Der Sonntaz-Streit: Soll sich Kirche stärker einmischen?
Kritiker sehen eine Entpolitisierung der Kirchen. Sie seien zu sehr mit sich selbst beschäftigt und zu wenig mit Politik. Ein sonntaz-Streit zum Kirchentag.
Wenn der Deutsche Evangelische Kirchentag in Hamburg am 1. Mai eröffnet wird, wird wieder ein riesiger Besucheransturm erwartet. Die Veranstalter rechnen mit 100.000 Dauerteilnehmern und dreimal so vielen Besuchern bei der Eröffnungsfeier. Das ist verkehrslogistisch ein Problem, bringt die Kirche aber auch mal wieder als Akteur im großen Stil ins Bewusstsein.
Die wichtigsten Nachrichtensendungen werden berichten, Zeitungen produzieren Sonderseiten – wie auch die taz –, die Kanzlerin wird kommen, der Bundespräsident ein Grußwort sprechen, fünf Tage wird diskutiert und gedacht, gesungen, gebetet und gefeiert. Statements werden formuliert und Forderungen erhoben, Resolutionen verabschiedet, große Fragen gestellt. Danach tritt dann oft Ernüchterung ein, zumindest bei vielen von denen, die sich einer der beiden großen christlichen Kirchen zugehörig fühlen. Und das sind in Deutschland immer noch knapp 50 Millionen Menschen.
Denn abseits vom Kirchentag und seiner Öffentlichkeit gilt: Wo ist Kirche? Warum sagt sie so wenig? Wann und wo mischt sie sich noch ein bei den drängenden Themen?
Kirche und Friedensbewegung
Kirche sei unpolitisch geworden, lautet einer der meist erhobenen Vorwürfe. Vorbei die Zeiten, in denen sich Kirchenleute quer stellten bei politischen, gesellschaftlichen Debatten. Die Kirchen und ihre Bedeutung für die Friedensbewegung, das Schlagwort von der „Bewahrung der Schöpfung“ als Keim einer kirchlichen Umweltbewegung, die Rolle der Kirche für die DDR-Opposition – alles lange her.
Die Antworten auf den sonntaz-Streit lesen Sie am 27./28. April in der neuen taz.am wochenende. Mit großen Reportagen, spannenden Geschichten und den entscheidenden kleinen Nebensachen. Mit dem, was aus der Woche bleibt und dem, was in der nächsten kommt. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Und heute? Scheinen sich die Kirchen mehr und mehr in die Innerlichkeit zurückgezogen zu haben. Spiritualität steht im Vordergrund, Kirchenobere wirken oft aalglatt und nichtssagend, alleine die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann ist in Erinnerung geblieben mit ihrem Satz „Nichts ist gut in Afghanistan“, mit dem sie sich gegen die offiziell verbreitete Haltung der Politik wandte, die die Entwicklungen dort so positiv zeichnen wollte. Andererseits: Käßmann sagte zu vielen Themen etwas, das schwächte dann auch die Bedeutung ihrer Worte ein wenig. Nach Käßmann sind die Stimmen leiser und vorsichtiger geworden.
Auch Kirchentage wurden immer wieder als unpolitisch kritisiert. Ohne Impulse für die Probleme im Hier und Jetzt, fromm und fröhlich, aber eben nicht schroff und kritisch. Die Kritik wurde dann aber auch zurückgewiesen – mit Verweis auf die Gesellschaft: Diskussionen in Kirchen würden nun mal weitgehend bestimmt durch das Klima ganz allgemein. Und da müsse man nüchtern feststellen, dass politische Themen einfach nicht mehr so zögen.
Religion fürs Seelenheil
In genau diese Richtung argumentiert der evangelische Theologieprofessor Christoph Markschies von der Humboldt-Universität Berlin: Politik solle runter von der Kanzel und zwar komplett. Predigten über Reizthemen seien wenig sinnvoll. Ein Plädoyer für ein spirituelles „Schuster bleib bei Deinen Leisten“, denn Religion sei für das Seelenheil der Menschen verantwortlich.
Dabei gäbe es Themen und Anlässe genug: die Finanzkrise die von den Kirchen gerne unter dem Gesichtspunkt schwindender Kirchensteuern diskutiert wird -, das Auseinanderklaffen von Arm und Reich, Ausbeutung der Natur, Waffengeschäfte der Bundesregierung, die Überforderung von Schülern, die Gefahr, die von Brandrednern wie Thilo Sarrazin für das Miteinander in einer pluralen Gesellschaft ausgeht.
Muss die Kirche politischer werden, radikaler, schroffer? Oder ist das heute in Zeiten der Vielstimmigkeit gar nicht mehr möglich? Ist das Einmischen gar nicht die Aufgabe der Kirche, soll sie sich auf sich besinnen? Wie immer dürfen Sie bei uns mitreden.
Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der sonntaz vom 27./28. April. Der Kommentar sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Oder schicken Sie uns bis Mittwoch, 24. April, eine Mail an: streit@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken