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Debatte Wahlen in den USAEine dritte Partei? Unfug

Kommentar von Konrad Ege

Bei jeder Wahl kommt er wieder, der Ruf nach einer wirklichen Alternative. Warum verstehen vor allem die Liberalen das Spiel nicht?

Barack Obama und Mitt Romney beim TV-Duell in Denver. Braucht es eine Alternative zu ihnen? Vielleicht sogar eine Frau? Bild: dpa

S ie ist so vorhersehbar wie „the same procedure“ beim „Dinner for One“: die Suche progressiver, linkslastiger und die Schnauze voll habender US-Amerikaner nach einer dritten Partei, die man guten Gewissens wählen kann. Dem Unterfangen fehlt jede Perspektive.

Das Argument für die „dritte Partei“ läuft im Wesentlichen so wie kürzlich aufgeschrieben von dem Blogger und Aktivisten Carl Gibson: „Ich habe früher immer gesagt, ich halte mir die Nase zu und wähle Obama, weil eine Romney-Präsidentschaft ein noch größeres Desaster wäre“.

Doch er wolle das nicht länger tun: „Ich wähle Jill Stein, weil ich nicht gezwungen sein sollte, mir die Nase zuzuhalten beim Wählen.“ Die Demokraten und Republikaner seien inhaltlich kaum zu unterscheiden, sagte der mehrmalige „dritte“ Präsidentschaftsanwärter Ralph Nader jüngst bei alternet.org. Er werde keinen Kriegsverbrecher wählen.

Die weggeworfene Stimme

Jill Stein, 62, ist die Kandidatin der Grünen Partei. Die Ärztin aus Massachusetts und ihre Vize Cheri Honkala haben an den Kundgebungen am ersten Jahrestag von Occupy im September teilgenommen. Ihr Programm hakt so ziemlich alle Posten auf dem progressiven Wunschzettel ab.

Das Militär drastisch verkleinern, einen „grünen New Deal“ mit Investitionen und Arbeitsplätzen im Öko- und alternativen Energiesektor, Schluss mit dem Drohnenkrieg und dem Überwachungsstaat, die Macht der Banken begrenzen, die der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft stärken. Oft muss Stein die Frage beantworten, ob eine Stimme für sie nicht „weggeworfen“ wäre. Sie kontert dann: „Eine Stimme für einen Wall-Street-Kandidaten ist eine weggeworfene Stimme.“

KONRAD EGE

ist Journalist und lebt seit Jimmy Carters Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten. Zuletzt schrieb er über die Versuche der Republikaner, Geringverdiener vom Wählen abzuhalten: „Alternative zum Wahlbetrug“.

Das ist griffig, geht aber am Wesentlichen vorbei. Stein hat keine Chance, obwohl sie eine gute Rednerin ist, sympathisch rüberkommt und mehr Fachkenntnis und Verstand hat als viele Politiker zusammen. Trotzdem kam Stein bei einer Gallup-Umfrage Mitte September nur auf 2 Prozent. Das Wahlsystem in den USA ist so gestaltet, dass Außenseiter draußen bleiben.

„Dritte Parteien“ müssen sich in jedem der 50 Bundesstaaten durch ein Dickicht von Vorschriften kämpfen, um ihren Kandidaten auf den Stimmzettel zu bekommen. Die Grünen werden es wohl nur in etwa 40 Staaten schaffen. Und dann gilt: The winner takes all. Wer die meisten Stimmen bekommt, gewinnt und kriegt die Stimmen der „Wahlmänner“ des jeweiligen Staates, die dann den Präsidenten wählen. Die Zweit- und weiter hinten Platzierten kriegen nichts.

0,56 Prozent für Linke

Man muss weit zurückblicken, um einen linken Achtungserfolg zu finden: 1912 erhielt der Sozialist Eugene Debs 6 Prozent der Stimmen. 1924 kam der Kandidat der Progressiven Partei, Robert La Follette, immerhin auf 16,6 Prozent. Die nähere Vergangenheit indessen ist ein Desaster: 2008 kam die grüne Kandidatin Cynthia McKinney auf 0,12 Prozent und der unabhängige Nader auf 0,56 Prozent. 2000 erhielt Nader 2,74 Prozent, damals mit den Grünen, und Unterstützung von Michael Moore sowie weiteren Hollywood-Promis. 2004 rutschte er auf 0,38 Prozent ab.

Keine Debatte über die dritte Partei ist vollständig ohne die Erörterung, ob nicht Nader daran schuld sei, dass der Demokrat Al Gore 2000 knappstens gegen Georg W. Bush verloren habe. Ja, sagen die einen und verweisen auf Zahlen. Im entscheidenden Staat Florida hat Gore mit rund 500 Stimmen weniger verloren. Etwa 98.000 Floridianer stimmten für Nader. Nein, sagen die Grünen. Ihre 2,74 Prozent und Florida hätten gar nichts ausgemacht, wenn der zaghafte Wahlkämpfer Gore nicht in seinem Heimatstaat Tennessee verloren hätte.

Guantánamo wurde nicht geschlossen, die Banker kamen straflos davon, und Obamas „Anti-Terror-Politik“ macht genau da weiter, wo George W. Bush aufgehört hat. Stimmt ja alles. Will man aber die Zustände verändern, darf der Wahltag im November nicht das Ziel haben, Barack Obama zu „bestrafen“.

In den USA läuft der Weg zur Reform durch die Institution Demokratische Partei – vorausgesetzt, es kommt genügend Druck von der Straße und den sozialen Bewegungen. Siehe Bürgerrechts- und Umweltbewegungen. Und Occupy. Auch wenn die Bewegung auf größte Distanz geht zu dem Demokraten und gar Vereinnahmung befürchtet: Die Besetzer haben die politische Debatte gedreht und demokratischen Politikern den Rücken gestärkt, sich radikalen republikanischen Forderungen nach sozialem Kahlschlag zu widersetzen.

Dummheit der Liberalen

Die Rechten haben längst kapiert, dass sie in und mit der Republikanischen Partei an Einfluss gewinnen. „Die Linke“ in den USA hält sich dagegen allzu oft an ein politisches Reinheitsgebot. Teilsiege demokratischer Politik werden als Niederlagen „gefeiert“. Beispiel Gesundheitsreform. Natürlich ist Obamacare nicht die erhoffte Versicherung, aber ab 2014 dürfen Versicherungskonzerne erstmals Schwerkranke nicht mehr ausschließen. Grund zur Erleichterung für Millionen mit Krebs, Multipler Sklerose und Asthma.

Kandidaten sagen ja gerne, es gäbe gravierende Unterschiede zwischen ihnen und ihrem Rivalen. Und diesmal stimmt es.

Obama ist natürlich nicht der progressive Kandidat, sondern Vertreter einer aufgeklärten, sozialliberalen Elite mit dem Wunsch, den Kapitalismus und das amerikanische Empire für möglichst viele US-Amerikaner funktionieren zu lassen. Die dabei entstehenden Widersprüche lassen sich nicht auflösen. Aber besser als Mitt Romney ist das allemal.

Der Republikaner repräsentiert das reaktionäre Segment der Elite, das rücksichtslose eine Prozent, wie es im Bilderbuch steht. Es handelt sich um konservative weiße Bürger, die sich mit einem letzten Aufbäumen demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen in den Weg stellen wollen.

Obama II wird Jill Steins Programm nicht realisieren, nicht einmal realisieren wollen. Aber Progressive, Grüne, Linke, Occupyer können Druck machen nach der Wahl. Ob das helfen wird? Wer weiß. Aber die Haltung, man erreiche ja doch nichts mit den Wall-Street-hörigen Demokraten und mache sich beim Wählen nur die Hände schmutzig, die bringt garantiert nicht vorwärts.

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17 Kommentare

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  • M
    Micha

    Was??? Vielleicht sogar eine FRAU?

    Ich finds immer wieder lustig, wie besessen die taz davon ist, ob ein Politik-es einen Penis oder eine Vagina hat... oder vielleicht sogar beides?

    Vielleicht brauchen die USA ja einen Zwitter!

  • N
    Nureb

    @ Signale-Volker:

     

    "Wenn man in einen falschen Zug einsteigt, nützt es nichts, wenn man im Gang entgegen der Fahrtrichtung läuft." (Dietrich Bonhoeffer)

  • C
    Christian

    Tschuldigung, ich drängel mich mal grade zwischen die Diskussion und gebe einen *Kommentar* ab ... zum *Artikel*: Die Briten haben ein ganz ähnliches Winner-Take-All-Wahlsystem und haben jetzt trotzdem eine dritte Partei an der Backe. Wie sie das geschafft haben, ist mir ein Rätsel. Wie man so eine Chance als Partei so leichtfertig verspielen kann, allerdings auch.

     

    So, jetzt dürft ihr gerne weiter eure Argumente abspulen und dem anderen nicht zuhören.

  • B
    BAReFOOt

    Pirate Party USA.

    ’nuff said.

  • JZ
    jan z.

    Im U.S. Congress sind zumindest einige ziemlich linke Democrats, wie Raul Grijalva und leider zur Zeit abgewaehlt, Dennis Kucinich. Einige der African-Americans aund Latinos stehen auch am linken Fluegel der Democrats.

  • GF
    Gerda Fürch

    Ich finde den Kommentar von Konrad Ede gut und informativ!

     

    Den Anteil "grüner" Politikvorhaben (keine Ölbohrungen in Alaska, mehr UmweltNaturSchutz und Energiewende, Abschaltung von unsicheren AKWs, mehr Ökofarmer und Ablehnung genmanipulierter Nahrungsmittel einschließlich gesunder Ernährung etc.)werden am ehesten und einsichtigsten Demokraten übernehmen müssen. Republikaner sind für "grüne" Reformpolitik und ein Umdenken in der Wirtschafts- und Industriepolitik mit Zukunftsperspektiven wohl nicht zu gewinnen, so daß ich mich frage, wo und welche und wie und vor allem für wen 12 Millionen neue Jobs zu welchen Arbeitsbedingungen von den Republikanern geschaffen werden sollen?

     

    Im Gegenteil, die Republikaner wollen nach wie vor, jegliche demokratische Politik und demzufolge dann auch jegliche, zaghafte "grüne" Politikvorschläge in Washington blockieren! Blockieren - ohne Rücksicht auf den sich tatsächlich abzeichnenden Klimawandel, unter dem eines Tages auch die gesamte Bevölkerung in den USA leiden wird!

    Die USA tragen Verantwortung für einen riesengroßen Kontinent! Die Mehrheit der Bevölkerung ist sich dessen scheinbar immer noch nicht, eigentlich gar nicht voll bewußt. Deshalb sollte das "Change!" und "Yes, we can!" aus dem Jahre 2008 nicht abgewählt werden, sondern daran mit den Demokraten festgehalten werden.

     

    Vielleicht kommt diese Bewußtseinswerdung doch noch in den folgenden Debatten ernsthaft zum Ausdruck und nicht darüber, ob jemand mehr lächelt, mehr witzelt, mehr knallahrt beleidigt, mit mehr leeren Schlagworten um sich wirft, die besser sitzende Krawatte hat und nicht andauernd mit den Augenbrauen zuckt oder mit den Ohren wackelt.

  • KS
    Karl Sonnenschein

    Gefuehlsmaessig ist unser politisches und wirtschaftliches System so ueberholt wie Kuba, somit ist es eigentlich voellig gleichgueltig wen man waehlt. Auf einen Schritt vorwaerts folgen zehn zurueck.

     

    Vielleicht kommt ja die Graswurzevolution oder doch eine linke Partei wie die sympathische Schweizer SP, oder eine Mischung davon.

  • S
    Stork

    "Und dann gilt: The winner takes all. ". Diese falsche Vorstellung scheint nicht auszurotten zu sein. Einige Bundesstaaten verteilen die Wahlmänner(stimmen) entsprechend den erreichten Prozentzahlen.

  • P
    Philipp

    Für alle Wähler, denen die Frage Obama oder Romney nicht egal ist, gilt wohl Nase zu halten und einen der beiden wählen. Für die Wahlberechtigten, die auch mit zugehaltener Nase lieber zu Hause bleiben, sind die weiteren KandidatInnen aber eine Bereicherung. Bei der letzten US Wahl blieben mehr als 42% der Wahlberechtigten zu Hause. Würde eine nennenswerte Zahl von ihnen chancenlose KandidatInnen wählen, wäre das ein deutliches Signal mit Wirkung.

  • T
    T.V.

    Das Problem ist, daß dort wie hier diese minimalen Erfolge bei weitem zu wenig sind, um bspw. den Klimawandel noch beeinflussen zu können. Wenn wochenlang über kleinkarierte Dinge diskutiert wird, anstatt mal die wirklich wichtigen Sachen anzugehen, was von diversen Lobbys aber nicht erwünscht ist, dann bleibt einem nur die Wahl sich zu radikalisieren.

  • S
    Soso

    Es gilt was die Medien sagen. Die sind in den USA für die eine oder andere Partei. Bei uns sind "Journalisten" für das was der Chef sagt und das kommt meist aus den 70ern. Da war man nun mal links bis linksextrem. Deshalb haben die Amis zwei Parteien und bei uns alle eine Meinung. Medial wie politisch. Was das Volk will interessiert in den USA durchaus weil man dort Stimmen sammeln muß. Bei uns ist es egal. Politiker sagen was die medien ihnen sagen oder sie sind weg vom Fenster wie Sarrazin. Bei gesellschaftlichen Themen wie bei der Wirtschaft kann man bei uns das Volk generell nicht brauchen. KEINE Partei kann mit dem sofortigem Gegenwind und der Nazikeule entstehen. Hätten sich die Piraten nicht selbst versenkt hätte man sie zu grünen 2.0 geschrieben oder mit der Nazikeule versenkt was bereits einsetzte. Die Amis haben die Wahl zwischen A und B. Wir zwischen A und Nichtwählen. Erst wenn es 90% de Deutschen richtig schlecht geht wird sich etwas ändern. So wie 1989. Dafür stehen wir noch zu gut da.

  • VH
    Volker hört die Signale

    Hat in exakt dieser Zeitung nicht vor Kurzem noch jemand getönt, es gäbe "kein richtiges Leben im Falschen"?

    Und nun an ebenjener Stelle tönt es nun, man müsse sich ins Falsche begeben, um es ein bisschen richtig zu stellen?

     

    Es liegt wohl an jedem selbst, ob er den Würgerefeflex lange genug überwinden kann, sich in die Tiefen der amerikanischen Zwei-Parteien-Diktatur zu begeben und entristisch zu versuchen, etwas zu verändern, oder einen moralisch unangreifbaren Weg der verweigerten Kumpanei zu gehen und das System als solches in Frage zu stellen.

     

    Um es mal plakativ zu sagen: Ist man lieber ein Scholl oder ein Stauffenberg? Ist man ein Pragmatiker oder hat man noch Ideale? Oder, in taz-Vokabular: Realo oder Fundi?

  • T
    thilo

    Und wenn alle so denken, wird sich nie was ändern!

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Die evolutionsprozess-theoretisch gestüzte Frage nach der Ordnung des KREATIVEN Evolutionspfads und ihren Steuerungssystem-Inhalten(= ökosoziale Umfinanzierung- und Umsteuerung evolutionär zu Ende gedacht) ist die einzige Aktion, die die Machtfrage stellt u n d die zum Sturz des globalen Ancien régime der 2%Wachstumszwang-Absolutisten der Kapitalstock-Maximierer (= Macht-Nr.1 im Industriesystem) führen wird - dominomächtig und evolutionsprozess-logisch, d.h. auch marxistisch.

     

    Den machtpolitischen Beweis haben die DIE KREATIVEN bereits mehrmals erbracht. Aber die Spitzen der GRÜNEN fürchten den möglichen Sturz des Ancien régime. Die erkannte Wahrheit wird totgeschwiegen.

  • R
    R.R.

    Was für ein Unsinn. Es gibt faktisch keinen Unterschied. Den gibt es lediglich in der Rhetorik. Das zeigt doch schon daran, dass "Obamacare" ursprünglich von Romney erfunden wurde und auch Obam,a in der fernsehdebatte davon geschwafelt hat, dass Unternehmenssteuern zu hoch seien. Und auch ein Präsident Romney wird nicht viel anders sein. Man muss schon ziemlich naiv sein, um zu glauben, dass Obama wirklich in irgendeinerweise Romney vorzuziehen sei.

     

    Und wie soll Demokratie eigentlich funktionieren, wenn man nicht die wählt, durch die man sich wirklich vertreten fühlt?

  • DM
    David Mirschlecht

    Klingt zwar eigentlich ganz nett, aber ich stimme nicht ganz zu.

     

    Das einige was noch weniger bringt, als Obama zu wählen, ist kleinen alterntiven Parteien, die es wenigstens versuchen, keine Unterstützung zu geben.

     

    Anders gefragt: Was ist schlimmer? Das die Republikaner in den auf lange Sicht wenigen Jahren des Aufbaus alternativer Parteien die Macht haben werden oder dass die Demokraten unser Untergang sein werden?

     

    Das beste was der Welt passieren kann, ist mitzuerleben, dass auch der erste schware Präsident nicht viel besser als der Rest ist.

  • P
    PasserBy

    Die drittgrößte Partei bzw. Plattform im amerikanischen System wird nicht genannt? Die Tatsache, dass Johnson für Romney den Nader spielen könnte ist unwichtig in diesem Kontext? Den amerikanischen Begriff "liberal" direkt übernehmen ohne die Unterschiede in der hiesigen Bedeutung zu berücksichtigen?