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Die Folgen des Pechstein-UrteilsBeben für die Sportsgerichtbarkeit

Der Schiedszwang zwischen Sportlern und ihren Verbänden ist nicht rechtens, entscheidet ein Gericht. Schadensersatz für Claudia Pechstein gibt es deswegen trotzdem nicht.

Kriegt nichts: Claudia Pechstein, hier beim Prozessauftakt im September. Bild: dpa

MÜNCHEN/BERLIN dpa | Claudia Pechstein erhält keinen Cent Schadenersatz, könnte aber ein Beben für die Sportgerichtsbarkeit ausgelöst haben. Das Landgericht München I wies zwar die Klage der Berliner Eisschnelllauf-Olympiasiegerin gegen den Eislauf-Weltverband ISU und die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft DESG ab, stellte mit seinem Urteil aber das gesamte System der Sportgerichtsbarkeit in Deutschland infrage. Die 37. Kammer des Zivilgerichts erklärte am Mittwoch die geschlossenen Schiedsvereinbarungen Pechsteins mit den Verbänden für unwirksam.

Die Vereinbarungen wurden seitens der Klägerin nicht freiwillig getroffen, teilte das Gericht mit. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Schiedsvereinbarungen habe ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen der Klägerin und den Beklagten bestanden. „Die Klägerin hatte bei der Unterzeichnung der Schiedsvereinbarungen keine Wahl“, hieß es in dem Urteil.

Ohne die Unterzeichnung wäre Pechstein „nicht zu Wettkämpfen zugelassen worden und dadurch in ihrer Berufsausübung behindert gewesen“. Jeder Sportler verpflichtet sich per Unterschrift unter die Athletenvereinbarung, bei Rechtsstreitigkeiten nicht vor ein ordentliches Gericht, sondern nur vor ein Sportgericht zu ziehen.

„Dieses Urteil ist ein Sieg für alle Sportler in Deutschland, weil nun der Schiedszwang abgeschafft werden muss“, sagte Pechstein-Anwalt Thomas Summerer nach der Urteilsverkündung. „Das heißt, Athleten können künftig nicht länger gezwungen werden, sich der Sportgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Das ist eine Revolution für die gesamte Sportwelt.“ Künftig könne jeder Athlet frei entscheiden, ob er den Weg der Sportgerichtsbarkeit oder über ein ordentliches Gericht in Deutschland wähle. Es gehe nicht um die Abschaffung des CAS, „sondern nur um Reformen“, erklärte Summerer.

Pechstein selbst wollte sich nicht äußern. Sie hatte eine Entschädigung von rund 4 Millionen Euro gefordert. Sie war zwischen 2009 bis 2011 wegen auffälliger Blutwerte vom Weltverband gesperrt worden. Die 42-Jährige bestreitet Doping und macht eine vererbte Anomalie für ihre Blutwerte verantwortlich.

Berufung in der Schadensersatzklage

Dass das Gericht ihrer Schadenersatzklage nicht folgte und das Urteil des Sportgerichtshofes CAS als rechtmäßig ansah, konnte Summerer verkraften. Das Gericht hatte allerdings keine inhaltliche Prüfung des CAS-Urteils von 2009 vorgenommen. „Für die Schadenersatzfrage gibt es eine zweite Instanz vor dem Oberlandesgericht. Wir gehen dort in Berufung. Aber jetzt ist klar, dass ein Zivilgericht für diesen Fall zuständig ist und das war besonders wichtig für uns“, erklärte der Summerer. Der Münchner Anwalt hatte vor knapp 18 Jahren für Sprinterin Katrin Krabbe 1,3 Millionen D-Mark vom Leichtathletik-Weltverband IAAF erstritten.

Ein „kleines Beben in der Sportgerichtsbarkeit“ ist das Urteil für DESG-Anwalt Marius Breucker. Jedoch verwies der Stuttgarter Rechtsanwalt darauf, dass nicht geklärt sei, ob die Entscheidung auf deutschem oder Schweizer Recht basiere. Der Sportgerichtshof und viele Fachverbänden haben ihren Sitz in der Schweiz. „Wenn das Gericht auch die Schweizer Rechtsordnung einbezogen hat, wären die Auswirkungen der Entscheidung noch viel größer“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Natürlich müssten sich Schweizer Gerichte nicht an die Entscheidungen eines deutschen Gerichts gebunden fühlen.

ISU-Anwalt Dirk-Reiner Martens stellte fest: „Der Sportgerichtshof CAS wurde massiv angegriffen. Er muss nun prüfen, ob daraus Konsequenzen zu ziehen sind“, sagte der bekannte CAS-Richter vor dem Gerichtssaal. Letztlich gebe es keine Alternative zur Sportgerichtsbarkeit. „Da muss man muss sich Gedanken drüber machen, ob man diesen Ausspruch des Gerichtes zum Anlass nimmt, es anders zu machen“, räumte Martens ein.

München, Colorado, Peking

Andererseits drohe dann ein Wirrwarr, warnte er. „Dieser (Sportler) geht zum Münchner Gericht, dieser nach Colorado und dieser nach Peking. Und dann wird es vielleicht anerkannt, was die jeweiligen Instanzen gesprochen haben, oder nicht“, erklärte er. Ein solches rechtliches Durcheinander sei „auch für die betroffenen Athleten schlichtweg nicht hinnehmbar“.

Der Deutsche Olympischen Sportbund DOSB stellte in einem Statement klar, dass sich die Aussagen des Gerichtes nicht auf die Athletenvereinbarung Pechsteins mit dem DOSB, sondern mit dem nationalen und internationalen Fachverband beziehen. Bezüglich der generellen Gültigkeit von Athletenvereinbarungen gebe es unterschiedliche Auffassungen. „Zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in Dopingfragen besteht keine Alternative“, sagte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper.

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