Designierter Digitalkommissar in Berlin: Oettingers „neues Ding“
Kurz vor seiner Anhörung als EU-Digitalkommissar plaudert Günther Oettinger in Berlin – und zwar vor allem über Energiepolitik.
Heut früh sei alles Drunter und Drüber gegangen, erzählt der junge Mann, der sich, kurz bevor Oettinger kommt, noch hektisch an einen der gedeckten Tische setzt. Jeans, das Sakko lässig über dem Hemd. Ausnahmsweise habe er heute mal die Öffentlichen genommen, „aber das ist ja immer so ein Chaos.“
„Wie sind Sie denn sonst unterwegs?“, fragt sein Tischnachbar. „Taxi. Manchmal auch Drive Now.“ Der Nachbar nickt verständig und widmet sich wieder Brötchen und FAZ.
Der Capital Club, ein privater Buisinessclub am Berliner Gendarmenmarkt hat zum Frühstück mit Günther Oettinger geladen. Am Abend soll er in Brüssel dem Europaparlament beweisen, dass er der Richtige fürs Digitale ist. Im Capital Club will er erstmal beweisen, dass er der Richtige fürs Energetische war.
Gekommen sind ein paar Journalisten, vor allem aber Clubmitglieder, Unternehmer und Verbandsvorsitzende, Männer mit grauen Haaren und dunklen Anzügen. Es gibt Lachs und Käse, frisch gepressten Orangensaft und Croissants.
Ein Clubmitglied begrüßt Oettinger. „Ohne Sie wären die Energieverhandlungen mit Russland zerfleddert. Jetzt, dank Ihnen, sind Sie aus einem Guss.“ Nun aber, überraschend das neue Ressort. Vielleicht möchte er ja erzählen, wie das so ist, wenn man sich schnell in ein neues Thema einarbeiten muss? Möchte er nicht. Er spricht erstmal über sein altes Thema.
Energie von gestern
Deutschland, findet er, sei in Sachen Energie rückständig: Atomausstieg, Kommunen, die ihre Stromnetze zurückkaufen, eine veraltete Netzinfrastruktur – alles von gestern. Die Zukunft liege in der Europäisierung der Energiepolitik. „Raus aus dem deutschen Romantiktal.“ Früher, als Oma auf dem Hof Strümpfe gestrickt und der Vater das Feld bestellt habe, sei man autark gewesen. Aber in einer hochspezialisierten Gesellschaft sei Autarkie im Energiebetrieb nicht zu verantworten.
Grenzüberschreitender Auf- und Ausbau der Netze, Europäisierung der Politik, Stärkungen des europäischen Binnenmarktes – so in etwa schwebt ihm auch seine Zukunft als Digitalkommissar vor, auf die er am Ende doch noch zu sprechen kommt: Datenschutz, auch hier sei Deutschland hintendran. Wie er dafür sorgen will, dass die deutschen Innen- und Justizministerien sich in ihrem Gezerre um die Datenschutzreform endlich einigen, darüber verliert er allerdings kein Wort. Nur so viel: Auch wir Verbraucher sind gefragt!
„Wenn ich sehe, was mein Sohn ständig für einen Mist durch Whatsapp jagt – das interessiert doch keine Sau.“ Deshalb: Bitte liebe Eltern, erzieht eure Kinder zu mehr Zurückhaltung! Wenn Promis Nacktselfies von sich ins Netz stellen, frage er sich doch, wie doof die eigentlich sind.
Datenschutz von gestern
Berechtigte Frage, allerdings fragt sich die Zuhörerin an dieser Stelle, wie doof der Oettinger eigentlich ist. Hatte er nicht gerade noch gesagt, dass Rückzug in die Autarkie kein Thema sein kann? Wieso sollte genau das, nämlich Daten- und Kommunikationssparsamkeit dann die Antwort auf Hackerangriffe, Datenlecks, spionierende Geheimdienste und Unternehmen sein? Apropos Unternehmen: Größten Respekt habe er vor Google. Aber der europäische Binnenmarkt müsse stärker beschränkend eingreifen. Applaus.
Zum Abschied gibt es Lobhudelei vom Clubredner: Er habe größtes Vertrauen, dass Oettinger sich fleißig ins neue Thema einarbeiten werde. In der Industrie sei das „neue Ding“ ja längst umgesetzt, in der Gesellschaft aber noch nicht angekommen.
Oettinger wird viel zu tun haben in der nächsten Zeit.
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