernehmen, die Menschen befähigt und demokratische Werte schützt, planen CDU/CSU und SPD die Einführung der anlasslosen und massenhaften Vorratsdatenspeicherung, die Ausweitung der Quellen-TKÜ (Telekommunikationsüberwachung - die Red.), automatisierte Datenanalysen und biometrische Abgleiche mit allen im Internet verfügbaren Daten“, kritisiert Svea Windwehr, Co-Vorsitzende des digitalpolitischen Vereins D64. Es sei ein Irrglaube, dass mehr Überwachung mehr Sicherheit bedeutet: „Der Koalitionsvertrag höhlt Grundrechte aus, schafft neue Sicherheitsrisiken und ist deshalb nicht verantwortungsvoll, sondern verantwortungslos.“

Künstliche Intelligenz von Landwirtschaft bis Justiz

Eines der Themen, das an vielen Stellen des Koalitionsvertrags auftaucht: Künstliche Intelligenz (KI). Sie soll die Verwaltung effizienter machen, in Landwirtschaft und Justiz eingesetzt werden und für Wirtschaftswachstum sorgen. Dabei will sich die künftige Regierung unter anderem auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass die Regeln für Unternehmen, die KI entwickeln und nutzen, geschwächt werden.

„Bei Bürokratieabbau und Regulierungsvereinfachungen, wie sie beispielsweise bei der Umsetzung der KI-Verordnung geplant sind, muss immer mitgedacht werden, dass dann auch Menschen- und Verbraucherrechte verloren gehen können“, sagt Pia Sombetzki von der NGO Algorithmwatch. Zudem dürfe bei KI der Ressourcenverbrauch, etwa was Strom und Rohstoffe für die Hardware angeht, nicht aus den Augen verloren werden.

Sombetzki warnt außerdem vor dem Einsatz von KI in der Verwaltung: „Was dabei schiefgehen kann, zeigten in den letzten Jahre zahlreiche Beispiele aus europäischen Nachbarländern.“ Besondere Schlagzeilen machte beispielsweise ein Fall aus den Niederlanden: Hier hatte eine algorithmenbasierte Entscheidung über Kindergeld einen Teil der Anspruchsberechtigen rassistisch diskriminiert. Die niederländische Regierung musste schließlich ein Bußgeld in Millionenhöhe zahlen.

Datenschutz schwächen

Grundsätzliche Änderungen plant die kommende Regierung im Bereich Datenschutz: Kleine und mittlere Unternehmen will sie von den Regeln der Datenschutz-Grundverordnung ausnehmen. Zur Einordnung: Als klein gelten Unternehmen laut einer EU-Definition, wenn sie weniger als 50 Beschäftigte und maximal 10 Millionen Euro Jahresumsatz haben. Mittlere Unternehmen haben weniger als 250 Beschäftigte und maximal 50 Millionen Euro Jahresumsatz.

Diese Pläne kritisiert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv): „Vereinfachungen und Deregulierung dürfen aber nicht zu Lasten des Datenschutzniveaus gehen“, heißt es in einer Analyse des Verbands zum Koalitionsvertrag. Die pauschale Ausklammerung kleiner und mittlerer Unternehmen sei nicht mit EU-Recht vereinbar.

Die Aufsicht über eventuelle Datenschutz-Verstöße soll zudem bei der Bundesbehörde zentralisiert werden. Das kritisiert Tom Jennissen vom Verein Digitale Gesellschaft: „Eine Zentralisierung der Datenschutzaufsicht würde zu ihrer massiven Schwächung führen – was auch so beabsichtigt sein dürfte.“

In Union und SPD dominiere die Erzählung vom Datenschutz als Bremse, sagt Jennissen. „Das ist so öde wie gefährlich, denn ohne einen effektiven Datenschutz sind wir nicht nur staatlichen Übergriffen, sondern den Zumutungen von Big Tech noch unmittelbarer ausgesetzt.“

Statt einer Schwächung brauche es konstruktive Ansätze, die Wirtschaft und Zivilgesellschaft beim Umgang mit sensiblen Daten unterstützen. Dass zudem geplant ist, Bür­ge­r:in­nen nicht mehr zustimmen zu lassen, wenn der Staat ihre Daten nutzt, sondern sie nur die Möglichkeit haben sollen, hinterher zu widersprechen, bezeichnet Jennissen als Entmündigung.

Lob kommt dagegen aus der Wirtschaft: „Der Koalitionsvertrag setzt wichtige Impulse für einen wirtschaftlichen Aufbruch und hebt das Potenzial von Startups als Innovationsmotoren unserer Wirtschaft hervor“, erklärt Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbands. Und der IT-Verband Bitkom attestiert dem Koalitionsvertrag „digitalpolitisch insgesamt ein hohes Ambitionsniveau“. Doch nun komme es darauf an, dass die Vorhaben auch finanziert würden – sonst bleibe es bei Absichtserklärungen.

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