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Debatte über Umgang mit GeflüchtetenKultur des Willkommens

Verpflichtende Menschlichkeit für die einen, politisch aufgeladenes Schimpfwort für die anderen. Zur Geschichte des Reizbegriffs Willkommenskultur.

Freiwillige Helferinnen am Münchner Hauptbahnhof, 12.9.2015 Foto: Nicolas Armer/dpa/picture alliance

D er Begriff „Willkommenskultur“ ist mit der Debatte über die hiesige Flüchtlingspolitik eng verbunden. Für die einen steht er für weltoffenen Umgang mit Immigranten, den anderen dient er als Schimpfwort in ihrem Feldzug gegen die angeblich drohende Zersetzung der Nation. Heute ist jedoch vergessen, dass die Debatte über Willkommenskultur bereits ein ganzes Jahrzehnt vor der sogenannten Flüchtlingskrise begann.

Zwiespältig war die unter der von Klaus Wowereit geführten Rot-Rot-Koalition (SPD/PDS) im Berliner Senat aufkommende Diskussion von Anfang an. Als 2004 die damalige Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) erklärte, man wolle „eine neue Willkommenskultur entwickeln“, stellte Innensenator Erhart Körting (SPD) sogleich klar, dass es auch künftig Abschiebungen geben werde: „Es werden nicht alle bleiben können.“

Damals ging es vor allem um die schon länger in Berlin „geduldeten“ palästinensischen und bosnischen Asylsuchenden. Als Orientierungshilfe gab Berlins Beauftragter für Integration und Migration, Günter Piening, 2005 die vermutlich erste amtliche vielsprachige Broschüre für Zuwanderer heraus; als „Willkommenspaket“. Der neue Kurs erntete nicht nur Lob. Die oppositionellen Grünen kritisierten zunächst, dass das Konzept „viele schöne Worte, aber wenig Konkretes zur Umsetzung“ enthalte. Als allerdings eine Schule kurz darauf ihre Schüler anhielt, nur Deutsch zu sprechen, machte der grüne Abgeordnete Özcan Mutlu den neuen Terminus kurzerhand zum Kampfbegriff: Diese Maßnahme zeuge nicht von einer „Willkommenskultur“.

Der Berliner Sprachstreit erreichte 2006 auch die überregionale Presse und schnell wurde der Begriff Willkommenskultur zum geflügelten Schlagwort. Um dagegen zu wettern, schlachteten rechtskonservative Kreise den „Ehrenmord“ an der Berliner Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü aus und schürten antimuslimische Ressentiments. Aus der allgemeinen Debatte wurde auch eine über das eigene Verhältnis zu Muslimen, das schon damals gespalten war: So etwa forderte im Februar 2007 der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger eine „neue Willkommenskultur gegenüber muslimischen Migranten“, lehnte aber den Bau einer Moschee in Pankow ab.

Bio Joseph Croitoru

Joseph Croitoru, geboren 1960 in Haifa, ist Historiker und freier Journalist. Zuletzt erschien von ihm zum Islambild der deutschen Aufklärung das Buch „Die Deutschen und der Orient“ (Hanser 2018).

In den folgenden Jahren wurde der Ruf nach einer „neuen Willkommenskultur“ immer lauter. Aber auch der Widerstand dagegen wuchs: Alarmistisch wurde vor einem drohenden Missbrauch des Rechtsstaats durch muslimische Migranten gewarnt. Die etablierten demokratischen Parteien machten sich als Reaktion darauf 2013 allesamt in ihren Wahlprogrammen für die Willkommenskultur stark. Die CDU warb mit dem Slogan „Vielfalt bereichert – Willkommenskultur schaffen“, trat aber entschieden der „Abschottung in Parallelgesellschaften und islamischen Sondergerichten außerhalb unserer Rechtsordnung“ entgegen. Die SPD forderte eine Willkommenskultur gekoppelt an eine „Teilhabestruktur“ und plädierte dafür, die „Ausländerbehörden zu Willkommensbehörden“ weiterzuentwickeln.

Aus Schulungen für Gemeindemitarbeiter wurde bald ein eigener Wirtschaftszweig

Letztere waren gewissermaßen schon im Entstehen begriffen, als die AfD 2014 in ihrem Wahlkampf in Sachsen gegen „Kampagnen für Weltoffenheit oder gar Antidiskriminierungsschulungen“ mobilisierte und auf Anhieb 9,7 Prozent der Stimmen gewann. Im Dezember 2014 gehörten in Dresden bei Demonstrationen von Pegida-Anhängern und -Gegnern die Rufe für und wider die Willkommenskultur schon fest zur Straßenkampfrhetorik.

Dass das warmherzige Willkommenheißen der zahlreichen Flüchtlinge im Sommer 2015 auf deutschen Bahnhöfen nur eine weitere Etappe in einem länger schwelenden Konflikt war, ist längst vergessen. Ebenso, dass für die Befürworter damals die Schlacht keineswegs gewonnen schien. So sah sich der Münchner Stadtrat schon am 9. September veranlasst, die Resolution „Willkommenskultur in München“ zu verabschieden. Dass diesem Beispiel etliche Stadt- und Gemeinderäte sowie Parteiortsverbände folgten, war kein Zufall, unterstützten damals die Gemeindeverwaltungen längst die zahlreichen Helferkreise auf vielfältige Weise.

Entsprechend wuchs mit der Zeit auch das Angebot an „Willkommenskultur-Schulungen“ für Gemeindemitarbeiter, woraus inzwischen ein eigener Wirtschaftszweig geworden ist. Unter dem Modebegriff wurde bald alles Mögliche subsumiert: Schon 2016 gab es in Bamberg „Willkommenspakete für Neugeborene“, Beelitz in Brandenburg startete einen „Babywillkommensdienst“. Enorm gewachsen ist seitdem die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Terminus Willkommenskultur und seiner Rezeption in Deutschland. Auch ausländische Forscher interessieren sich zunehmend dafür.

Warnung vor „Multi-Kulti“

Ein anderer Trend zeigte sich indes in der hiesigen Parteipolitik. CDU/CSU, SPD und FDP warben vor der Bundestagswahl 2017 nicht mehr für die Willkommenskultur. Die Union warnte ähnlich wie die AfD – und genau wie schon 2014 die NPD in Sachsen – ausdrücklich vor „Multi-Kulti“. Die Grünen konstatierten besorgt: „Nach einem Jahr Willkommenskultur gibt sie zunehmend rechten Stimmungen nach.“ Die Linke blieb dabei, „Teil der Willkommens- und Solidaritätsbewegung für die Geflüchteten“ sein zu wollen.

Explizit „Willkommenskultur“ forderte damals als Einzige die AfD. Kapitel 7 ihres Wahlprogramms, gleich hinter dem über den Islam, hieß: „Willkommenskultur für Kinder: Familienförderung und Bevölkerungsentwicklung“ – das Rezept der AfD gegen die „Schrumpfung unserer angestammten Bevölkerung“.

Die über die Zeit zunehmend kritisierte Willkommenskultur wird von der engagierten deutschen Zivilgesellschaft indes ungebrochen weiter­praktiziert. Belege dafür lassen sich leicht finden, so man danach sucht.

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4 Kommentare

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  • "Willkommenskultur". Ein rein ideologisch geformter Begriff. Worum soll es dort eigentlich gehen? - Menschen aus anderen Ländern zu helfen und dies am besten indem sie hierher kommen.

    Als Handlungsethiker möchte ich ebenfalls Menschen in Not helfen. Und dies möglichst effektiv mittel- bis langfristig unter Berücksichtigung bestmöglicher Verwendung der eingesetzten Mittel.

    Mir persönlich fallen da zuerst hungernde und verhungernde Kinder ein. Laut Welthungerhilfe stirbt alle 10 Sekunden ein Kind unter sieben Jahren an Hunger. Das sind über drei Millionen Kinder im Jahr. Ein großer Teil davon in Afrika.

    Mit etwa ein bis zwei Milliarden Euro im Jahr ließen sich diese Kinder retten.

    Die Zahl der Menschen in Afrika verdoppelt sich in den nächsten 30 Jahren.

    Das wird zum Fünf-Sekunden-Takt führen. Vermutlich noch weitaus schlechter.

    Unsere Willkommenskultur kostet dieses Land etwa 40 Milliarden Euro/Jahr. Das UNHCR muss mit etwa acht Milliarden Dollar/Jahr hinkommen und über 15 Millionen Flüchtlinge versorgen. Auf der UNHCR-Konferenz 2018 in New York wurde von etwa den dreißigfachen Kosten bei Aufnahme in westlichen Industriestaaten gegenüber einer Vor-Ort-Versorgung gesprochen.

    Ist daher diese "Willkommenskultur" wirklich so sinnvoll? Zumal deren Nebenwirkungen hierzulande hauptsächlich von den Armen getragen werden müssen durch Konkurrenz um Mieten, Wohnungen, Löhne und Jobs.

    Während die AfD gepusht wird und profitiert.

    Anderes Beispiel: Kürzlich brachte der SPIEGEL eine Bildstrecke von Kindern, die im Hafen von Manila den ganzen Tag im Wasser stehen, eine furchtbare Brühe, und nach Plastikflaschen suchen, von deren Pfand sie leben. Für etwa 90 Cent pro Tag. Tausende von Kindern. Mit zweitausend Euro/Tag könnte man all diese Kinder aus diesem giftigen Wasser holen.

    Es gibt so viele Möglichkeiten mit begrenzten Mitteln Gutes zu tun.

    Empfohlen sei hier auch die Seite der Deutschen Gesellschaft für Weltbevölkerung, die einen prima Job macht: dsw.org.

    • @shantivanille:

      Sie vergessen, dass die überwiegende Zahl der Geflüchteten von 2015 aus Kriegsgebieten, v.a. aus Syrien kamen. Denen nützt das großzügigste Almosen nichts. Im Übrigen gibt es belastbare Zahlen darüber, dass Migranten, die Geld an ihre Familien schicken, deutlich mehr zur Entwicklung in ihren Herkunftsländern beitragen als staatliche Entwicklungshilfe und Almosen. In sofern ist es auch für Handlungsethiker nützlich, Geflüchteten, die hier leben, zu Bildung, Ausbildung und Arbeit zu verhelfen.

      • @Kolyma:

        Sie vergessen, dass sich bereits 2014, als bereits über 200.000 Menschen kamen, sich eine wesentlich größere Fluchtbewegung abzeichnete. Da hätten bereits die Warnlichter in Deutschland auf Rot gehen müssen.

        Im Frühjahr 2015 sendete die UNO Hilferufe an die wohlhabenderen Länder, da die Flüchtlingslager um Syrien stark unterfinanziert waren. Statt Geld zu schicken, wurde zugesagte Gelder zurückgezogen. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben blieb den Menschen in den Lagern nur die Rückkehr nach Syrien oder die Flucht nach Europa.

        Den Rest können Sie bei Robin Alexander nachlesen, der mit seinem Team die professionellsten Recherchen unternahm, "Die Getriebenen".

        Die Grenzen blieben daher geöffnet aus "Angst vor hässlichen Bildern", was auch von niemandem dementiert wird.

        Aus "Angst vor hässlichen Bildern" geht es bis heute so weiter.

        Ich sage Ihnen auch wie sich meine Einstellung rechtfertigt: Ende 2015 habe ich einen Artikel im Schweizer Tagesanzeiger von Toni Stadler gelesen. Toni Stadler hat als engagierter Flüchtlingshelfer über Jahrzehnte rund um die Welt in FLüchtlingslagern Menschen betreut auch selbst Lager aller Größenordnungen geleitet. Zudem Organisationen wie das IRK, die UNO, EDA/Deza u. a. beraten.

        Stadler legte sehr ausführlich dar, dass gut geführte Flüchtlingslager vor Ort mit Schulen, Krankenhäusern, Handel und Handwerk weitaus besser sind als Migration, denn "ab einer gewissen Größenordnung bricht jedes Asylsystem zusammen". Darunter können Sie den Artikel googeln. Mittlerweile leider bezahlpflichtig.

        Kolyma, teilweise stimme ich mit Ihnen überein.

        Doch nur bis zu einer gewissen Größenordnung. Und ich nehme an, die ist längst überschritten.

        Und dann passiert folgendes: Die Situation kehrt sich um, es tauchen immer mehr Probleme auf.

        Werden irgendwann Jobs und Geld knapp, könnt es sehr unschön werden.

        Die rechtsextremen Völkischen werden stärker werden. Und/oder die Islamisten?

        Wirklich nicht.

  • Das Problem an dem Begriff dürfte für die meisten gewesen sein, dass das "Willkommen" recht einseitig propagiert wurde, wie in dem Artikel auch. Es heißt aber nicht ohne Grund "Willkommen IN...", das "in" bezieht sich auf die Regeln des Ziels, des Aufnehmenden. Hier wäre die "Leitkultur Deutsch" anschlussfähig, damit klar ist, dass Integration (oder auch nur Aufenthalt, was ebenfalls nicht auseinandergehalten wurde) an Bedingungen geknüpft ist. Aber schon beim Begriff "deutsch" bekommen viele "Aktivisten" Pickel.