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Die WahrheitWeizsäcker & Winnetou

Zum heutigen Staatsakt für den Ex-Bundespräsidenten: Richard von Weizsäcker als Wiedergänger des edlen Häuptlings der Apachen.

Die Blutsbrüder Weizsäcker und Winnetou. Bild: dpa, imago

„Er war ja an und für sich ernst, und nur in seltenen Fällen glitt einmal ein Lächeln über sein Gesicht. Laut lachen aber habe ich ihn niemals hören. Doch lag auf seinen männlich schönen Zügen trotz dieses Ernstes stets ein Ausdruck der Güte und des Wohlwollens, und sein dunkles Auge konnte bei Gelegenheit überaus freundlich blicken“, erzählte mir eines Tages Old Shatterhand von Winnetou, und da dachte ich: Den kennst du doch! Ist das nicht unser guter alter Richard von Weizsäcker?

„Sein Gesicht war fast noch edler als das seines Vaters“, heißt es bei Karl May. „Der Schnitt seines ernsten, männlich-schönen Gesichts könnte römisch genannt werden. Die Backenknochen standen kaum merklich vor; die Lippen des bartlosen Gesichtes waren voll und doch fein geschwungen, und die Hautfarbe zeigte ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.“

Tatsächlich: Aus den Augen des Apachenhäuptlings zwinkerte mir kein anderer als der in Ehren ergraute Altbundespräsident zu. Und hatte nicht der Schriftsteller Ralph Giordano im gleichen Stil „die Weizsäcker-Physiognomie“ zu preisen versucht, „jene unverwechselbare Konstruktion von Augen, Nase und Mund zueinander“, wie es schlichter auch Karl May nicht hätte ausdrücken können? Selbst der kritische Publizist Rolf Schneider war Weizsäckers Charme erlegen: „Er wirkte aufrecht, rosig, glatt und strahlte gewissermaßen von innen …“

Für die These, dass Winnetou als Weizsäcker wiedergeboren wurde, spricht auch ein Zitat aus dem Vorwort, das die Spitzenjournalisten Werner Filmer und Heribert Schwan ihrem Sammelband „Richard von Weizsäcker. Profile eines Mannes“ vorangestellt haben: „Seit wir ihn kennen, ist er der weißhaarige distinguierte Edelmann, von dem die Sekretärinnen der neunten Etage des Konrad-Adenauer-Hauses in Bonn schwärmen, dessen Charme, Witz und Vornehmheit sie rühmen, seine Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen. Einer, der stets zurückhaltend wirkt, aristokratisch imposant bleibt. An was erinnert nicht sein Name? Eigentlich an alles, was Deutsche mit Vaterland zu verbinden scheinen. Er hat das Zeug – wie vielleicht nur Papa Heuss vor ihm –, ihr Übervater zu werden: geistvoll, erhaben, selbstbewußt, ein schwäbisch-protestantischer Preuße.“ Und Winnetou?

Die Aura konzentrierter Arbeitslust

„Er stand stolz und hoch aufgerichtet vor mir, ein Krieger, der sich trotz seiner Jugend als König der Seinen fühlte! Ja, er war der Mann, das auszuführen, was er wollte, Ihm, ihm wäre es sicher gelungen, die Krieger aller roten Stämme um sich zu versammeln“ – so wie es Weizsäcker gelingen sollte, sämtliche Sekretärinnen der neunten Etage des Konrad-Adenauer-Hauses auf sich einzuschwören.

„Ich bitte um ein Glas Bier, deutsches Bier!“, ruft Winnetou aus, als er in „Winnetou II“ einen Saloon betritt. „ ’Well‘, sagte er dann zum Wirt. ’Euer Bier ist gut. Der große Manitou der weißen Männer hat sie viele Künste gelehrt, und das Bierbrauen ist nicht die geringste darunter.‘“ Und Weizsäcker?

„Als wir nach ’Fausts Verdammnis‘ im Malersaal der Oper die Premiere feierten, stand er – gleichgültig gegenüber protokollarischen Pflichten – über eine Stunde lang im Kreis heftig mit ihm diskutierender Bühnenarbeiter, mithaltend nicht nur im Redegefecht, sondern auch im Biertrinken“, berichtet der Opernregisseur Götz Friedrich in dem bereits erwähnten Werk der Herausgeber Filmer und Schwan, die Weizsäcker ihrerseits den Respekt nicht versagt haben: „Ihn umgibt die Aura konzentrierter Arbeitslust ebenso wie der Zauber weltmännischer Gelassenheit. Kaum etwas an ihm wirkt abgeblättert oder unregelmäßig verputzt. Er lächelt, als habe er das frustrierende Stadium deutschen Parteiengezänks längst hinter sich gelassen: verständnisvoll, würdig.“

So wie ja auch Winnetou über Winnetou sagte, er, Winnetou, kenne „keinen einzelnen Stamm, dessen Häuptling er ist, sondern er ist der oberste Häuptling aller Apachen“. In exakt dem gleichen Tonfall hat der Bischof Eduard Lohse den Präsidenten Weizsäcker gefeiert: „Als Europäer ist er Deutscher und als Deutscher Europäer, weil das nun einmal die in sein und unser Leben hineingelegte Aufgabe ist.“

„Eigentlicher Führer der Truppe“

Ei warum, ei darum, ei grad weil das nun einmal die in sein und unser Leben hineingelegte Aufgabe war. Merke: „Ein edles Reis gibt dem alten Stamm neuen Wert und bessere Säfte“ (Old Shatterhand über Winnetou). „Der Philosoph als König – unser Grundgesetz hat den Bundespräsidenten wahrscheinlich so gewollt“ (Elisabeth Noelle-Neumann über Richard von Weizsäcker). Denn auch als Denker sind Winnetou und Weizsäcker einander nichts schuldig geblieben:

„Na, zunächst wird man ein Deutscher, bin ich ein Deutscher geworden, weil ich in einer deutschen Familie geboren bin und weil das Schicksal es mir nie auferlegt hat, woanders zu leben. Meine gesamten Erfahrungen, meine Ausbildung, mein geistiger Horizont, das alles ist in Deutschland geprägt und verwurzelt mich hier in einem durchaus heimatlichen Sinn“ (Winnetou). „Das Herz der Prärie ist groß und weit. Es umfaßt das Leben und den Tod. Und wer seinen Puls gefühlt hat, der darf wohl fortgehen, aber kommt immer wieder zurück, Howgh!“ (Weizsäcker) – doch es bleibt die bange Frage: Hält Weizsäcker auch im soldatischen Vergleich mit jenem Manne stand, der uns „als der größte, tapferste und gerechteste Krieger aller Savannen“ bekannt ist?

An der Ostfront versah Weizsäcker im Zweiten Weltkrieg als Regimentsadjutant seinen Dienst. „Bei schwachen Kommandeuren war der Regimentsadjutant eigentlicher Führer der Truppe“, versichern Filmer und Schwan treuherzig, um die militärische Verdienste ihres Helden herauszustreichen. „Normalerweise werden nur aktive Offiziere und keine Reserveoffiziere für eine so herausragende Position innerhalb eines Regiments herangezogen.“ Da kann man doch mal sehen.

Der Oberleutnant Max von Arnim, der 1943 „fast täglich“ mit Weizsäcker telefonierte, berichtet, dass „die ruhigen, überlegten und klaren Informationen des Regimentsadjutanten rasch das Selbstbewußtsein des Regiments“ gestärkt hätten, „so daß in kurzer Zeit die Truppe das Gefühl hatte, dem Feinde überlegen zu sein; ein Gefühl, das in der Praxis durch eine Reihe von gut vorbereiteten, erfolgreichen Stoßtruppunternehmen untermauert wurde.“ Herzlichen Glückwunsch.

Und auch als Christ stand Weizsäcker Winnetou in nichts nach. Für Weizsäcker, vermerkte sein Parteifreund Bernhard Vogel, sei es ein Gebot des Politikers, „daß er in der Anbindung an religiös verankerte Überzeugungen das Fundament seines geistig-politischen Bewußtseins gewinnen kann“. Und der sterbende Winnetou bekannte: „Scharlieh, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Leb wohl!“

Bis zur nächsten Reinkarnation des rosigen Apachenhäuptlings dürften wohl noch mindestens neun Monate ins Land gehen. Fassen wir uns in Geduld.

Aktualisierter Nachdruck eines Artikels aus „Kowalski“ 2/1990

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11 Kommentare

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  • der Richie und Karl May/Winnetou sind deutsch, es gibt keinen West oder Ostdeutschen Winnetou und Richie ist eben auch Gesamtdeutsch, vergessen wir einfach diese unselige Trennung und die Mauer, für die beiden gabs keine Mauer!

  • PS ich habe noch eine Familienbibel meiner Frau, c bis 1790-tja und?

  • PS Winnetou . wer las Winnetou nicht?, aber er ist ein bischen in Vergessenheit geraten, gerade so, wie alle Grössen dieser Welt, ein Fussnote in der Geschichte !

    • @Georg Schmidt:

      Ich, Herr Schmidt. Ich las Winnetou noch nie. Und ich haben ihn auch nicht vermisst. Im Gegenteil. "Arme Wessi-Knaben!", denke ich manchmal. "Die Geschichte versteht wohl doch etwas von Ironie." Da ist ihnen doch tatsächlich anno 1901 im bayerischen München eine leibhaftige reiselustige Schriftstellerin namens Welskopf-Henrich geboren, und trotzdem müssen sie den 1912 im sächsischen Radebeul zur Welt gekommenen Aufschneider Karl May lesen. Und warum das? Weil die Trägerin des ehrenvollen Titels "Lakota Tashina" die Frechheit hatte, nach dem Krieg im Osten zu bleiben und der Osten "Bäh!" gewesen ist während des Kalten Krieges. Ein einziges großes Tabu. Nichts also, worauf ein tapferer Krieger vom Stamme der reinblütigen Weißhäute auch nur ein halbes Auge hätte werfen dürfen... - äh: wollen.

       

      Wie man hier unschwer erkennt, können solche harten Schläge in jugendliche Magengruben nicht nur komplette Lebensläufe ruinieren, sondern auch ganze Weltbilder!

      • @mowgli:

        Da sag noch einer, Frauen wären multitaskingfähiger als Männer! Karl May ist natürlich 1912 gestorben, nicht geboren. Liselotte Welskopf-Henrich war damals gerade 11 Jahre alt.

      • @mowgli:

        Tja, jeder kann lesen, was er will, ich komme übrigens als Glatz, Breslau, arme Ossi Junge, jaja, naja, und was lesen Sie.? das Kapital, Errungenschaften der sozialitischen Jugendbewegung, lachen musste ich mal , es war 1977, das war bei dem DDR Erntedankfest, sag ich, die FDJ aufmaschiert und Hohnecker, in Kurzen Hosen, der Mann sah zum Schreien aus, bekam die FDJ Fahne oder sowas, da bleib ich lieber bei Karl May, wer die Bücher geschriebn hat, ob schwarz oder braun, ob Sachse oder Fischkopp ist mir egal, ich lese ein Buch, weil es mir gefällt, nicht wegen des Autors und seinem Lebenslauf!

  • ". . .Kaum etwas an ihm wirkt abgeblättert oder unregelmäßig verputzt.. . ."

     

    Georg Orwell hatte dafür den feine Ausdruck - pneumatisch - in petto -

    Ruhrgebiet und Rheinland glänzen dafür mit -

    Fellfresse und Sackjesecht.

     

    Na und Juttchen erst -

    "Wäre der Krieg in der bekannten Form ohne adligen Beitrag überhaupt führbar gewesen?"

    (Jutta Ditfurth - Der Baron, die Juden und die Nazis - Reise in eine Familiengeschichte)

  • Deutschlands Geld- und Machtelite. Das Reich zerfiel, die Reichen blieben.

     

    Von Bernt Engelmann (1972): "Was den Bundestagsabgeordneten Richard Freiherrn von Weizsäcker betrifft, der dem Bundesvorstand der CDU angehört, so begegneten wir seiner Familie bereits am Hof des Königs von Württemberg. An dieser Stelle verdient Erwähnung, dass Baron Weizsäcker nicht nur Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags war, sondern auch geschäftsführender Gesellschafter der Firma C. H. Boehringer, Ingelheim, eines Großunternehmens der pharmazeutischen Industrie, sowie persönlich haftender Gesellschafter der Bankhäuser Waldthausen & Co., Essen, und Waldthausen & Co., Düsseldorf. Hierzu ist zu bemerken, dass Baron Richard von Weizsäcker mit Marianne geborener von Kretschmann verheiratet ist, deren Mutter, Asta von Waldthausen, einer der reichsten Familien der alten rheinischen Geld- und Machtelite entstammt. Und wer Zweifel haben sollte, dass von den Waldthausenschen Millionen der Zeit vor 1914 genug übriggeblieben und als Mitgift an den Baron Weizsäcker gekommen sind, damit man auch ihn der alten Geld- und Machtelite zurechnen kann, der sei darauf hingewiesen, dass Freiherr Richard von Weizsäcker dem Grubenvorstand der im Allianz-Haus zu Essen domizilierenden Gewerkschaft Walter angehört, die mit rund 500 Beschäftigten Spezialtiefbau, Bohrungen und Schachtbau betreibt, ferner dem Aufsichtsrat der Allianz-Lebensversicherungs AG." [dtv, 1972]

    (Teil 2 von 2)

  • mein Gott, was soll das, jetzt haben wir Deutschen eine Lichtgestalt und schon wird rumgemault, also lasst man den Jungen und er hat ja nix mehr, da hilft keine Staatsakt, wie sagt FJS, mir ist egal was auf meinen Grabstein steht, ob MP aD oder Kanzler aD oder was auch immer, Asche zu Asche Staub zu Staub!

    Ber nix geht verloren so sagte mal unsere Biologie lehrer, nix geht verloren, vielleicht stopft nun der Cäsar ein Loch in der Antarktis !

  • Die Weizsäckers: 1906 wurde "Außen-, Kultus- und Verkehrsminister Karl Freiherr von Weizsäcker Premierminister und blieb in diesem Amt bis zum 9. November 1918. (Dessen Sohn Ernst, 1882 bis 1951, verheiratet mit der Tochter Marianne des württembergischen Generals der Infanterie Friedrich von Graevenitz aus der Sippe der 'Landverderberin', schlug die Diplomatenlaufbahn ein und wurde 1938 Staatssekretär im Auswärtigen Amt unter Joachim von Ribbentrop, 1947 wegen Beteiligung an Kriegsverbrechen zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und 1950 vorzeitig aus der Haft entlassen. Von seinen Söhnen ist der älteste, Carl Friedrich, als Physiker bekannt geworden, der während des Zweiten Weltkrieges an jenem Atomenergie-Projekt mitbastelte, das auf Weisung von Hitlers Rüstungsminister Albert Speer im Sommer 1942 zugunsten der Raketenforschung zurückgestellt werden musste; ein jüngerer Sohn, Richard Freiherr von Weizsäcker, war bis 1970 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags, hatte führende Stellungen in der bundesdeutschen Wirtschaft inne, betätigte sich auch als Bankier, und zwar als persönlich haftender Gesellschafter des zur v. Finck-Gruppe gehörenden Bankhauses Waldthausen & Co, und ist seit 1969 Mitglied des Bundestags und des CDU-Präsidiums, wo er als enger Berater Rainer Barzels fungiert.)" Vgl. Bernt Engelmann: Das Reich zerfiel, die Reichen blieben. Deutschlands Geld- und Machtelite. [dtv, 1972]

    (Teil 1 von 2)

  • Vor dem Hintergrund der nur noch peinlichen Lobhudelei unseres Mainstreams, Chapeau TAZ.